Die Internationale Energie-Agentur IEA hat mit ihrem Sonderbericht „Netto-Null bis 2050“ für viel Aufsehen gesorgt. Nicht wenige Beobachter sahen einen radikalen Kurswechsel der Organisation, die einst als Reaktion auf die Knappheit fossiler Brennstoffe infolge der ersten Ölkrise 1973 gegründet worden war. Dabei zeigt schon der Untertitel der Studie, dass der Kurswechsel nicht so radikal ist, wie viele nun meinen: „Ein Fahrplan für den weltweiten Energiesektor“.
Die IEA wirft, wie es ja auch ihre Rolle ist, vor allem einen Blick auf die weltweite Klimasituation. Der auch von vielen Medien aufgegriffene Verkaufsstopp für neue „fossile“ Heizungen ab 2025 klingt in der Langfassung der Studie schnell ganz anders. Es wird vielmehr ein Verbot für Kohle- und Ölöfen gefordert. Die Rolle von Gasheizungen und karbon-armen Gasen wird explizit anerkannt. Mit ihrem Netto-Null-Szenario stärkt die IEA also den internationalen Blick, würdigt die klimaschonende Rolle von Gas und spricht sich für Innovationen und gegen Denkverbote aus.
Die Forderung der IEA nach einem Verbot fossiler Öfen weist vor allem in Richtung Schwellenländer. Dort wird die klimapolitische Diskussion oft völlig anders geführt als in Europa. Mit ihrem Netto-Null-Szenario versucht die Agentur, den Blick stärker auf die Entwicklung in diesen Regionen zu lenken. Gerade in Südostasien sind in den letzten Jahren zahlreiche CO2-intensive Anlagen gebaut worden. China ist für mehr als 27 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Zum Vergleich: Deutschland emittiert nicht einmal zwei Prozent.
Gasheizungen, die künftig Wasserstoff verbrennen
Und auch beim Thema Verbrennungsmotor, für den die IEA ab 2035 einen Verkaufstopp empfiehlt, ist der chinesische Beitrag zum Klimaschutz überschaubar. Zwar verfolgt das Land wie kaum ein anderes die Abkehr von herkömmlichen Antriebsarten. Doch der Strom für die knapp fünf Millionen reinen Elektroautos und Hybridfahrzeuge, die Ende 2020 auf Chinas Straßen unterwegs waren, stammt zu knapp 60 Prozent aus der besonders klimaschädlichen Kohle. Kohle treibt auch in Deutschland noch immer zahlreiche E-Autos an.
Es geht aber nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen, es geht nicht um Schuldzuweisungen. Klimaschutz und Klimapolitik sind internationale Handlungsfelder. Die Atmosphäre fragt nicht, woher das CO2-kommt, das sich in ihr ansammelt.
Deutschland als Technologie- und Industrienation kann hier wichtige Hilfe leisten und andere Länder bei der Umrüstung auf CO2-freie Verfahren unterstützen. Denn die IEA sendet eine weitere klare Botschaft: Mit den derzeitigen Technologien können wir schon viel erreichen. Um aber bis 2050 klimaneutral zu sein, benötigen wir einen Innovationsschub.
Die Gasbranche und ihre Partner sind ein Innovationstreiber. Sie entwickeln effiziente Gasheizungen, die künftig Wasserstoff verbrennen werden. Oder die mithilfe von Brennstoffzellen neben Wärme auch Strom produzieren und das auch dann, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Dass die IEA in ihrem Szenario auch einen deutlichen Rückgang an Gasheizungen erwartet – bis 2050 um 90 Prozent – ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Denn gleichzeitig rechnet die Organisation mit einem starken Anstieg bei Geräten, die H2-ready sind oder mit Biogas betrieben werden.
In unserer eigenen Studie „Klimaneutral Wohnen“ kommen wir für Deutschland auf ähnliche Ergebnisse: Auch 2050 werden gasförmige Energieträger die beliebteste Heizoption im Wohngebäudebestand sein. Strom als zweite Säule der Energieversorgung ist vor allem in gut gedämmten Neubauten attraktiv. Aber der Energieträger Gas wird sein Gesicht vollkommen verändern. So werden im Jahr 2050 zwei verschiedene gasförmige Energieträger zum Einsatz kommen. Ein Gasmix, der zu 80 Prozent aus Biomethan und zu 20 Prozent aus dekarbonisierten Wasserstoff besteht und reiner Wasserstoff.
Für Technologieakzeptanz und gegen Denkverbote
Heute ist Erdgas ein klimaschonender und bezahlbarer Energieträger, morgen ist Erdgas ein leistungsfähiger Wasserstoff-Lieferant. Moderne Verfahren, bei denen das CO2 sicher abgespalten und gespeichert wird oder bei denen Kohlenstoff elementar ausfällt, können große Mengen Wasserstoff zu bezahlbaren Preisen liefern.
Nicht alle der Technologien, die wir 2050 benötigen, sind heute schon marktreif. Umso wichtiger ist der Ruf der IEA nach einem Innovationsschub. Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, ist ein ambitioniertes Ziel. Die IEA räumt das selbst ein: Sie schreibt in ihrem Report, dass ab heute jeden Tag ein Projekt vom Ausmaß des derzeit größten Solarparks der Welt gebaut werden müsste, um die nötige Leistung an Solarenergie zu erreichen. Um das ambitionierte Ziel in Reichweite kommen zu lassen, ist Technologieakzeptanz nötig. Und eine Aufhebung von Denkverboten. Neben grünem Wasserstoff muss auch über blaue und türkise Produktionspfade nachgedacht werden, damit Wasserstoff nicht ein kostbares Gut für Wenige wird.
Aber auch über ein kostbares Gut, das unserer Volkswirtschaft schon heute zur Verfügung steht: die in den vergangenen 170 Jahren gewachsene und stetig modernisierte Infrastruktur. Das System versorgt heute Millionen Haushalte und Betriebe sicher mit Energie und kann in Zukunft ohne großen technischen Aufwand Wasserstoff transportieren. Und es kann als große Batterie Wasserstoff aus erneuerbaren Energien aufnehmen, wenn Wind und Sonne hohe Erträge liefern, die Industrie aber gerade keinen Energiebedarf hat. Wasserstoff kann Wegbereiter sein in eine CO2-neutrale Zukunft und hat das Potenzial zur neuen Volksenergie unter Nutzung von Erdgas, klimaneutral und wettbewerbsfähig.