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Energie & Klima

Standpunkte Wer den Offshore-Ausbau will, braucht wirksame Antworten für den Meeresschutz

Anne Böhnke-Henrichs, Referentin Meeresschutz beim Nabu
Anne Böhnke-Henrichs, Referentin Meeresschutz beim Nabu Foto: copyright: sevens+maltry

Das Jahr 2024 stand mit der Umsetzung der Renewable-Energy-Directive stark unter dem Zeichen eines beschleunigten Ausbaus der Windenergie auf See. Zugleich rächen sich Standortfehler der Vergangenheit wie beim Windpark Butendiek, meint Anne Böhnke-Henrichs vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die Zukunft muss anders aussehen, fordert sie: Eine neue Meeresraumordnung könne Planungssicherheit für den Ausbau schaffen und Klima- und Naturschutz versöhnen.

von Anne Böhnke-Henrichs

veröffentlicht am 18.12.2024

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Meeresschutz ist Klimaschutz und Zukunftsschutz. Vom Zustand der Meere und Ozeane hängen praktisch alle UN-Nachhaltigkeitsziele ab. Zu dieser Feststellung kam der IPCC-Sonderbericht zu Ozean und Kryosphäre bereits im Jahr 2019. Angesichts dieser Bedeutung wäre es ein Grund zum Feiern, dass am 9. Dezember 2024 das einzige Vogelschutzgebiet unter Verantwortung des Bundes in der deutschen Nordsee, das Gebiet „Östliche Deutsche Bucht“, um gut ein Drittel vergrößert wurde. Aber es feiert niemand. Nicht einmal das zuständige Bundesumweltministerium, das sonst per Pressemeldung selbst Schutzgebiete in der Arktis begrüßt. Warum ist das so? Und was hat diese Schutzgebietserweiterung mit Offshore Wind zu tun?

Aufschluss hierüber gibt ein ebenfalls am 9. Dezember in der Zeitschrift Nature Conservation erschienener wissenschaftlicher Aufsatz. Demnach sind durch Offshore-Windparks im oder an der Grenze zum Vogelschutzgebiet bis zu zwei Drittel der Schutzgebietsfläche beeinträchtigt. Geschützte Vögel meiden die Windparks noch in zehn bis 16 Kilometern Entfernung. Diese großen Lebensraumverluste betreffen die beiden Seetaucherarten Stern- und Prachttaucher, aber auch für weitere auf Helgoland brütende Arten wurden massive Auswirkungen dokumentiert. Die Wissenschaft warnt in dem Papier eindringlich: Der Betrieb des Offshore-Windparks Butendiek und der umliegenden Offshore-Windparks im Sylter Außenriff und nahe Helgoland führt dazu, dass die zentralen Funktionen als Rast- und Nahrungshabitat im Vogelschutzgebiet verloren gehen. Die Schutzziele können so nicht mehr erreicht werden.

Wirkungsloser Ausgleich für Butendiek

Dieser Schaden am Schutzgebiet zeichnete sich früh ab, 2015 reichte der Nabu Klage gegen Butendiek ein. Spätestens seit dem Jahr 2020 aber ist der Umweltschaden Gewissheit. Ein Jahr später beantragte deshalb die Betreiberin des im Schutzgebiet gelegenen Windparks Butendiek eine naturschutzrechtliche Ausnahme, also quasi die Erlaubnis, von geltendem Naturschutzrecht abzuweichen. Diese Ausnahme wurde im März 2021 erteilt mit der Auflage, dass bis zum 31.12.2024 weitere Schutzgebietsflächen, insbesondere für Seetaucher, zu sichern seien. Genau das ist mit der zitierten Verordnung vom 9. Dezember passiert. Mit dieser sogenannten Kohärenzsicherungsmaßnahme sollen die Schäden am Schutzgebiet repariert sein.

Das Problem aber ist, die kurz vor Toresschluss vollzogene „Maßnahme“ ist wirkungslos, als Naturschützerin ist Frau geneigt zu sagen: eine Mogelpackung. Die Erweiterung des Vogelschutzgebietes geht nämlich mit keinerlei Verbesserungen für die Seevögel einher. Das Gebiet wurde lediglich dorthin ausgedehnt, wo seit Jahren schon das FFH-Gebiet „Sylter Außenriff“ liegt. Verändert hat sich die Situation für Stern- und Prachttaucher damit lediglich auf dem Papier. Echte Schutzmaßnahmen? Fehlanzeige. Keine Reduzierung der Fischerei, keine Begrenzung der Schifffahrt oder gar ein Infragestellen eines genehmigten Kies- und Sandabbaugebietes westlich von Sylt.

Ein Armutszeugnis, das demonstriert, wie Deutschland beim naturverträglichen Offshore-Ausbau versagt. Wo sind hier die guten Vorsätze des Koalitionsvertrages, der Aktionsplan Schutzgebiete, die Meeresoffensive zum Schutz der Meeresnatur? Warum bricht die Bundesregierung ihr Versprechen, die Erneuerbaren Energien ohne den Abbau von Umweltstandards voranzubringen? Und ja, traurig ist auch, dass das Bundesumweltministerium hier so hilflos wirkt.

Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf eine der kritischsten Herausforderungen des künftigen Offshore-Ausbaus. Denn er zeigt, dass passende Antworten auf das großräumige Meideverhalten geschützter Arten bislang fehlen. Die Seetaucher sind kein Einzelfall. Der Dachverband Deutscher Avifaunisten veröffentlichte im Juni eine Studie, wonach beim aktuell geplanten Offshore-Ausbau rund 70 Prozent der Trottellummen, rund 50 Prozent der Eissturmvögel und gut 20 Prozent der Basstölpel, Tordalke und Heringsmöwen ihren bislang genutzten Lebensraum in der deutschen Nordsee verlören. Um das zu verhindern, gibt es nur eine wirksame Maßnahme: Vorbeugen, wo Heilung nicht möglich, heißt: Der Lebensraumverlust darf gar nicht erst entstehen, hochsensible Lebensräume nicht bebaut werden. Das ist auch das Zwischenfazit eines BfN-geförderten Forschungsprojekts zum „Naturschutz in der Marinen Raumplanung“.

Leider ist das Gegenteil der Fall. Getrieben vom politischen Offshore-Ausbauziel von mindestens 70 Gigawatt installierter Leistung bis 2045 entwickelt das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) mit N-12.5 aktuell eine weitere hochkritische Fläche im Zentrum sensibler Seevogellebensräume. Das ist eine Sackgasse, wie das Vogelschutzgebiet Östliche Deutsche Bucht zeigt: Wenn die Windparks erst einmal stehen, lässt sich der Lebensraumverlust nicht mehr reparieren – außer durch Rückbau. Das kann keine Lösung sein, wir müssen früher ansetzen.

Anders als die verantwortliche Politik sind sich Branche und Naturschutzverbände in einem zentralen Punkt einig. Weggucken ist keine Lösung. Anstatt Umweltprüfungen großflächig politisch abzusetzen, braucht es diese etablierten Instrumente, braucht es mehr Forschung zu kumulativen Umweltauswirkungen und Schutzmaßnahmen für die von der Energiewende betroffenen Arten. An erster Stelle stehen hier wirksame Schutzgebiete als notwendige Refugien der biologischen Vielfalt – dehalb ist der massive Lebensraumverlust im Vogelschutzgebiet auch so kritisch.

Nächste Regierung muss Meeresraumordnung erneuern

Die nächste Bundesregierung hat es in der Hand. Sie sollte noch 2025 eine neue Meeresraumordnung auf den Weg bringen, die Klima- und Naturschutz versöhnt. Dabei müssen wissenschaftsbasiert hochsensible Lebensräume freigehalten werden, um ökologische Auswirkungen zu begrenzen. Die Raumordnung muss die unterschiedlichen Interessen ausgleichen. Da hilft es nicht, die Erneuerbaren politisch im „überragenden Interesse“ zu privilegieren, wenn gleichzeitig mit dem Verlust biologischer Vielfalt die Meere als Verbündete in der Klima- und Naturkrise aufs Spiel gesetzt werden. Sondern ein Politikwechsel für die Zukunft sollte den eingangs benannten IPCC-Bericht ernst nehmen.

Der Prozess der Raumordnung muss dann entwickeln: Welche Nutzung und welchen Schutz der Meere brauchen wir als Gesellschaft? Wo und wie nutzen wir Wind, fangen Fisch oder steuern wir den Seeverkehr? Das alles vor der Frage: Wo drohen ökologische Kippunkte, liegen Belastungsgrenzen? Wie gelingt es, das Erbe der Meere für uns, für unsere Kinder und Enkel zu bewahren?

Eine neue Meeresraumordnung muss Abschied nehmen vom Versuch, die Nutzungsansprüche aller Seiten in die Meere zu pressen. Sie muss sich davon emanzipieren und die Meere der Zukunft gestalten wollen. Dabei muss sie sich auch der schwierigen Frage stellen, wie viel Windenergie Nord- und Ostsee vertragen, damit auch die Biodiversität vor unserer Küste eine Zukunft hat. Bleiben Räume für die Natur, gelingt es die Effizienz der notwendigen Windparks auf kleinerer Fläche zu steigern, indem Windschatteneffekte beherrscht und Vollaststunden erhöht werden. Im besten Fall kriegen wir das hin. Dann wird es ein Win-Win für Natur- und Klimaschutz.

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