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Energie & Klima

Standpunkte Wie die Bundesregierung das 25.000-Euro-Elektroauto verhindert

Marcus Fendt, Geschäftsführer und Chief Sales Officer bei The Mobility House
Marcus Fendt, Geschäftsführer und Chief Sales Officer bei The Mobility House Foto: The Mobility House

Ein erschwingliches E-Auto könnte heute auch in Deutschland Realität sein, wenn mobile Speicher bei Netzentgelten gleichgestellt und Smart Meter für alle verpflichtend eingeführt würden. Die EU fordert dies bis 2025 ohnehin. Frankreich macht es besser und kostengünstiger.

von Marcus Fendt

veröffentlicht am 06.11.2024

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Deutschland steckt in der Krise. Während andere Länder bei Innovation und Transformation voranschreiten, lähmt uns Stillstand – eine Bremse für den Heimatmarkt und die Innovationsführerschaft. Diese Barrieren gefährden Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und bezahlbare Produkte. Ein Beispiel dafür ist das bidirektionale Laden von Elektroautos. Würde die Regierung konsequent handeln, könnten viele Elektroautofahrer bereits ab 2025 kostenlos fahren. Doch warum handelt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) nicht?

Seit 2011 wird bidirektionales Laden in japanischen Elektroautos genutzt, um im Katastrophenfall eine Notstromversorgung zu gewährleisten. Heute können viele Fahrzeuge – darunter Modelle von Renault, Volkswagen und Hyundai – nicht nur geladen, sondern auch entladen werden. Diese Technik wird ab 2027 Standard sein. Die Bundesregierung hat das Potenzial erkannt und die Technologie 2021 im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Doch seitdem herrscht Stillstand; auch der jüngste Gipfel im BMWK endete ohne greifbare Ergebnisse. Dabei könnte bidirektionales Laden schnell für erschwinglichere Elektroautos und niedrigere Strompreise sorgen.

Das ungenutzte Potenzial

Fast 60 Prozent des deutschen Stroms stammen aus erneuerbaren Energien – kostengünstig, CO2-arm und unabhängig von Energieimporten. Doch Produktionsschwankungen durch Wind und Sonne stellen eine Herausforderung dar, die Batteriespeicher, vor allem die in Elektroautos, auffangen könnten. Elektroautos stehen im Schnitt 23 Stunden täglich ungenutzt, sind langlebig und daher ideal als flexible Energiespeicher geeignet.

Die heutige Kapazität der 30 deutschen Pumpspeicherkraftwerke mit 40 Gigawattstunden (GWh) wird von den erst 2,5 Millionen Elektroautos in Deutschland (drei Prozent Marktanteil) mit einer Kapazität von 100 GWh weit übertroffen. Bei einer durchschnittlichen täglichen Einsteckzeit von 15 Stunden könnten Besitzer bidirektional ladender Elektroautos 1200 bis 1500 Euro pro Jahr verdienen, wovon ihnen mindestens die Hälfte nach Abzug aller Kosten bleibt. Dienstleistungen wie Redispatch im Stromnetz, die allein 2023 mit 600 Millionen Euro Kosten zur Abschaltung von 7,5 Terawattstunden (TWh) erneuerbarer Energien führten, müssen auch noch eingerechnet werden.

Seit 2024 erhalten schaltbare Verbraucher, darunter Ladestationen für Elektroautos, vom Verteilnetzbetreiber etwa 160 Euro jährlich (Paragraf 14a Energiewirtschaftsgesetz, EnWG, Modul 1), wenn sie in Spitzenzeiten abschaltbar sind. Zusammen spart der Elektroautofahrer somit bis zu 800 Euro im Jahr – vergleichbar mit den Stromkosten eines Elektroautos mit 15.000 km Jahresfahrleistung. Renault-5-Fahrer in Frankreich und bald auch in Großbritannien profitieren bereits davon. Eine Lösung, die das Münchner Technologieunternehmen The Mobility House in Zusammenarbeit mit der Renault Group/Mobilize möglich machte.

Regulatorische Hürden und politische Ignoranz

Deutschland hat den Nutzen des bidirektionalen Ladens längst erkannt und die notwendigen Gesetzesanpassungen formuliert. Zwei Voraussetzungen sind der Wegfall doppelter Netzentgelte für systemdienlich genutzten Strom sowie der Einsatz von Smart Metern zur 15-Minuten-Abrechnung. Während stationäre Großbatterien bis 2028 von doppelten Netzentgelten befreit sind, gilt dies für mobile und Heimspeicher nicht. Das BMWK zögert aus Angst vor einer EU-Beihilfeprüfung, diese Regelung zu erweitern.

Die Aussage, dass die ab April 2025 geltenden variablen Netzentgelte gemäß Paragraf 14a EnWG (Modul 3) eine Netzentgeltbefreiung überflüssig machten, ist irreführend. Paragraf 14a fördert die Netzstabilität und reduziert den Netzausbau, jedoch nicht die Energiekosten. Eine Kombination beider Ansätze wäre die optimale Lösung zur Netz- und Systemoptimierung.

Der flächendeckende Smart-Meter-Rollout bleibt eine weitere Hürde. Nach zehnjähriger Diskussions- und Planungsphase ist die Hardware bereit, doch Abrechnungssoftware und Rollout-Planung bei den Netzbetreibern stecken in den Anfängen. Frankreich startete zeitgleich und hat inzwischen nahezu 100 Prozent der Haushalte ausgestattet – zu einem Viertel der deutschen Kosten.

Statt Smart Meter für an der Energiewende interessierte Verbraucher (zum Beispiel Kunden von dynamischen Tarifen) verpflichtend zu machen, schwächt die EnWG-Anpassung von 2023 diese Verbindlichkeit ab. Netzbetreiber können den Einbau ablehnen, wenn die Pflicht-Rollout-Quote gefährdet ist, was im schlimmsten Fall Verzögerungen bis 2032 bedeutet.

Fortschritt wagen statt Stillstand pflegen

Fazit: Deutschland hat das Potenzial, in der Elektromobilität und Energiewende eine globale Führungsrolle einzunehmen und dabei erschwingliche, umweltfreundliche Mobilität und Energie für die Bürger bereitzustellen. Vorrang für Bestandsschutz und die Vermeidung von Anstrengung führen jedoch zu höheren Kosten, entgangenen Innovationserlösen und Vertrauensverlust. Ein emissionsfreies, erschwingliches Elektroauto könnte heute Realität sein, wenn mobile Speicher bei Netzentgelten gleichgestellt und Smart Meter für alle verpflichtend eingeführt würden, die an der Energiewende teilnehmen möchten. Die EU fordert dies über die Erneuerbare-Energien-Richtlinie III (RED III) bis 2025 ohnehin – eine No-Regret-Maßnahme, die sich für „Fortschritt wagen“ lohnen würde. Warum also warten?

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