Energie-Klima icon

Energie & Klima

Standpunkte Klimaschutz leidet unter politischem Stillstand

Magnus Drewelies ist Geschäftsführer und Gründer von Ceezer, Entwickler einer Plattform zum Handel mit Emissionszertifikaten.
Magnus Drewelies ist Geschäftsführer und Gründer von Ceezer, Entwickler einer Plattform zum Handel mit Emissionszertifikaten. Foto: Christian Schmelzer

Mehrere Initiativen der scheidenden Bundesregierung hatten das Potential, sowohl die Erreichung der Klimaziele als auch die Innovationsstärke zu verbessern, schreibt Magnus Drewelies, Geschäftsführer des Start-up Ceezer. Doch sie sind durch die vorgezogene Bundestagswahl gefährdet.

von Magnus Drewelies

veröffentlicht am 09.01.2025

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Deutschland steht an einem Scheideweg: Gelingt es, politische Unsicherheiten zu beseitigen und klare Rahmenbedingungen für Klimainvestitionen zu schaffen, können wir nicht nur unsere Klimaziele erreichen, sondern auch ein globaler Vorreiter in einer zukunftsfähigen Industrie werden. Doch der derzeitige drohende politische Stillstand riskiert den Fortschritt.

Deutsche Klimaziele stehen vor makroökonomischen Herausforderungen

Während der Expertenrat für Klimafragen eine Verfehlung der Klimaziele Deutschlands bis 2030 prognostiziert, kommen weitere makroökonomische Herausforderungen hinzu: Schon 2023 führte die schwache Konjunktur zu einer sinkenden Investitionsbereitschaft des Mittelstands im Bereich Klimaschutz. Aktuelle Entwicklungen in Großunternehmen lassen stark vermuten, dass auch bei diesen die entsprechenden Investitionen konjunkturbedingt im Jahr 2024 weiter zurückgingen.

Hinzu kommt, dass Deutschland in den letzten Jahren in vielen Technologiefeldern an Boden verloren hat: Zwar sind laut der Bertelsmann-Stiftung fast 10.000 aktive „Weltklassepatente“ in grünen Technologien hierzulande entwickelt worden und damit etwa die Hälfte der entsprechenden EU-Patente, doch der globale Anteil Deutschlands ist gesunken.

Klimapolitische Maßnahmen stehen auf der Kippe

Mehrere Initiativen der scheidenden Bundesregierung hatten das Potential, sowohl die Erreichung der Klimaziele als auch die Innovationsstärke zu verbessern: So wurden die Arbeiten an der Langfriststrategie für Negativemissionen (LNe) aufgenommen. Diese Strategie soll einen umfassenden Rahmen für die CO₂-Entfernung aus der Atmosphäre – sogenannte Negativemissionen – schaffen, indem klare Zielvorgaben sowie die notwendigen politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Voraussetzungen für die Skalierung geeigneter Lösungen definiert werden. Zudem wurde die Carbon-Management-Strategie (CMS) erarbeitet, die Rahmenbedingungen für den Einsatz dieser Technologien setzen soll. Parallel dazu wurde ein Gesetzentwurf zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpTG) beschlossen, der einen klaren Rechtsrahmen für den Aufbau einer CO2-Pipelineinfrastruktur und die Speicherung von CO2 unterm Meer etablieren soll.

Der Abschluss dieser Vorhaben ist durch die vorgezogenen Neuwahlen nun jedoch gefährdet. Insbesondere die für die CO2-Entfernung wichtige Langfriststrategie für Negativemissionen wird voraussichtlich von einer neuen Bundesregierung überarbeitet und verabschiedet werden müssen – falls sie überhaupt weiterverfolgt wird. Und auch beim KSpTG erscheint, trotz der jüngst von der Opposition angebotenen Unterstützung, eine Einigung zu den ausstehenden Änderungsanträgen von SPD und Grünen unwahrscheinlich.

Deutschland braucht klare Rahmenbedingungen für die CO2-Entnahme

Zugleich sind die genannten gesetzlichen Rahmenbedingungen entscheidend, um die im Klimaschutzgesetz festgelegten nationalen Klimaziele zu erreichen. Das Ziel, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen und ab 2050 netto-negative Emissionen zu erzielen, erfordert, dass übrige Emissionen vollständig durch Negativemissionen ausgeglichen werden. Diese werden laut Studien und Modellierungen bei mindestens 5 Prozent der aktuellen Emissionen Deutschlands liegen, äquivalent zu etwa 40 Millionen bis 130 Millionen Tonnen CO2.

Insbesondere in der hierzulande bedeutenden Zement- und Chemieindustrie, in der Restemissionen schwer vermeidbar sind, ist die Erreichung der Klimaziele ohne aktive CO2-Entnahme nicht möglich. Dass die erforderliche Menge an Negativemissionen vermutlich eher am oberen Ende der genannten Spanne liegen wird, liegt auch daran, dass der deutsche Wald seit 2017 durch die enormen klimabedingten Schäden und dem damit verbundenen Verlust an lebender Biomasse mehr Kohlenstoff abgibt, als er aufnimmt. Daher müssen wir mehr für die Wälder tun und zusätzlich auf ein breites Spektrum an Lösungen, die CO2 dauerhaft binden und speichern können, setzen – Technologien spielen hier eine wichtige komplementäre Rolle.

CO2-Entnahme bietet gerade für Deutschland eine wirtschaftliche Chance

Deutschland befindet sich bereits auf einem vielversprechenden Pfad: Es ist Heimat zahlreicher weltweit führender CO2-Entnahmeunternehmen und gehört gemeinsam mit den USA und der Schweiz zu den Spitzenreitern in diesem Sektor. Insbesondere bei der Entwicklung technischer Lösungen kann Deutschland seine Position als weltweit drittgrößter Maschinenproduzent nutzen. Talente, Fachwissen und Industriepartner sind vorhanden.

CO2-Entnahme ist aus keinem realistischen Klimamodell mehr wegzudenken und stellt langfristig eine Notwendigkeit dar. Für Deutschland ist das Potential signifikant: Laut einer Studie der Boston Consulting Group und des Deutschen Verbands für negative Emissionen können technologiebasierte und natürliche CO2-Entnahmeverfahren bis 2050 bis zu zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen - das entspricht etwa 70 Milliarden Euro – und rund 190.000 Arbeitsplätze schaffen. Diese Entwicklung kann zudem die Wertschöpfung in zusätzlichen Branchen fördern, was angesichts der aktuellen Herausforderungen in traditionellen Sektoren wie der Automobilindustrie für Deutschland zunehmend wichtig wird. Dank der technologischen Expertise, weltweit angesehener Spitzenforschung, stabiler Industriebasis und erfolgreicher Innovation ist Deutschland in einer herausragenden Position, diese Schlüsseltechnologien weltweit anzuführen.

Politischer Stillstand gefährdet den Aufbau einer zukunftsfähigen Industrie

Doch um diese Technologien weiterzuentwickeln und zu skalieren, sind signifikante Investitionen nötig. Diese hängen wiederum von klaren politischen Rahmenbedingungen ab, wie sie in der Carbon-Management-Strategie und der Langfriststrategie für Negativemissionen skizziert wurden. Fehlt der Rahmen in Deutschland, rücken nicht nur die Klimaziele, sondern auch der Aufbau eines global kompetitiven CO2-Entnahmesektors in weite Ferne.

Andere Länder, wie die USA, sind uns hier voraus: Dort wird die Entwicklung und Anwendung seit über einem Jahrzehnt mit mehr als 5,3 Milliarden Dollar allein für technologische Ansätze gefördert. In Deutschland hingegen führt der drohende politische Stillstand zu einer Investitionslähmung. Dringend erforderlich sind beispielsweise klare Rahmenbedingungen für den Transport und die Speicherung von CO2 sowie konkrete Zielmengen für Negativemissionen, auf die Unternehmen ihre Aktivitäten aufbauen können.

Erschreckend zu kurz kommt das Thema im anlaufenden Wahlkampf. Wachstum, günstige Energie und Wettbewerbsfähigkeit sind präsenter als Klimaschutz. Dabei handelt es sich um keinen Widerspruch. Wenn wir es richtig machen, kann eine nächste Regierung nicht nur die Klimaziele sichern, sondern auch die Basis für eine neue, zukunftsfähige Industrie schaffen, die Deutschlands traditionelle Stärken nutzt. Neue, erfolgreiche Industriesektoren sind für Deutschland essenziell, um langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. Weder das Klima noch der Industriestandort Deutschland können sich jetzt einen Stillstand leisten.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen