Mit dem am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) wurde ein entscheidendes Werkzeug geschaffen, um den Schutz von Menschenrechten in globalen Lieferketten verbindlich zu gewährleisten. Doch so notwendig die Überwachung und Einhaltung der Menschenrechte im Produktionsbereich auch ist, bringt das LkSG insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen aus dem Transportsektor, die einen Anteil von rund 80 Prozent der Branche ausmachen, massive administrative Herausforderungen und praktische Umsetzungsprobleme mit sich.
Denn das Gesetz verpflichtet große Unternehmen aus Industrie und Handel einerseits dazu, zu überprüfen, ob die Produktionsbedingungen menschenrechtskonform ablaufen. Andererseits müssen sie aber auch das Risiko abschätzen, ob gewährleistet ist, dass alle am Transport und Umschlag beteiligten Unternehmen die entsprechenden Standards einhalten.
Die komplexe Realität der Lieferkettenüberwachung
In globalen Lieferketten können eine große Anzahl an Transport- und Umschlagsdienstleistern involviert sein. In der Regel ist es so, dass die großen Industrie- und Handelsunternehmen die jeweiligen Teile der Lieferkette nicht einzeln auswählen, sondern einen größeren Logistikdienstleister damit beauftragen, den gesamten Transport zu organisieren. Dieser Dienstleister wiederum setzt nun weitere Unternehmer ein, zum Beispiel Redereien, Hafenumschlagsgesellschaften oder Lkw-Speditionen.
Alle müssen den Anforderungen des LkSG genügen – wie aber sollen Industrie- oder Handelsunternehmen dies im Einzelnen nachvollziehen und eine Risikoabschätzung abgeben, wenn sie oft nicht einmal wissen, wer genau in der Lieferkette beauftragt wurde? Die Verantwortung wird somit zunächst an große Logistikdienstleister übertragen, die diese wiederum an die nächste Stufe in der Lieferkette weitergeben – die auch wiederum mit Subunternehmern arbeiten. Das bedeutet, dass auch Unternehmen, die nicht direkt vom LkSG betroffen sind, verpflichtet sind, Risiken zu bewerten und ihre Partnerunternehmen zu überwachen, was in einigen Fällen sogar Vor-Ort-Kontrollen erfordert. Sich dabei allein auf Zertifikate oder Ähnliches zu verlassen, reicht nicht aus und ist kein sicherer Weg. Dies führt zu erheblich mehr Bürokratie und zusätzlichen Kosten, die am Ende der Verbraucher zu tragen hat.
Das Aushandeln der Incoterms – den internationalen Handelsklauseln, die festlegen, wann und wo der Gefahrenübergang vom Produzenten zum einkaufenden Unternehmen stattfindet – wird immer schwieriger. Wenn der Produzent etwa die Verantwortung für die gesamte Strecke bis zum Verwendungsort übernimmt, wählt er auch die Dienstleister aus. Für Unternehmen aus Industrie und Handel, die dem LkSG unterliegen, wird es dadurch nahezu unmöglich, die Lieferkette nachzuvollziehen und die damit verbundenen Risiken zu bewerten. Denkt man dies bis zu Ende, müssten alle einkaufenden Unternehmen die Transportkette vom Produzenten bis zu Verwendungsort selbst organisieren. Das ist zum einen organisatorisch sehr aufwendig und teuer. Zum anderen aber auch oftmals absolut ineffizient. Die Transportorganisation sollte daher in den Händen derjenigen liegen, die die regionalen Rahmenbedingungen kennen und eine optimale Auslastung gewährleisten können.
Flexibilität und Effizienz unter Druck
Eine weitere besondere Herausforderung durch die Auflagen des LkSG ist die eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit des Spotmarktes. Eine Vielzahl an Unternehmen ist auf diesen flexiblen Sparringspartner angewiesen, um damit auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können. So werden heutzutage schätzungsweise jährlich über 51.000 Millionen Tonnenkilometer aller Transporte in Deutschland kurzfristig über den Spotmarkt abgewickelt. Diese Flexibilität ist entscheidend für die Effizienz in der Logistik und die Aufrechterhaltung der Lieferketten.
Ohne die Möglichkeit einer Weitervergabe an Subunternehmer werden Transportunternehmen langfristig dazu gezwungen sein, ihren Personalbestand und Fuhrpark aufzustocken. Dies ist bei dem aktuellen Lkw-Fahrermangel allerdings unrealistisch. Lkw-Fahrer im Straßengüterverkehr sind derzeit genauso stark gefragt wie qualifizierte Mitarbeiter in den Pflegeberufen, wo ebenfalls viele Stellen unbesetzt sind. Das gleiche gilt für die Unternehmen, die im Werkverkehr tätig sind. Auch der Eigenfuhrpark von Industrie- und Handelsunternehmen lässt sich wirtschaftlich nicht unbegrenzt erweitern. Diese Firmen sind ebenfalls auf die Flexibilität angewiesen, Spitzen im Transportbedarf durch den Einsatz von externen Transportunternehmen abzudecken.
Die Konsequenzen, die entstehen, wenn Unternehmen auf Grund des LkSG keine kurzfristigen Transportaufträge mehr vergeben können, sind für alle Beteiligten erheblich: Unvorhersehbare Ausfälle, Minder- oder Mehrmengen können nicht mehr spontan kompensiert werden. Deutlich höhere Frachtpreise und ineffizientere Logistikprozesse sind die Folge. Der Fahrermangel wird sich weiter verschärfen, da mehr Personal und Fahrzeuge benötigt werden. Dies wiederum führt zu längeren Transportwegen und häufigeren Leerfahrten, was den CO2-Ausstoß erhöht – obwohl dieser eigentlich reduziert werden soll. Auch die Verbraucher werden weitreichende Folgen zu spüren bekommen: höhere Preise und eine geringere Produktvielfalt in den Regalen.
Balance zwischen Regulierungsdruck und praktischer Umsetzbarkeit
Die Prognose für die Zukunft? Ein düsteres Fragezeichen! Inwieweit sich das Ganze langfristig entwickelt, bleibt abzuwarten. Doch schon jetzt ist klar: Es muss eine Balance zwischen notwendigen regulatorischen Anforderungen und praktischer Umsetzbarkeit gefunden werden, um die eingespielten Lieferketten aufrecht zu erhalten. Die Aufteilung des Transportweges auf mehrere Spezialisten hat sich in der Vergangenheit bewährt und ist insbesondere in Europa kein Schwerpunkt für Sozialdumping und Menschenrechtsverletzungen. Die Transportbranche ist weiterhin systemrelevant und benötigt verlässliche Rahmenbedingungen, um die Versorgung der Bevölkerung und Wirtschaft sicherzustellen – ohne zusätzliche Belastungen.
Oder anders gesagt: Wenn der Markt auf diese Weise bis ins kleinste Detail überwacht werden soll, entsteht nichts weiter als ein Bürokratie-Monster. Denn auch die zusätzlichen Auflagen durch das LkSG wiederholen im Wesentlichen nichts anderes als bereits bestehende Richtlinien, die die Transportbranche ohnehin einhalten muss.