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Standpunkte Steuerpolitik: So verspielt die Bundesregierung die Chance auf Wachstum und Gerechtigkeit

Carl Mühlbach
Carl Mühlbach
Marina Guldimann
Marina Guldimann
Carl Mühlbach und Marina Guldimann von der Initiative Fiscal Future Foto: Fiscal Future, Fiscal Future

Die Bundesregierung verspiele gerade ihre Chance, mit der Steuerpolitik gleichzeitig für Wohlstand und Wachstum zu sorgen, schreiben Carl Mühlbach und Marina Guldimann von Fiscal Future – einem überparteilichen Thinktank junger Menschen für Finanzpolitik, der vor allem aus Stiftungsmitteln finanziert wird. Sie argumentieren in ihrem Standpunkt, dass eine Entlastung mittlerer und kleiner Einkommen gekoppelt mit höherer Besteuerung großer Vermögen Wachstumsimpulse für die Wirtschaft setzen könne.

von Carl Mühlbach & Marina Guldimann

veröffentlicht am 18.06.2025

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Seit die neue schwarz-rote Koalition ihre Arbeit aufgenommen hat, ist die Debatte um ihre Haushalts- und Steuerpolitik nicht abgeklungen – im Gegenteil. Schon während der Koalitionsverhandlungen gab es in kaum einer Verhandlungsgruppe größere Uneinigkeit, im Koalitionsvertrag stehen viele Einigungen unter dem viel beschworenen Finanzierungsvorbehalt. Nun möchte die neue Regierung in Rekordzeit nicht nur zwei Bundeshaushalte aufstellen, sondern auch das Errichtungsgesetz für das Infrastruktur-Sondervermögen und den „Investitionsbooster“, ein Hilfspaket für die deutsche Wirtschaft verabschieden. In der Haushalts- und Steuerpolitik stehen also noch vor der Sommerpause einige Debatten an.

Das noch im alten Bundestag und Bundesrat beschlossene Finanzpaket für Sicherheit und Infrastruktur ist dabei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aus ökonomischer Sicht ist es klug, Schulden aufzunehmen, um dringend benötigte Investitionen zu finanzieren. Hiervon profitieren auch künftige Generationen. Die zusätzlichen Spielräume dürfen allerdings nicht für Steuergeschenke verwendet werden, die ohne positive Wachstumseffekte verpuffen. Die Leittragenden einer solchen Politik wären junge Menschen. Zudem braucht es eine gerechte Verteilung der höheren Ausgaben für Sicherheit und der mit den Schulden einhergehenden Zinskosten.

Es ist dringend erforderlich, dass die zusätzlichen Spielräume, die das Finanzpaket schafft, sinnvoll genutzt werden und dass die Bundesregierung positive Wachstumsimpulse bewirkt. Deutschland hatte in den letzten Jahren das mit Abstand niedrigste Wirtschaftswachstum der G7-Staaten. Gleichzeitig sind wir auf eine deutliche Steigerung des Wirtschaftswachstums angewiesen, um die europäischen Fiskalregeln einhalten zu können. Diese basieren auf einem von der EU-Kommission berechneten sogenannten Referenzpfad, welcher maßgeblich von dem prognostizierten Wachstum abhängt.

Wachstum und Gerechtigkeit sind kein Widerspruch

Muss sich die künftige Bundesregierung also zwischen mehr Wachstum und mehr Gerechtigkeit entscheiden? Die beiden Ziele stehen sich nur vermeintlich entgegen. Steuervorschläge, die vor allem hohe Einkommen und Vermögen entlasten, entfalten kaum Wachstumseffekte. Hilfreicher sind Maßnahmen, die kleine und mittlere Einkommen entlasten und die für eine gerechte Verteilung der höheren Ausgaben für Sicherheit und Investitionen sorgen.

In Deutschland sind Vermögen so ungleich verteilt wie in kaum einer anderen Demokratie. Die zwei reichsten Familien besitzen mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Zwei Familien besitzen damit mehr als 40 Millionen Menschen zusammengenommen! Das deutsche Steuersystem verschärft diese Ungleichheit, denn Deutschland ist zwar ein Hochsteuerland für Arbeit, aber gleichzeitig ist es ein Niedrigsteuerland für Vermögen.

Leider hat es die Regierung versäumt, diesen Missstand zu beheben. Zahlen des DIW zeigen, dass das deutsche Aufkommen aus vermögensbezogenen Steuern jährlich 40 Milliarden Euro beträgt, also ca. 0,4 Prozent des Bestands privater Vermögen entspricht. Die USA, Frankreich, Kanada und das Vereinigte Königreich besteuern private Vermögen drei- bis viermal stärker. Eine Anpassung an dieses Niveau hätte jedes Jahr 80 bis 120 Milliarden Euro zusätzlicher Einnahmen gebracht.

Jede Menge Geld, um zusätzliche Investitionen zu finanzieren oder an den Stellen zu entlasten, wo es wirklich Wachstum erzeugt. Die steuerliche Entlastung von Arbeit durch eine stärkere steuerliche Beteiligung von Kapital würde den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken. Eine Chance, welche die neue Regierung leider verstreichen lässt.

Steuersenkungen für Unternehmen kein entscheidender Faktor

Vielfach diskutiert wurden in den vergangenen Wochen auch Steuersenkungen für Unternehmen. Eine Meta-Studie von Philipp Heimberger und Sebastian Gechert hat vorhandene Forschungsergebnisse zu den Wachstumseffekten einer solchen Politik analysiert. Ihre Folgerung:Pauschale Steuersenkungen für Unternehmen führen zu keinen positiven Wachstumseffekten, geschweige denn finanzieren sie sich selbst. Deutlich effektiver sind hingegen Investitionsprämien, die zielgerichtete Anreize für Investitionen in Forschung und Entwicklung setzen, wie es die Bundesregierung mit dem „Investitionsbooster“ plant, derAbschreibungen für Investitionen in die Transformation der Wirtschaft in Höhe von 30 Prozent vorsieht. Von der pauschalen Senkung der Körperschaftssteuer ab 2028 sind hingegen weniger gezielte Wachstumsimpulse zu erwarten.

Zudem wird die Relevanz von Steuern als Standortfaktor in der öffentlichen Debatte überschätzt. Für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sind andere Faktoren entscheidender: Die Verfügbarkeit gut ausgebildeter Fachkräfte, eine Senkung von Strom- beziehungsweise Energiepreisen, der Abbau von Bürokratie und die Beschleunigung von Prozessen sowie Fortschritte bei der Digitalisierung. So werden Steuern beispielsweise in einer Experteneinschätzung des Ifo-Instituts zum globalen Standortwettbewerb erst auf dem fünften Platz der negativen Standortfaktoren in Deutschland genannt.

Welche Steuerreform verpasst wurde

Der große Handlungsbedarf bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer wurde von den Koalitionären nicht angegangen. Aufgrund zahlreicher Privilegien für sehr große Vermögen und Unternehmensübertragungen wirkt die Steuer in der Praxis regressiv. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit hat ermittelt: Im Jahr 2021 wurden Erbschaften und Schenkungen im Durchschnitt mit 9,4 Prozent besteuert. Auf Schenkungen, die 20 Millionen Euro übersteigen, fiel durchschnittlich lediglich eine Steuer in Höhe von 2,2 Prozent an. Im Vergleich: Ein durchschnittliches Arbeitseinkommen in Höhe von 40.000 Euro wird mit zirka 20 Prozent besteuert.

Für die Privilegierung von Betriebsvermögen gibt es – anders als oft behauptet – keine stichhaltigen ökonomischen Gründe. Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums der Finanzen hat 2012 ein Gutachten zu dieser Frage veröffentlicht. So „ergeben sich wenig Hinweise darauf, dass eine Verschonung von Betriebsvermögen geboten ist, um Arbeitsplatzverluste zu vermeiden.“ Im Gegenteil: „Anstatt Arbeitsplätze zu erhalten, kann die praktizierte Begünstigung sogar Arbeitsplatzverluste mit sich bringen, weil die Frage der Eigentümerstruktur von Steuererwägungen mitbestimmt wird und die Rolle von Kompetenzen und komparativen Vorteilen in den Hintergrund rückt.“

Lebensfreibetrag von zwei Millionen Euro

Im Gegenzug zu einer Abschaffung der Privilegien für extrem große Vermögen und Unternehmen hätte zum Beispiel der bisher alle zehn Jahre geltende Freibetrag in einen Lebensfreibetrag umgewandelt und auf zwei Millionen Euro erhöht werden können. Unter dem Strich wäre dennoch mit einem Steuermehraufkommen in Höhe von jährlich fünf bis zehn Milliarden Euro zu rechnen. Diese Einnahmen würden direkt in die Landeshaushalte fließen undhoffentlich auch an die Kommunen weitergegeben werden, bei denen der größte Anteil öffentlicher Investitionsbedarfe liegt.

Nun liegt es am Bundesverfassungsgericht, die erforderliche Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer anzustoßen. Bereits 2014 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Privilegierung von Betriebsvermögen unverhältnismäßig sei. Eine weitere Klage, die in Fachkreisen als sehr aussichtsreich bewertet wird, dürfte in diesem oder nächsten Jahr entschieden werden. Vielleicht wird die künftige Koalition diese Chance nutzen können.

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