Die Konzentration digitaler Macht bei wenigen Tech-Milliardären wie Mark Zuckerberg oder Elon Musk verändert die Meinungsbildung und manipuliert so unmittelbar demokratische Prozesse in Europa. Wenn Plattformen wie Meta oder X unreguliert handeln oder unsere Gesetze missachten, werden Desinformation, Hassrede und manipulativen Kampagnen Räume geöffnet.
Das eigentliche Problem liegt in der unkontrollierten Machtakkumulation weniger Akteure. Die Macht der Tech-Elite äußert sich konkret durch Geld in Reichweite, Daten und politischem Einfluss. Sie verschiebt die Gestaltungsmacht von demokratischen Institutionen hin zu Einzelpersonen und gefährdet so die demokratische Verfasstheit unseres Gemeinwesens. Inmitten wachsender geopolitischer Spannungen – von Chinas Marktdominanz bis zu Russlands Aggression – wird die digitale Dimension zu einem zentralen geopolitischen Faktor mit weitreichenden innenpolitischen Konsequenzen.
Meinungsfreiheit braucht Schutz durch klare Grenzen, also auch Regeln für die Interaktion auf Plattformen. Diese müssen konsequent durchgesetzt werde. Europa muss jetzt digital erwachsen werden und handeln, um sich nicht der willkürliche und unberechenbaren Tech-Elite zu unterwerfen. Um sich von dieser Abhängigkeit zu lösen, braucht Europa digitale Souveränität, auch durch eigene Alternativen. Deutschland muss dabei eine Vorreiterrolle einnehmen, um Europa im digitalen Zeitalter unabhängiger und wehrhafter zu machen.
Wir brauchen Innovationen
Digital erwachsen zu werden, muss für Europa insbesondere heißen, auf die Jahrzehnte des Regulierens aufzubauen. Jetzt ist die Zeit, Neues zu schaffen, indem wir Europas Potenzial für die Gestaltung künftiger Technologien entfachen. Damit geht nicht nur die Souveränität Europas und das Versprechen eines freien Lebens in Demokratie einher, sondern auch die Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit der EU.
Daher plädieren wir für eine europäische Plattform als Gegenentwurf zu Meta und Co. Dies kann nur ein digitaler Raum sein, der im Besitz der europäischen Gemeinschaft ist und demokratischen Prinzipien folgt. Es gibt bereits vielversprechende Ansätze, um Alternativen zu den derzeit marktbeherrschenden Plattformen zu schaffen. Signal, Fediverse und Nextcloud sind Beispiele dafür, wie unabhängige und dezentrale Plattformen funktionieren können. Die Alternativen haben bisher jedoch einige Schwächen. Das Fediverse beispielsweise mag zwar für einige eine faszinierende Welt, jedoch bisher zu kompliziert gestaltet sein, um Breitenwirkung zu erzeugen.
Die Ansprüche an eine europäische Alternative sind daher sehr hoch: Sie soll ihren demokratiefeindlichen Alternativen an Benutzerfreundlichkeit und Funktionsumfang in nichts nachstehen – und darüber hinaus den Ansprüchen europäischer Wertvorstellungen genügen, angefangen beim Schutz der informationellen Selbstbestimmung. Der Idealismus einer „Hackerszene“ für freie, föderierte und offene Systeme wird sich an einigen Stellen mit einer Portion Pragmatismus für die Breitenwirksamkeit vertragen müssen. Mehrwert und Nutzen entscheiden dann darüber, ob eine kritische Masse an Nutzern erreicht werden kann oder die Plattform in der Nische stecken bleibt. Wünschenswert ist außerdem, dass die etablierte europäische Alternative weitere Anwendungsbereiche erschließt, damit der Mehrwert für den Einzelnen gewährleistet und gesteigert wird, beispielsweise für eine sichere Beteiligung an demokratischen Prozessen.
Die Antwort ist mehr als eine Plattform
Es geht jedoch nicht nur um alternative soziale Medien. Zentral ist die Frage, ob Europa künftig in der Lage ist, den eigenen Markt an digitalen Produkten zu prägen. Denn die Anwendungen der Zukunft werden auf Technologien beruhen, die bisher noch unausgereift sind oder gar nicht existieren. Eine gute Nachricht ist, dass Europa zumindest in der Entwicklung von Quantencomputern vorne dabei ist. Diese Entwicklung muss gestärkt werden. Um in Zukunft nicht von außereuropäischen Oligarchen abhängig zu sein, muss Europa vor allem die eigene Gestaltungsmacht über diese Technologie ausbauen und die Marktführerschaft stetig sichern. Eine alternative Plattform alleine reicht also nicht.
Es ist ein globaler Kampf zwischen 99 Prozent der Menschen und den wenigen Oligarchen. Europa kann sich entscheiden, unabhängig zu werden. Dabei hat Europa die Wahl, den aktuellen Logiken der digitalen Ökonomie zu folgen und im Ergebnis europäische Oligarchen mit enormer Macht zu bekommen, oder einen eigenen Weg für die Bürgerinnen und Bürger Europas zu gehen.
Was also ist unsere Antwort? Der Kern des europäischen Weges muss die Macht von Individuen begrenzen und die Bedürfnisse der Gemeinschaft voranstellen. Dazu brauchen wir ein interdisziplinäres politisches Umsetzungsprogramm, das selbstbewusst mit staatlichem wie privatem Geld in die europäische digitale Infrastruktur investiert, Unternehmensformen wie Genossenschaften oder Purpose-Unternehmen (mit positiven Zweck) fördert und die bestehenden Qualitäten sowie Besonderheiten Europas wie Greentech oder Quantencomputing bündelt und weiter ausbaut.
Der Euro Stack als Leitidee
Neben den Ansätzen für alternative Plattformen gibt es daher bereits neue Visionen für Europa. Francesca Bria, Vorreiterin einer neuen gemeinwohlorientierten digitalen Datenökonomie, hat mit anderen europäischen Köpfen ein Konzept zu einem „Euro Stack“ vorgelegt. Ziel ist es, Europas digitale Gestaltungsmacht herzustellen, die Rechte der Bürger:innen zu schützen, die Autonomie und Sicherheit zu wahren und die Wirtschaft anzukurbeln. Dafür soll die EU-Kommission massiv in die öffentliche digitale Infrastruktur investieren.
Es geht darum, Technologien zu entwickeln und zu nutzen, die nicht von außereuropäischen Tech-Giganten abhängig sind. Die europäische digitale Infrastruktur soll als Ökosystem gedacht werden. Datensammlung, offene Protokolle und Standards sind die Voraussetzung. Die genannte europäische Plattform geht dann in diesem Ökosystem auf.
Verschiedene Sektoren von Gesundheit über Verwaltung bis zu Transport werden von dieser Entwicklung nachhaltig profitieren. Der Euro Stack könnte für das Europa der Zukunft das sein, was das Airbus-Projekt und Erasmus in der Vergangenheit waren – die Alternative ist eine technologische Selbstaufgabe eines Kontinents, der oft der alte genannt wird.
Der Weg - Was die Politik jetzt tun muss
Die nächste Bundesregierung trägt die Verantwortung, der digitalen Souveränität und wehrhaften Demokratie Deutschlands und Europas endlich Rechnung zu tragen. Sie sollte die Initiative ergreifen und einen europäischen Gipfel zur strategischen Planung eines „Eurostacks“ einberufen. Hier sollten Unternehmen, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik zusammenkommen, um gemeinsame Ziele festzulegen, Ressourcen zu bündeln, sich auf Standards zu einigen und eine Finanzierung auf die Beine zu stellen, um das gebündelte Know-how der klügsten europäischen Köpfe für eine Mission zusammenzubringen.
Ein europäisches soziales Medium wird nur ein Teil dieses Plans sein. Für die Menschen wird dies jedoch der spürbarste Teil sein. Hier verbirgt sich das Potenzial, mehr Demokratie zu wagen. Es lässt sich von transparenten Algorithmen träumen, von einer Unterscheidbarkeit zwischen beliebigen und vertrauenswürdigen Nachrichten sowie von Beteiligung und Partizipation an politischen Prozessen auf allen Ebenen.
Die Aufgabe ist gewaltig und sie ist komplex. Es geht genauso um technische Details wie um eine attraktive Ausgestaltung, die Anreize zur Nutzung schafft. Es ist eine interdisziplinäre europäische Aufgabenstellung, bei der es darum geht, einander zu vertrauen und vorhandene Talente zu nutzen. Das Ergebnis dieser konzertierten europäischen Anstrengung kann ein digitales Ökosystem sein, das sich in Europa etabliert, im globalen Wettbewerb besteht und gleichzeitig unseren demokratischen Werten zu neuem Leben hilft.
Als Manager für öffentliche Innovation bei Project Together hat Robert Peter 2023 Re:form, die Allianz für den Staat von morgen, mitinitiiert. Dort widmet er sich gemeinsam mit Verwaltungspionier:innen den Themen befähigte Kommunen und intelligente Bürokratie. Gleichzeitig ist er als Referent für politischen Dialog und Public Affairs am Weizenbaum-Institut, dem deutschen Internet-Institut, tätig.
Die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Digitalpolitikerin Elvan Korkmaz-Emre ist Digitalberaterin und Direktorin bei Gauly, einer Unternehmensberatung für Strategie und Kommunikation in Berlin. Vor der Zeit im Bundestag für die SPD war sie sieben Jahre als Projektmanagerin in der Stadtentwicklung tätig.