Trotz des im Spätherbst 2021 versprochenen digitalen Aufbruchs folgt auch die digitalpolitische Bilanz der Ampelkoalition dem Muster vorangegangener Regierungen. Statt eine echte Digitalstrategie zu entwickeln, hat sich die Bundesregierung in über 140 politischen Einzelmaßnahmen verzettelt. Digitalprojekte werden weiter nach Ressortlogik entwickelt und implementiert, statt einem übergreifenden Ansatz zu folgen.
Die Verwaltungsdigitalisierung steckt nach wie vor zu oft in den Mühlen des Föderalismus fest oder scheitert an Ressortegoismen. Mehr Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren wurde zwar versprochen – scheiterte in der Realität aber weiterhin regelmäßig an intransparenten und komplexen Verfahren – ob in der Gesetzgebung oder bei der Entwicklung neuer Anwendungen.
Ein Ausweg ist nicht schwer zu finden
Doch es gibt einen Weg aus diesem Muster. Die Bundesregierung wird in die Erfolgsspur kommen, wenn sie Digitalisierung endlich als transformative Herausforderung – also eine grundlegende Veränderung – begreift und entsprechend handelt. Digitalprojekte scheitern seit vielen Jahren an bekannten strukturellen und organisatorischen Hürden. Es liegt in der Verantwortung der Politik, diese Hürden aus dem Weg zu räumen. Mit unserer Transformationsagenda wollen wir dazu beitragen, dass dies in der nächsten Legislaturperiode gelingt.
Hierzu braucht es einen grundlegenden Paradigmenwechsel im politischen Handeln. Anstatt Digitalisierung in kleinteilige IT-Projekte zu zerlegen, muss die Regierung Digitalisierung als umfassende Modernisierung staatlicher Strukturen angehen. Nur so kann Deutschland die Digitalisierung zur Stärkung von Staat und Demokratie nutzen.
Wie das geht? Mit den folgenden vier Schritten:
- Transformation zur Chef:innensache machen
Um Digitalisierung im Kontext einer grundlegenden Staatsmodernisierung in der nächsten Legislaturperiode anzugehen, braucht es ein starkes politisches Mandat. Ob Staatsminister:in im Kanzleramt oder Digitalministerium ist weniger entscheidend als die Frage, ob dieses politische Mandat mit entsprechenden Ressourcen und Kompetenzen ausgestattet ist, um derart große Veränderungen gegen starke Beharrungskräfte durchzusetzen. Hierzu braucht es vollen Kabinettsrang, Zuständigkeit für ressortübergreifende Aufgaben wie die IT-Steuerung des Bundes, die Kontrolle des IT-Haushalts, Organisations- und Personalmanagement sowie die Verbesserung des Gesetzgebungsprozesses und eine starke Digitalagentur als Umsetzungsmuskel. - Arbeitsweise der Bundesregierung modernisieren
Von Klimawandel bis Digitalisierung: Die Bundesregierung soll die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts lösen, aber arbeitet noch wie zu Zeiten der alten Bonner Republik. Insbesondere die Gesetzgebung als Kernprozess des politischen Handelns braucht dringend ein Update, das die Wirkung und Umsetzung bei der Entwicklung von Gesetzen in den Mittelpunkt stellt. Wirkungsorientierte Arbeitsweisen in den Ministerien könnten kontinuierliches Lernen und einen besseren Ressourceneinsatz gewährleisten. Die Forderung nach stärkerer ressortübergreifender Zusammenarbeit findet sich wieder in den Wahlprogrammen. Hierfür müssen aber endlich auch die Voraussetzungen geschaffen werden. Missionsorientiertes Arbeiten kann nicht funktionieren, solange interministerielle Arbeitsgruppen nicht mit Entscheidungsmandaten und Projektbudgets ausgestattet werden. Die Regierung soll steuern, nicht umsetzen! Statt in Ministerien gehört operatives Projektmanagement deshalb in nachgeordnete Behörden. - Föderalismus für die Digitalisierung nutzen
Der Föderalismus gilt gemeinhin als das große Hindernis bei der
Verwaltungsdigitalisierung. Dabei wird verkannt, was im Föderalismus bereits heute möglich ist und wie viel mehr noch möglich wäre, wenn wir an einigen Stellen klug nachjustieren. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die im vergangenen Jahr beschlossene föderale Digitalstrategie: Sie muss als Grundlage genutzt werden, um eine klare und effiziente Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu entwickeln. Hierzu muss der Bund die Finanzierung von IT-Basiskomponenten übernehmen. So kann der Fokus von finanziellen Streitigkeiten auf die Etablierung einheitlicher und zugleich hochwertiger Standards sowie die konsequente Umsetzung der Deutschlandarchitektur gelenkt werden. Weniger Leuchtturmprojekte und stattdessen mehr Geld für das Ausrollen guter Lösungen in der Fläche sollte die Förderpolitik des Bundes prägen – ob bei der Registermodernisierung oder Smart-City-Lösungen. - Transformation demokratisch gestalten
Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft befindet sich im Wandel. Klassische Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft wie Printmedien und Parteien verlieren an Lesern und Mitgliedern und ganz grundsätzlich an Bedeutung. Neue Intermediäre, allen voran die großen Internetplattformen, prägen zunehmend den Diskurs. Bisher profitieren vor allem Populisten und Gegner unserer Demokratie von diesen neuen Bedingungen. Doch demokratische Debatten kann der Staat nicht einfach herbeiregulieren, er muss sie selbst führen und die Chancen neuer Kommunikationskanäle nutzen. Neben den richtigen Regeln brauchen wir staatliche Institutionen, die zielgruppengerecht in den neuen Räum digitaler Öffentlichkeit aktiv und sichtbar sind. Das bedeutet auch, die Modernisierung von Staat und Verwaltung partizipativ zu gestalten – ausgerichtet an den Bedürfnissen von Verwaltungsmitarbeitenden, Wirtschaft und Bürger:innen in verschiedenen Lebenslagen.
Die Erfahrung vergangener Legislaturperioden zeigt jedenfalls: Blumige Versprechen von digitalem Aufbruch und lernendem Staat reichen nicht. Wir müssen unsere Vision von den Chancen der Digitalisierung und der Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens mit konkreten Vorschlägen unterlegen und ihre Übersetzung in die Praxis unterstützen. Nur so kann aus großen Ideen Wirklichkeit werden. Wir wollen mit unserer Transformationsagenda einen Beitrag hierzu leisten. In Forschungsprojekten zu den dort präsentierten Ideen arbeiten wir an weiterer Konkretisierung und untersuchen Ansätze zur Umsetzung. Damit die digitale Transformation in der nächsten Legislaturperiode gelingt.