Das deutsche Lieferkettengesetz sieht vor, dass Unternehmen faire Löhne zahlen, Kinder- und Zwangsarbeit unterbinden, sowie Landraub und Umweltzerstörung verhindern. Forderungen, die hierzulande von Arbeitnehmer:innen selbstverständlich eingefordert werden. Anders sieht es international aus. Dort werden Menschenrechte schnell zum Lippenbekenntnis, wie eine Stichprobe der Bundesregierung zeigt.
Im Jahr 2020 hielten sich mehr als 83 Prozent der befragten Unternehmen nicht einmal Kernelemente ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht. Für die damalige Große Koalition aus CDU und SPD stand fest: Falls „die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen."
Drei Jahre später ist das entsprechende Gesetz in Kraft getreten – doch in den Unions-Parteien will man davon nichts mehr wissen. Friedrich Merz wettert gegen das angebliche „Bürokratiemonster“ Lieferkettengesetz. Ähnlich Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP): Er behauptet, der bürokratische und finanzielle Mehraufwand hinter dem Gesetz sei nicht leistbar. Ist das so? Sprechen Merz und Lindner wirklich das aus, was die Wirtschaft denkt? Wir glauben, dies ist eine nähere Betrachtung wert.
Solides Monitoring der Lieferkette zahlt sich aus
Denn die Unternehmen, die das Lieferkettengesetz bereits umsetzen, zeigen, wie es geht. Ohne Überforderung, und dazu mit einem Gewinn, der die natürlichen Lebensgrundlagen nicht aufzehrt und damit auch die Zukunft künftiger Generationen sichern hilft. Viele Firmen geben ihre Erfahrungen aus der Umsetzungspraxis gern weiter.
Wer statt auf flotte Sprüche auf solide Recherche setzt, findet unzählige Beispiele – vom internationalen Konzern bis zu kleinen oder mittelgroßen Unternehmen. Dabei geht es nicht nur um persönliche Motivation, sondern auch um wirtschaftlichen Mehrwert. Ein solides Monitoring der Lieferkette zahlt sich aus. Denn nur wer die Fakten kennt, kann die richtigen Entscheidungen treffen.
Menschenrechte und Umweltschutz sind kein optionales Beiwerk – sie gehören zum Kern unternehmerischer Verantwortung. Welche problematischen Rohstoffe benötige ich für mein Produkt, mit welchen Herkunftsländern muss ich zusammenarbeiten, und wie kann ich die Produktionsbedingungen vor Ort verbessern? All das sind Fragen, denen sich Manager:innen eigentlich schon heute stellen sollen – und demnächst auch müssen.
Bürokratieärmere Due Diligence
Denn was im deutschen Wahlkampf oft untergeht: Wir sind weder die Einzigen noch die Ersten, die sich für Menschenrechte und Umweltschutz entlang globaler Lieferketten einsetzen. Frankreich, 2023 immerhin zweitwichtigster Exportpartner Deutschlands, hat bereits 2017 ein entsprechendes Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht. Auch die EU hat entsprechende Berichtspflichten beschlossen. Und unter dem Stichwort ESG drängen die Finanzmärkte seit Jahren darauf, dass Unternehmen ihr soziales und ökologisches Engagement entsprechend ausweisen.
Was die wenigsten wissen und manche Parteipolitiker bewusst im Unklaren lassen oder gar verschweigen, ist die Tatsache, dass die Dokumentation von ESG-Kriterien in Deutschland durch das Bilanzrecht geregelt wird. Verantwortlich für dieses Rechtsgebiet sind das Bundesfinanzministerium und das Bundesjustizministerium – zwei ehemals FDP-geführte Ministerien. Trotzdem haben die Liberalen von Anfang an besonders laut gegen das Lieferkettengesetz polemisiert, anstatt in ihrer Regierungszeit durch bessere und unbürokratischere Regelungen den Unternehmen zeitgemäßes Wirtschaften und die Bedienung internationaler Märkte zu ermöglichen.
Die ESG-Berichtskriterien sind wesentlich umfangreicher und detaillierter als die im Lieferkettengesetz enthaltenen risikobasierten Due-Diligence-Sorgfaltspflichten. Diese sind ja gerade darauf angelegt, dort Schwerpunkte zu setzen, wo es in den Lieferketten tatsächlich Probleme gibt oder geben könnte – und um andere, unproblematische Aspekte weniger oder gar nicht zu behandeln. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die traditionelle Finanzmarktlogik eher zu Überregulierung und überbordender Bürokratie führt als eine menschenrechtsbasierte Wirtschaftsregulierung.
Do statt Don´t
Statt immer wieder zu verzögern und damit neue Unsicherheiten zu schaffen, sollte die kommende Bundesregierung die Umsetzung konstruktiv begleiten. Der bisherige risikobasierte Ansatz des Lieferkettengesetzes muss konsequent umgesetzt werden. Das heißt, weg von einer starren Fokussierung auf Unternehmensgrößen und hin zu einer genauen Analyse, insbesondere in Risikobranchen.
Für kleine und mittlere Unternehmen müssen konkrete und niedrigschwellige Beratungsangebote bereitgestellt werden. Dies können beispielsweise standardisierte und einheitliche Musterfragebögen der Ministerien sein. Damit kann auch verhindert werden, dass Großunternehmen ihre umfangreichen Fragebögen und entsprechenden Berichtspflichten auf ihre direkten Zulieferbetriebe abwälzen.
Neben der deutschen und der europäischen Perspektive müssen die Interessen der Arbeitnehmer:innen und die vor dem Kollaps sehenden Ökosysteme in den Blick genommen werden. Statt Umwelt- und Klimaschutz rein technokratisch als Zahlen in der Bilanz zu betrachten, sollten wir den planetarischen Mehrwert dahinter verstehen. Denn letztlich geht es immer auch um die Lebensbedingungen zukünftiger Generationen.
Eine intakte Umwelt und internationale Fachkräfte sind nicht nur ein enormer Wert, sondern zugleich auch eine menschliche Verpflichtung. Denn Arbeiternehmer:innen und ländliche Gemeinschaften vor Ort wissen am besten, wie Lieferketten und Produktionsbedingungen verbessert und nachhaltig gestaltet werden können. Sie sollten deshalb maßgeblichen Einfluss auf die Auslegung und Anwendung von Gesetzen haben, welche die Wirtschaft regulieren. Sie haben kein Interesse an einer unnötigen Bürokratie, sie wollen echte Veränderungen in den Einkaufs- und Produktionspraktiken deutscher Unternehmen – zu ihrem eigenen Wohlergehen, aber auch im Interesse der Zukunft unseres Planeten.
Menschenrechte sind kein optionales Beiwerk
Menschenrechte sind international garantiert und können weltweit vor immer mehr Gerichten geltend gemacht werden. Wer heute verzögert, riskiert, morgen verklagt zu werden. Die deutsche Wirtschaft darf sich nicht weiter wegducken – egal wer nach den vorgezogenen Bundestagswahlen die neue Regierung stellen wird. Sie muss sich vielmehr ihrer internationalen Verantwortung bewusstwerden und entsprechend handeln.
Dass betroffene Arbeitnehmer:innen weltweit und vor allem in den ärmeren Staaten Afrikas, Lateinamerikas und Asiens zunehmend auf die offensichtlichen arbeitsrechtlichen und ökologischen Missstände in den verschiedenen Wertschöpfungsprozessen und Tätigkeiten entlang der globalen Lieferketten aufmerksam machen, auf eine Änderung der Unternehmenspraxis drängen, existenzsichernde Löhne und eine ökologisch nachhaltige Produktion einfordern, ist keine bürokratische Überforderung, sondern eine Überlebensfrage für uns alle.
Der freie Welthandel darf nicht länger auf der Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Süden beruhen. Menschenwürdige, faire und nachhaltige Lieferketten sind nicht nur eine unternehmerische Chance, sondern eine der zentralen sozialen Fragen des 21. Jahrhundert.