Nach dem vollendeten Atomausstieg im Jahr 2022 werden in einigen Jahren auch die Kohlekraftwerke in Deutschland vom Markt verschwunden sein. Denn der wenig ambitionierte Ausstiegspfad der Bundesregierung bis zum Jahr 2038 wird durch die marktwirtschaftliche Entwicklung überholt. Bereits im Jahr 2019 deckten rund 90 Prozent der deutschen Kohlekraftwerke ihre Kosten nicht. Diese Entwicklung hat sich durch Corona beschleunigt. Jüngst kündigte Vattenfall an, dass erst fünf Jahre alte Kraftwerk Moorburg vom Netz nehmen zu wollen.
Damit öffnet sich die Chance für den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien, die nicht nur günstig und versorgungssicher Strom, Wärme und Kraftstoffe liefern, sondern auch klima- und umweltfreundlich sind. Ein wichtiger und notwendiger Aspekt angesichts des Klimawandels, der wachsenden Belastungen für die Umwelt und der dramatischen Auswirkungen für Ökosysteme und Gesundheit weltweit. Deutschland hat mit der Energiewende gezeigt, dass der Wechsel von konventionell zu erneuerbar bislang mit einer enormen Dezentralisierung und Demokratisierung des Energiesystems einherging.
Bürgerinnen und Bürger engagierten sich in Bürgerenergiegenossenschaften oder Bürgerwindparks und installierten Solardächer auf ihr Häuser, Landwirte nutzten ihre Flächen für die Solar-, Wind- oder Bioenergieerzeugung, Quartiere suchten nach Lösungen für die gemeinsame Wärmeversorgung. Und so muss es weitergehen. Politik muss dem wachsenden Anteil von Prosumern, die ihre eigene Energie erzeugen und auch verbrauchen und teilen möchten, endlich einen geeigneten Rahmen geben. Die europäische Agenda mit dem „Clean Energy Package“ und die aktuelle EEG-Novelle sind ein wichtiger Hebel hierfür.
Mehr Bürgerenergie für steigenden Strombedarf
Der Stromverbrauch in Deutschland wird in den nächsten Jahren aufgrund der Sektorenkopplung sukzessive steigen. Die verstärkte Nutzung von Strom aus Erneuerbaren Energien für Elektromobilität, Wärmepumpen und zur Wasserstoffherstellung für Industriebedarfe hat ein immenses Volumen.
Allein in der Stahlindustrie schätzen Experten den Bedarf auf bis zu 170 Terawattstunden grünen Strom, mehr als ein Viertel des heutigen öffentlichen Strombedarfs in Deutschland. Wollen wir die Klimaziele schaffen, muss dieser mit grünem Strom gedeckt werden. Das Potenzial der erneuerbaren Energien ist zur Deckung mehr als ausreichend vorhanden und dabei kostengünstig zu erschließen. Denn schon heute sind erneuerbare Technologien wettbewerbsfähig zu betreiben und die Kosten sinken weiter.
Mit einer angemessenen CO2-Bepreisung würde sich ein fairer Wettbewerb für viele weitere Klimaschutz-Technologien einstellen. Zudem sind im Rahmen der aktuellen EEG-Novellierung die Ausbauziele und die darauf aufsetzenden jährlichen Zielkorridore für Erneuerbare Energien so auszurichten, dass sie der wachsenden Nachfrage nach CO2-freier Energie aus Mobilität, Wärme und Industrie gerecht werden. Um die Bürgerenergie in Deutschland weiter voranzutreiben, müssen die BürgerInnen, aber auch Handwerk und Gewerbe ihre Photovoltaikanlagen dezentral vor Ort als Produzenten und Stromverbraucher nutzen können.
Für diese ‚Prosumer‘ brauchen wir nicht nur bessere gesetzliche Rahmenbedingungen, sondern auch Anreize und weniger Bürokratie für Speicher und eine bessere Verzahnung der Strom-, Gas- und Wärmenetze. Hierfür sind einerseits im Rahmen der EEG-Novellierung wirksame Maßnahmen für den Weiterbetrieb zu benennen, andererseits die Stärkung des Eigenverbrauchs zu regeln. In diesem Kontext ist auch die immer noch ausstehende Umsetzung der europäischen Erneuerbaren-Richtlinie zu nennen, die Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften und dem ‚Energy-Sharing‘ neue Möglichkeiten bietet.
Comeback der Kommunen
Klimaschutz und Erneuerbare Energieversorgung sind seit Anbeginn der Energiewende lokal und dezentral geerdet. Wachsende Bürgerenergie heißt wachsende Teilhabe und Solidarität, denn die Wertschöpfung wird so wieder in die Städte und Kommunen zurückgeholt. Die Folge sind mehr Partizipation und Mitbestimmung in der Wirtschaft und eine aktivere Teilnahme der BürgerInnen am Klimaschutz und der Energiewende. Eine Schlüsselrolle kommt dabei kommunalen Unternehmen und Genossenschaften zu. Sie sind die Segel, mit denen die Bürgerenergie an Fahrt aufnehmen kann.
Zahlreiche Beispiele in Deutschland zeigen bereits, dass die unmittelbare Beteiligung an Wind- oder Solarprojekten, die örtliche Biogasablage, das genossenschaftlich betriebene Kleinwasserkraftwerk oder die kommunale Wärmeerzeugung mittels Erdwärmesonden zu Akzeptanz, Begeisterung und Verantwortung für die Energiewende führt. Mit einer breiten politischen Rückendeckung kann es uns gelingen, nicht nur die Klimaziele zu erreichen und den Strombedarf zu decken, sondern auch die Flächen für neue erneuerbare Projekte zu sichern und Standorte attraktiver zu machen – für Menschen und Unternehmen. Dies zeigen heute schon eine Reihe von Nullemissionsregionen, Bioenergiedörfern oder Hundertprozent-Erneuerbare-Gemeinden.
Bessere Rahmenbedingungen für die Bürgerenergie
Das Ziel von 100 Prozent erneuerbaren Energien erreichen wir nur, wenn wir die Teilhabe an Erneuerbaren-Energien-Anlagen weiter stärken. Deshalb hat der Bundesverband Erneuerbare Energien gemeinsam mit einem breiten Bündnis aus Verbänden und Energiepolitik den Appell „Klimapolitik als Bürgerbewegung gestalten“ gestartet (hier aufzurufen).
Es braucht einen guten Rahmen für Bürgerenergie, für die umfassende sozial-ökologische Transformation. Europa hat dies erkannt und vorgelegt: Sie lässt der Bürgerenergie eine starke Rolle im gemeinsamen Wirtschaftsraum zukommen. Sowohl der „Green Deal“ als auch das „Clean Energy Package“ der Europäischen Union ermöglichen echte Teilhabe durch die eigene Produktion von erneuerbarem Strom und der Möglichkeit zum Teilen. Die Bundesregierung muss nun nachziehen und mit der EEG-Novelle Antworten darauf liefern, wie die europäisch definierten Rechte bis Mitte 2021 auch in die nationale Gesetzgebung Einzug finden können.