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Energie & Klima

Glyphosat Kühe füttern ist eine Wissenschaft für sich

Gegen die Forderung, für die Klimaziele weniger Nutztiere in deutschen Betrieben zu halten, läuft der Bauernverband Sturm: Auf die „klimaeffiziente“ Fütterung komme es an. Das Umweltbundesamt hält dagegen: Weniger Tiere seien unter bestimmten Bedingungen gut fürs Klima.

Sinan Reçber

von Sinan Reçber

veröffentlicht am 08.08.2019

aktualisiert am 09.01.2023

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Umweltschützer fordern, dass Bauern für die Klimaziele weniger Kühe und Schweine halten. Als „populistische Augenwischerei“ bezeichnete der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV) Bernhard Krüsken den Vorstoß: Hält und füttert man die Tiere „klimaeffizient“, ist die Fleischerzeugung laut Krüsken gar nicht so schädlich.

Etwa 73,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gingen 2017 nach Zahlen der Bundesregierung auf das Emissionskonto der Landwirtschaft – dies entspricht 8,1 Prozent der deutschen Gesamtemissionen. Ein Großteil der landwirtschaftlichen Emissionen entfällt mit mehr als einen Drittel auf die Tierhaltung. Aber können die Bauern Nutztiere überhaupt „klimaeffizient“ halten, wie Krüsken behauptet?

„Fleischerzeugung muss nicht grundsätzlich unseren Umwelt- und Klimazielen widersprechen“, erklärt Knut Ehlers vom Umweltbundesamt (UBA). „Die gegenwärtige Art und Menge unserer Fleischproduktion ist jedoch nicht nachhaltig. Hier ist ein Umbau nötig – nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch für die Ernährungssicherheit sowie für den Arten- und Gewässerschutz.“ Mit der Produktion von Fleisch seien hohe Treibhausgasemissionen vor allem in Form von klimaschädlichem Lachgas und Methan verbunden.

Eine Frage der Berechnung

Wie man Nutztiere klimaeffizienter und umweltfreundlicher füttern kann, sei eine schwierige Frage und eine Antwort abhängig davon, wie die Berechnungen angesetzt seien, so Ehlers weiter. „Auf den ersten Blick scheiden beispielsweise Rinder weniger Methan aus, wenn man sie mit Kraftfutter vom Acker anstatt mit Gras ernährt. Dabei wird jedoch vernachlässigt, dass die Kuh dadurch in Konkurrenz zum Menschen tritt, denn vom Acker könnten ja wesentlich effizienter Menschen direkt ernährt werden, was bei Weiden und Wiesen nicht der Fall ist.“

Doch nicht nur das: Unter Wiesen und Weideflächen werde deutlich mehr CO2 im Boden gespeichert als unter Acker. Weiden und Wiesen davor zu bewahren, in Ackerflächen verwandelt zu werden, sei daher immer auch eine Klimaschutzmaßnahme. Vieles deute daher darauf hin, dass die Bauern die Kühe am Ende also doch lieber weiden lassen sollten, als ihnen Kraftfutter vom Acker zu geben.

Flächenverbrauch kann CO2-Berechnungen stark beeinflussen

Will man die durch den Flächenverbrauch entstehenden Emissionen einberechnen, wird es laut Ehlers komplex. „Die eigentliche Frage lautet: Wo ziehen wir die Grenze bei der Ökobilanzierung? Lassen wir die Flächennutzung außen vor, sieht die CO2-Bilanz beim Kraftfutter ganz anders aus, als wenn wir sie mit reinnehmen.“ Das Problem der Emissionen durch Flächennutzung gelte genauso für importierte Futtermittel wie beim Soja aus Brasilien und Argentinien, das als Futtermittel verwendet wird. 

Sicher ist sich Ehlers jedoch in einem Punkt: „Weniger Nutztiere in Deutschland zu halten, ist keine populistische Augenwischerei‘, sondern eine sehr wirksame Klimaschutzmaßnahme. Für mich ist bisher nicht überzeugend geklärt, wie wir unsere Klimaschutzziele ohne eine Reduktion der Tierbestände erreichen können. Daher gehört diese Option mit auf den Tisch.“ Die Abstockung der Tierbestände von vornherein auszuschließen, sei der „falsche Ansatz“.

Ein Hinweis ist dem UBA-Mann jedoch wichtig: „Weniger Nutztiere sind nur sinnvoll, wenn wir auch weniger Tierprodukte konsumieren. Sonst verlagern wir unsere Emissionen nur ins Ausland, weil wir das Fleisch importieren.“ Auch andersrum sei der Zusammenhang wichtig: Sinkt der Konsum, ohne dass die Bauern weniger produzieren, gehe der Fleischüberschuss einfach in den Export und die nationalen Klimaschutzziele würden nicht erfüllt.

Das UBA fordert seit längerem, die Mehrwertsteuer für tierische Produkte von sieben auf 19 Prozent anzuheben und im Gegenzug den Steuersatz von sieben Prozent auf Produkte wie Obst, Gemüse und Tickets im öffentlichen Nahverkehr weiter herabzusenken. Seit Mittwoch ist das UBA damit in parteipolitischer Gesellschaft: Agrarpolitiker von SPD und Grünen haben sich für eine Steuererhöhung auf Fleisch ausgesprochen – auch die CDU zeigt sich offen. Grünen-Chef Robert Habeck sprach sich aber gegen eine isolierte Steuererhöhung aus und plädierte stattdessen für einen weitreichenden ökologisch-sozialen Umbau des Steuersystems.

Schwellenländer im Schnitzel-Boom

Während hierzulande die Debatte um weniger Fleischkonsum tobt, geht der weltweite Trend in eine ganz andere Richtung: Global hat sich die Fleischproduktion in den letzten 50 Jahren fast vervierfacht. Waren es 1965 noch 84 Millionen Tonnen, waren es laut einer Statistik der Welternährungsorganisation (FAO) im Jahr 2017 schon 330 Millionen Tonnen. Die FAO geht davon aus, dass die Nutztierhaltung mit 7,1 Gigatonnen CO2-Äquivalente jährlich für etwa 14 Prozent der menschengemachten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist.

Weil die Menschen in den Schwellenländern sich an die „westliche Ernährung“ mit Burgern, Steaks und Schnitzeln annähern würden, rechnet die FAO bis 2050 mit einer Steigerung der Fleischproduktion auf 455 Millionen Tonnen. Wie die Bundesrepublik und der Rest der Menschheit die weltweiten Landflächen in Zukunft klimagerecht nutzen können, weiß der IPCC: Heute stellt er einen entsprechenden Sonderbericht in Genf vor. mit dpa

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