Sie gilt als Appendix der Notfallreform – und ist doch wichtig, um Signale gegen Überbeanspruchung von Notaufnahmen und für Vorhaben wie die geplante Ambulantisierung zu setzen: die geplante Reform der Rettungsdienste. Michael Weller, Leiter der Abteilung Krankenhaus- und Krankenkassenfinanzierung im Bundesgesundheitsministerium, war sich auf dem Kankenkassengipfel jüngst nicht sicher, „ob wir damit durchkommen“ – und zweifelte an der Machbarkeit des Reformvorhabens noch in dieser Legislaturperiode. Ein Gutachten des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) im Auftrag des Zentralinstituts der kassenärztlichen Versorgung (Zi) zeigt nun, auf wie vielen Ebenen die Rettungsdienste mindestens auf Landesebene, teilweise aber auch kommunal unterschiedlich organisiert sind.
Strenggenommen betrifft die Reform der Rettungsdienste die (meist medizinisch betreute) Transportleistung vom Anwesenheitsort der nach Hilfe rufenden Patient:innen zur Behandlungsstätte – ein Modell, das in Deutschland etwa seit Ende des 19. Jahrhunderts und in den USA erst seit den Sechzigerjahren existiert. Diese Dienstleistungen werden über Träger (größtenteils Landkreise und kreisfreie Städte) von Leistungserbringern wie Wohlfahrtsorganisationen oder Feuerwehren erbracht, von den Landesverbänden der Kassen gezahlt und durch Landesgesetze geregelt. Hinzu kommen Gebührenfestsetzungen auf kommunaler Ebene, die zu einem kleinteiligen Flickenteppich führen. Berlin, Hamburg, Rheinland-Pfalz und das Saarland verfügen über landesweit einheitliche Vergütungsvereinbarungen mit den Rettungsdiensten. In Bayern, dem Saarland und Sachsen können sich Kommunen zu Zweckgemeinschaften zusammenschließen, sodass zwei oder mehr Kommunen als Leistungsträger in Erscheinung treten.
Zwei Finanzierungsschienen und ein Mischmodell
Es beginnt bei der Finanzierung: Die Hälfte der Bundesländer regelt sie allein über Benutzungsentgelte, also monoistisch. In weiteren sieben Ländern gilt die dualistische Finanzierung aus Entgelten und Investitionszuschüssen. Berlin spielt eine Sonderrolle, weil dort die Berliner Feuerwehr eine dualistische Regelung beansprucht, während die übrigen Rettungsdienste nur über Entgelte entschädigt werden. Zwei Modelle gibt es ebenfalls bei der Festsetzung der Gebühren und Entgelte: Erstere werden nach dem sogenannten Submissionsmodell festgesetzt, also als hoheitlicher Akt etwa der Landesregierung, bei der es aber Anhörungspflichten geben kann. Beim Konzessionsmodell gibt es Entgeltvereinbarungen zwischen Kosten- und Leistungsträgern, so etwa in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und für alle GKV-Patient:innen auch in Sachsen. Berlin und Hessen fahren Mischmodelle. In Konzessions-Ländern existieren Schiedsstellen bei Nichteinigung. Das Kostendeckungsprinzip haben alle Bundesländer bis auf Baden-Württemberg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern in ihren Landesgesetzen verankert. In Berlin gilt für alle Rettungsdienste außer der Berliner Feuerwehr ein Wirtschaftlichkeitsgebot.
Für die Frage nach dem Kostenausgleich bei Über- oder Unterschreitung der veranschlagten Kosten und/oder Kosten in einer bestimmten Periode könnte vor allem Hessen Vorbild sein: Das Bundesland hat die detaillierteste Regelung zu diesem Thema. Sie sieht Kostenausgleiche unter einzelnen Leistungserbringern vor, wenn die Leistungen von den Schätzungen abweichen – werden Kosten über- oder unterdeckt, ist aber kein Ausgleich für einzelne Leistungserbringer vorgesehen. Unter- oder Überdeckungen in ganzen Rettungsdienstbereichen müssen in Hessen bei darauffolgenden Vereinbarungen berücksichtigt und innerhalb von drei Jahren ausgeglichen werden – all diese gesetzt den Fall, dass kein Wagniszuschlag vereinbart wurde. Sachsen-Anhalt hat eine Kann-Regelung, bei der von der Projektion abweichende Einsatzzahlen und Kosten in Entgeltverhandlungen diskutiert und eventuell Ausgleichszahlungen vereinbart werden können. Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Bayern haben verpflichtende Regelungen zum Überdeckungsausgleich und Soll- oder Kann-Regelungen zum Ausgleich von Kostendefiziten.
Blumenstrauß an erstattungsfähigen Leistungen
Die größte Diversität findet sich laut IGES bei den erstattungsfähigen Kosten. Die Beschreibungen reichen von „der bewertete Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen für die Erbringung von rettungsdienstlichen Leistungen und die Vorhaltung der dafür erforderlichen Mittel“ (bayerische Regelung zu Entgelten) bis hin zu detaillierten Listen. Vor allem die Kommunalabgabegesetze spielen hier eine besondere Rolle, mehrfach genannt sind spezifisch die Aus- und Fortbildungskosten für das Rettungsdienstpersonal, Kosten für Fehlfahrten und die Kosten der integrierten Leitstellen. Für Fehlfahrtenkosten weisen sieben Bundesländer Regelungen auf; Baden-Württemberg, Berlin und Hamburg erheben Gebühren gegenüber den Verursachenden. Weitestgehend ungeregelt sind die auslösenden Umstände für die Gebührenpflicht, lediglich Hamburg definiert die Alarmierung des öffentlichen Rettungsdienstes als Auslöser. Hessen setzt den Zeitpunkt der Alarmierung als Beginn der Hilfsfrist fest.
„Grundsätzlich gilt bei der Finanzierung eine Vollkostenbetrachtung“, so der Zi-Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried. Dies umfasse auch die Kosten der Ausbildung von Notfallsanitätern. „Allerdings unterscheiden sich die Ausführungen zur Umsetzung auf Landesebene teils erheblich“, so von Stillfried. Alle Rettungsdienstgesetze eröffneten aber die Möglichkeit, Patientinnen und Patienten in eine geeignete Einrichtung zu transportieren oder dorthin zu verweisen. „Dies könnten künftig neben Krankenhäusern vermehrt auch Arztpraxen sein, die entsprechende Akutfälle in ihre Praxisabläufe integrieren können und sich als Anlaufstellen zur Verfügung stellen“, so von Stillfried. Hierzu existierten bereits in vielen Bundesländern erste Ansätze.
Die Weitergabe von erzielten Einsparungen, etwa durch vermiedene Krankenhausbehandlungen, kürzere Bindungszeiten von Rettungswagen oder gar vermiedene Rettungswageneinsätze gestalte sich aber nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Berücksichtigung von Investitionen beziehungsweise Vorhaltekosten in Verbindung mit restriktiven Regelungen im Sozialgesetzbuch V noch schwierig, so die Erklärung des Kasseninstitutsleiters. Die gesetzlichen Kassen sehen die Rettungsdienste auch als Kostentreiber, stieg deren Inanspruchnahme doch zwischen 2010 und 2022 um 2,7 Milliarden Euro auf insgesamt vier Milliarden Euro.
Marschroute: Reformvorschläge im ersten Quartal 2024
Trotz aller Regulierungsunterschiede sei er sicher, dass die Reform noch in dieser Legislaturperiode gelingen kann, ist sich derweil Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Dahmen ist als Medizinaldirektor und Oberarzt in der Ärztlichen Leitung des Rettungsdienstes für die Berliner Feuerwehr selbst mit Rettungsdienst-Erfahrung beschlagen. „Neben dem bereits beschlossenen Krankenhaustransparenzgesetz und der in Arbeit befindlichen Krankenhausreform, werden wir noch im ersten Quartal des kommenden Jahres eine Notaufnahmereform und eine Reform zur Stärkung von Wirtschaftlichkeit und Qualität des Rettungsdienstes auf den Weg bringen“, kündigt Dahmen an. Daran bestünden in der Koalition „keinerlei Zweifel“.
Dahmen sieht Notfall- und Rettungsdienstreformen als zwei Teile eines Reformpakets: „Es ist offensichtlich, dass es für eine funktionierende Gesundheitsversorgung eine bessere Patientensteuerung bei Notfall- und Akutfällen, verbindlichere und einheitliche Versorgungsstrukturen, sowie eine Diversifizierung und Digitalisierung von Hilfsangeboten braucht.“ Als Beispiel nennt er den Einsatz von Gemeindenotfallsanitätern, Ersthelfer-Apps, Telenotärzten oder durch eine bessere Zusammenarbeit der Notrufnummern 112 und 116117 (ärztlicher Bereitschaftsdienst). Was die Länder jetzt bräuchten, seien Regelungen im Bund, die solche Angebote als Alternative zu unnötigen und teuren Krankenhausaufenthalten auskömmlich finanzierten und so flächendeckend verlässlich bereitstellten.
„Die Reform der Notfallversorgung und damit verbunden auch der Rettungsdienste muss so schnell wie möglich kommen“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Andrew Ullmann. Bei den Grundzügen sei man sich „relativ einig“. „Aber wir erwarten zeitnah, noch dieses Jahr, Vorschläge aus dem BMG, die sich rechtssicher umsetzen lassen und welche die komplexe Zuständigkeitsstruktur zwischen Bund und Ländern beachten“, so Ullmann. Ziel solle dabei auch eine die Vereinheitlichung der Vergütung sein. Insbesondere müsse über die Gegenfinanzierung beziehungsweise die Vorhaltekosten des Einsatzes der Kassenärztlichen Vereinigungen nachgedacht werden.