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Gesundheit & E-Health

Pflegekompetenzgesetz Neustart für die Pflege?

Viel Rückhalt und Zustimmung erfährt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei seinen Plänen, den Pflegekräften mehr Rechte und Kompetenzen einzuräumen. Nun müssen die Eckpunkte jedoch in einen Gesetzesentwurf überführt werden und dabei gibt es eine Menge zu beachten, wie vor allem die Ärzteschaft betont.

Dana Bethkenhagen

von Dana Bethkenhagen

veröffentlicht am 20.12.2023

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Seit vielen Jahren fordert der Deutsche Pflegerat unermüdlich umfassende Handlungsautonomie für beruflich Pflegende. Nun soll sie tatsächlich Wirklichkeit werden. Gestern stellte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Eckpunkte für sein bereits angekündigtes Pflegekompetenzgesetz vor. „Wir sind heute beschenkt worden“, kommentierte das die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, in spürbarer Weihnachtslaune. Mit dem geplanten Gesetz sollen gut ausgebildete Pflegekräfte deutlich mehr medizinische Kompetenzen zugesprochen bekommen, was den Pflegeberuf auch insgesamt attraktiver machen soll. Dass Lauterbach jetzt diesen Kurs einschlägt, gehe auch auf den Druck auf den Gesundheitssektor zurück, glaubt Vogler. Der demografische Wandel mache sich zunehmend bemerkbar, sowohl ärztliche als auch pflegerische Ressourcen würden knapp und müssten effektiver genutzt werden.

Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, betonte die Notwendigkeit, Pflegekräften mehr Kompetenzen zu geben. Vogler und Reinhardt gehörten zu den – offenbar kurzfristig – eingeladenen Spitzenvertretern der Gesundheits- und Pflegebranche, mit denen Lauterbach gestern über die Inhalte seines geplanten Gesetzes sprach. Mit dabei waren laut Lauterbach auch Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und des Hausärzteverbandes.

Grundlage für das Gespräch war ein 15 Punkte umfassendes, nicht ressortabgestimmtes Eckpunktepapier. Demnach sollen die Befugnisse der Pflegefachpersonen zunächst auf den Bereich der häuslichen Krankenpflege ausgeweitet werden. Für andere bestehende oder zukünftige Versorgungsbereiche solle dies noch geprüft werden. Explizit genannt werden hierbei die Level-1i-Krankenhäuser, also interdisziplinäre Basisversorger,die im Zuge der Krankenhausreform entstehen sollen, sowie Gesundheitskioske und Primärversorgungszentren, die mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz umgesetzt werden sollen. Dieses soll nun – nachdem es ursprünglich bereits in der ersten Jahreshälfte 2023 verabschiedet werden sollte – erst ein Jahr später fertig werden. Unter anderem, weil es inhaltlich noch einmal ergänzt werden soll. Lauterbach sprach von einer neuen geplanten Vergütungssystematik für Hausärzte, die die „kostbare Ressource“ besser abbilde.

„Quantensprung zur Aufwertung des Pflegeberufs“

Um eine effizientere Nutzung der vorhandenen Ressourcen gehe es letztlich auch bei dem geplanten Pflegekompetenzgesetz. „In der Pflege haben wir ein doppeltes Problem zu lösen“, sagte der Bundesgesundheitsminister. Einerseits gingen immer weniger junge Menschen in die Pflege und andererseits verließen immer mehr professionell Pflegende den Beruf aus Altersgründen. „Wir haben uns darum eine grundsätzliche Reform der Pflegekompetenz vorgenommen“, sagte Lauterbach. Das Brett, das es hierbei zu bohren gelte, sei ein sehr dickes.

Mit den neuen Kompetenzen soll auch das Problem gelöst werden, dass es aktuell nur schwer gelingt, gut ausgebildete Pflegekräfte aus dem Ausland anzuwerben – insbesondere die akademisierten. Die fänden in Deutschland gar nicht das Berufsumfeld vor, für das sie ausgebildet seien, so Vogler. Das könne sich nun ändern, sie sprach mit Blick auf die von Lauterbach vorgelegten Eckpunkte von einem „hochwertigem Papier“. „Das ist ein Quantensprung zur Aufwertung des Pflegeberufs“, sagte die Präsidentin des Deutschen Pflegerats auch ein wenig überrascht. „Beeindruckend ist die neue Haltung des Bundesgesundheitsministeriums zur Pflege.“ Jetzt müsse es aber an die Umsetzung gehen. Das Zielbild der Eckpunkte, einen eigenständigen Heilberuf zu schaffen, stimme jedenfalls.

Etabliert werden soll mit dem Gesetz auch das Berufsbild der Advanced Practice Nurse unter Einbeziehung der Community Health Nurse nach internationalen Vorbildern. Pflegefachpersonen mit Berufsabschluss auf Master-Niveau sollen zur eigenverantwortlichen Ausübung von Heilkunde befähigt werden. Das fordert Vogler seit mittlerweile Jahrzehnten, denn das sei aus ihrer Perspektive eine Schlüsselstelle, um die pflegerische Versorgung in der Zukunft zu sichern.

Ein Meilenstein sei zudem die geplante Schaffung einer zentralen berufsständischen Vertretung der Profession Pflege auf Bundesebene, die mit Befugnissen zur Weiterentwicklung des Berufsverständnisses und der Berufsrollen ausgestattet sein soll und Empfehlungen für eine Muster-Berufsordnung, eine Muster-Scope of Practice und eine Muster-Weiterbildungsordnung aussprechen könne. „Es ist auch richtig, geeignete Beteiligungsrechte der Vertretung bei Prozessen zu prüfen, die berufsständische und pflegerische Fachfragen auf Bundesebene betreffen“, sagte Vogler gestern. Positiv wertet sie außerdem den Umstand, dass Lauterbach erkannt habe, dass für die Umsetzung der Personalbemessungsverfahren in der Langzeitpflege und im Krankenhausbereich vor Ort Unterstützung benötigt werde. Hierzu soll laut Eckpunkten eine Geschäftsstelle eingerichtet werden.

Entlastung der Ärzteschaft

Pflegefachpersonen sollen künftig den Plänen des Ministers zufolge nicht nur Hilfs- und Arzneimittel verschreiben können und damit sowohl Arztpraxen als auch pflegende Angehörige entlasten, für die damit das Ausstellen beziehungsweise das Abholen von Rezepten wegfällt, sondern sie könnten bald auch Aufgaben des Medizinischen Dienstes (MD) übernehmen – sprich: Begutachtungsaufgaben. Dazu heißt es in den Eckpunkten: „Im Bereich der Langzeitpflege soll im Rahmen eines Modellprojektes beim MD geprüft werden, ob und inwieweit eine Festlegung der Pflegebedürftigkeit durch Pflegefachpersonen im Rahmen der pflegerischen Versorgung mit Überprüfung durch den MD zu gleichwertigen Begutachtungsergebnissen sowie einer Entlastung des MD führt.“

Vorgesehen sind in den Eckpunkten weiterhin der Anspruch auf Pflegeprozesssteuerung durch Pflegefachpersonen sowie eine stärkere Einbeziehung speziell ausgebildeter Pflegefachpersonen im Bereich der komplexen Wundversorgung, bei der Versorgung von Menschen mit diabetischer Stoffwechsellage sowie mit demenziellen Erkrankungen.

Mit der Übertragung der Heilkunde auf entsprechend ausgebildete Pflegefachkräfte soll auch die Zeit enden, in denen studierte Pflegekräfte mehr können als sie dürfen und auch deswegen im europäischen Ausland arbeiten. Die angelsächsischen Länder machen es dem Präsidenten der Bundesärztekammer zufolge vor, wie Pflegefachpersonen gewinnbringend eingesetzt werden können. Reinhardt sieht das Vorhaben als Entlastung für die Ärzteschaft. Angesichts der demografischen Entwicklung müssten in Zukunft weniger Ärzte eine größere Zahl von Menschen behandeln. Lauterbach versicherte gestern immer wieder: „Da geht niemandem etwas verloren.“ Reinhardt machte aber auch deutlich, dass über die genaue Ausgestaltung noch intensiv gesprochen werden müsse und es „selbstverständlich“ rote Linien gebe. Dazu zähle er das Ansetzen einer Medikation genauso wie die Verordnung von Medikamenten, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.

Hausärzteschaft sieht noch viele offene Fragen

Auch die Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Nicola Buhlinger-Göpfarth, sieht noch viele offene Fragen. Das betreffe Themen wie Budgetverantwortung, Haftung oder die Grenzen, innerhalb derer eine Übertragung von Versorgungsaufgaben stattfinden kann. Sie sagt aber auch: „Es ist grundsätzlich richtig, die Pflege zu stärken und die Kompetenzen der Fachkräfte noch breiter einzusetzen.“ Der Verband setzt sich seit Längerem für eine Delegation unter dem Dach der Hausarztpraxis ein, kürzlich stellte er das Konzept „HausärztlichesPrimärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“, kurz HÄPPI, vor.

Rückhalt für die vorläufigen Eckpunkte für das Pflegekompetenzgesetz, das bis zum Sommer 2024 in Kraft getreten sein soll, bekommt Lauterbach auch von Kassenvertretern. Jens Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, begrüßt die geplanten zusätzlichen Kompetenzen für Pflegefachpersonen und sagte: „Nach wie vor gibt es viele Vorbehalte von unterschiedlichen Seiten, der Pflege mehr Verantwortung zu übertragen.“ Doch gerade angesichts des großen Fachkräftemangels in der Pflege sei es ein richtiger und wichtiger Schritt, dass die Bundesregierung die Pflegeberufe durch zusätzliche Kompetenzen stärken will. „Die verschiedenen Gesundheitsberufe müssen bereit sein, stärker als bisher interprofessionell im Team zusammenzuarbeiten und im Sinne der Optimierung der Versorgung Aufgaben entsprechend umzuverteilen“, sagt er.

Dazu braucht es deutlich mehr akademisierte Pflegekräfte. Während der Wissenschaftsrat eine Akademisierungsquote von 20 Prozent als Zielmarke nennt, liegt sie in Deutschland aktuell bei unter zwei Prozent, wie Vogler auf Nachfrage erklärte. Es brauche deutlich mehr Studienplätze, so die Pflegeratspräsidentin. Fakt ist allerdings, dass heute viele Pflegestudienplätze nicht besetzt sind – mangels Perspektive, glaubt Vogler. Lauterbach betonte, dass man mit dem Pflegekompetenzgesetz zunächst ein neues Arbeitsumfeld schaffen müsse. Dazu sollten dann auch andere Gesetze, wie zum Beispiel jenes zum Bürokratieabbau oder die Digitalisierungsgesetze, beitragen.

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