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Gesundheit & E-Health

KHVVG Konzept der Vorhaltefinanzierung wirkungslos?

Ein neuer Krankenhausreformentwurf liegt vor, doch die Kritik aus allen Lagern hält an. Während die gesetzlichen Krankenkassen über die Finanzierung des Transformationsfonds wettern, vermissen die Krankenhäuser einen kurzfristigen Inflationsausgleich und die Kassenärzte fürchten eine unkontrollierte Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Behandlungen.

Dana Bethkenhagen

von Dana Bethkenhagen

veröffentlicht am 19.03.2024

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Nachdem der Referentenentwurf zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) am Wochenende öffentlich geworden war, folgte gestern die vernichtende Kritik des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß. „Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf zeigt, wie Bundesgesundheitsminister Lauterbach seinen Plan von der Zentralisierung der Krankenhausversorgung umsetzen möchte“, sagte er. Die Stichworte dazu seien: Kleinteilige Struktur- und Personalvorgaben sowie Mindestfallzahlen als Voraussetzung für die Leistungserbringung und dazu eine Finanzierung, die die Universitätskliniken besonders fördere und Grundversorgungskrankenhäuser benachteilige. „Das Konzept der Vorhaltefinanzierung bleibt ohne Änderung gegenüber dem Arbeitsentwurf und damit wirkungslos im Gesetzespaket bestehen“, so Gaß.

Viele der Regelungen, ob es die Vorhaltefinanzierung oder die Leistungsgruppen seien, seien hochkomplex, und man müsse auch die möglichen Interdependenzen zwischen den Regelungen bewerten. „Auffällig ist aber, dass man die Bevölkerung im Ungewissen lassen will, welche Auswirkungen die Reform haben werden, denn erstmals Ende 2029 soll das zuständige Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus die Auswirkungen zur Vorhaltevergütung und dabei insbesondere hinsichtlich der Veränderung der Versorgungstruktur und der Qualität der Versorgung vorlegen“, so Gaß, der kritisiert, dass es keine Auswirkungsanalyse geben wird, die im Vorfeld der Beschlussfassung dieses Gesetzes aber versprochen worden sei. Nun gehe es im Blindflug durch den Umbau der Krankenhauslandschaft bis zum Jahr 2030.

Kassen beklagen Finanzierung des Transformationsfonds

Teils heftige Kritik am Entwurf kam gestern auch von den Krankenkassen und ihren Verbänden – diese wetterten vor allem gegen die wohl wichtigste Ergänzung im auf den 13. März datierten Entwurf: die Finanzierung des Transformationsfonds. „Klar scheint: Die Finanzierung des Krankenhausumbaus soll wie befürchtet allein zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und damit auf Kosten der Beitragszahlenden gestemmt werden – ohne Einbeziehung des Bundes oder der Privaten Krankenversicherung“, so die Vorsitzende des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann. „Das ist nicht nur unfair gegenüber den Beitragszahlenden, sondern auch kontraproduktiv.“

Auch Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V., monierte, dass die Umgestaltung der Krankenhausstrukturen über den Gesundheitsfonds und damit über die Beitragszahlenden finanziert werden soll, begrüßt es allerdings, dass der Minister „den Ländern erfreulicherweise das Schlupfloch verbauen möchte, ihren Anteil am Transformationsfonds aus den (viel zu geringen) Investitionsmitteln umzubuchen“. Die vom BMG unterstellten Effizienzgewinne hält Hohnl für wenig plausibel: „Dass der GKV ab 2025 Effizienzgewinne bis zu 330 Millionen Euro und ab 2026 dann eine Milliarde Euro zufließen sollen, das ist doch angesichts der vielen Unwägbarkeiten sehr fraglich.“ Auch Reimann hält insbesondere die schon „für das Jahr 2025 skizzierten schnellen Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe für komplett illusorisch“.

Wo genau diese herkommen sollen, wird im aktuellen Gesetzesentwurf auch nicht weiter hergeleitet. Angekündigt wird darin nur, dass die GKV wegen „einer verbesserten, stärker koordinierten und spezialisierten, qualitativ hochwertigeren Versorgung der einzelnen Patientinnen und Patienten sowie einer verbesserten stationären Versorgungsstruktur im Rahmen von Ambulantisierung, Bettenabbau, Spezialisierung, dem Entfallen medizinisch nicht notwendiger stationärer Krankenhausbehandlungen und durch Umwandlung der Krankenhausstandorte in sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen“ diese Einsparungen erleben werde.

Kritik an Gießkannen-Finanzierung

Sowohl Reimann als auch Hohnl hoben positiv hervor, dass nun wieder Bewegung in das Reformvorhaben komme. „Aber zentrale Punkte bleiben weiterhin offen“, so Reimann. „So wird zum Beispiel die verbindliche Definition der Leistungsgruppen nachgelagert, aber die schnelle Gießkannen-Finanzierung mit der Refinanzierung der Tariferhöhungen einfach fortgesetzt.“ Damit drohe eine Entkoppelung der Finanzierungsreform von der Strukturreform. „Die Konkretisierung der Strukturreform wird per Rechtsverordnung auf die lange Bank geschoben“, stellt Reimann fest.

Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), betonte gestern, dass das Ziel, die Versorgung durch mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit und eine stärkere Spezialisierung der Krankenhäuser zu verbessern, konsequent verfolgt werden müsse. „Dazu bedarf es einer verbindlichen Definition von Leistungsgruppen auf Basis bundeseinheitlicher Qualitätsstandards“, sagte sie. Aus Elsners Sicht ist für die Versorgung essenziell, dass die Krankenhausreform mit einer Reform des Rettungsdienstes und der Notfallversorgung zeitnah verknüpft wird. „Diese sollten als Gesamtpaket noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden“, meint Elsner.

Das dürfte auch im Interesse des Berufsverbands Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) liegen. Dieser fordert im Zuge der Krankenhausreform und vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs, die gesamte Anästhesiologie, Intensivmedizin und Notfallmedizin resilient zu machen. „Es ist bedauerlich, dass dieser Schlüsselbereich des Gesundheitswesens mit allen insbesondere in Krisenfällen geforderten Kernkompetenzen bei den aktuellen Reformplänen weitgehend ausgeklammert und nicht angemessen auf- und ausgebaut wird“, erklärt BDA-Präsidentin Grietje Beck. „In den von Bundesminister Lauterbach skizzierten Szenarien müssen alle verfügbaren Ressourcen des Fachbereiches, ambulant wie stationär zur Verfügung stehen, um die zu erwartende Anzahl von Verletzten versorgen zu können“, sagt sie.

Plant Lauterbach die „Verstationärung“?

Während die Krankenkassen über die Finanzierung des Transformationsfonds klagen und die DKG über eine unwirksame Vorhaltefinanzierung klagen, fürchten die Ärzte eine unkontrollierte Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Behandlungen. „Breiten Raum finden im Text sogenannte, von den Bundesländern zu bestimmende sektorenübergreifende Versorgungszentren, also Krankenhäuser, die im ersten Entwurf noch Level 1i-Kliniken hießen“, heißt es seitens der Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner. In einer gemeinsamen Erklärung beklagen sie, dass sie nun weit für die ambulante Versorgung geöffnet werden sollen. „Neu aufgenommen wurde dafür auch ein Paragraf 116a, nach dem solche übergreifenden Einrichtungen zur hausärztlichen Versorgung ermächtigt werden müssen, sofern es keine Zulassungsbeschränkung gibt“, führen die drei aus: „Da drängt sich direkt die Frage auf, woher denn die Hausärzte kommen, die dort arbeiten sollen?“ Schließlich herrsche in dem betroffenen Gebiet ja ein Mangel an Hausärzten.

Auch aus Sicht der Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier, wäre es „ein Dammbruch“, wenn Krankenhäuser zukünftig fast überall die Möglichkeit bekämen, hausärztliche Versorgung anzubieten. Das hätte massive negative Auswirkung auf die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung. „Wir fordern Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf, die Notbremse zu ziehen und diese versorgungspolitische Geisterfahrt zu stoppen“, sagen sie beiden. Die Folge dieses Vorhaben wäre, dass Gelder, die eigentlich zur Versorgung in den Praxen gedacht sind, zukünftig in die Krankenhäuser fließen würden – vor allem, wenn zuvor nicht die Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen umgesetzt werde. Das sei nichts anderes als eine „Verstationärung“ der Versorgung auf Kosten der Praxen und ihrer Patientinnen und Patienten.

Zu viel oder zu wenig Geld?

Kritik der Kassenärzte gibt es auch für das zusätzliche Geld, das Krankenhäuser bekommen sollen. „Die ministeriellen Füllhörner für die Krankenhäuser scheinen unerschöpflich zu sein“, klagen die KBV-Vorstände im Hinblick auf eine Änderung der angeführten Tarifkostenfinanzierung. Bereits ab diesem Jahr soll diese vollständig, nicht mehr nur hälftig erfolgen, dies sei „bereits unterjährig und nicht erst für das Folgejahr umzusetzen“. Im Entwurf wird dabei von Kosten „in Höhe eines mittleren dreistelligen Millionenbetrags“ für die GKV schon für 2024 ausgegangen, ab kommenden Jahr ergäben sich „noch nicht bezifferbare jährliche Mehrkosten“. Die KBV spricht von „teuren, milliardenschwere Pseudo-Infusionen, um auch noch das kleinste und unrentabelste Krankenhaus irgendwie über Wasser halten zu können“.

Und die DKG? Der ist der dreistellige Millionenbetrag zu wenig. „Wer das in Relation zu den 500 Millionen Euro Defizit stellt, die die Kliniken jeden Monat durch die inflationsbedingten Kostensteigerungen verbuchen, sieht, dass diese Regelung nicht hilft.“ Zudem beklagt er, dass es keine Regelung gibt, die die Landesbasisfallwerte oder die Psychiatrieentgelte in diesem Jahr maßgeblich anheben würde.

Aus Sicht der DKG ist der Gesetzentwurf zur Krankenhausreform außerdem ein „Affront gegenüber den Bundesländern“ und „eine Absage an das Ziel gleichwertiger Lebensbedingungen in Stadt und Land im Bereich der Gesundheitsversorgung“. Die Krankenhausversorgung werde sich nach diesem Gesetzentwurf sehr stark in den größeren Krankenhäusern und verdichteten Regionen konzentrieren, so Gaß. Der aktuell laufende kalte Strukturwandel werde mit dem Gesetzentwurf nicht gestoppt, sondern im Sinne dieses Konzentrationszieles toleriert und weiter tatenlos hingenommen.

Nur Universitätskliniken sind zufrieden

Obwohl es verfassungsrechtlich klar geregelt sei, dass Krankenhausplanung Ländersache ist, will Karl Lauterbach Gaß zufolge die Entfernung zwischen den Bürgern und ihren Krankenhäusern zentral vorgeben. „30 Minuten Fahrzeit zum nächsten Grundversorgungshaus scheinen ihm zumutbar, obwohl zum Beispiel die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hier nur 20 Minuten vorsieht“, führt Gaß weiter aus. Sehr zweifelhaft sei, wie dieses Gesetz zustimmungsfrei sein soll. „Es ist kaum vorstellbar, dass die vorgesehene Regelung zu den Leistungsgruppen mit dahinterliegenden Mindestzahlen für Eingriffe und Behandlungen nicht als einschneidender Eingriff in die Landeszuständigkeit bewertet werden“, erklärt Gaß. „Die Länder werden das als massiven Eingriff in ihre Verantwortung für die Krankenhausplanung begreifen, war doch die Absprache eigentlich, die Leistungsgruppen und deren Bedingungen aus NRW zu übernehmen, wo es keine Mindestzahlen.“

Zu den wenigen Verfechtern des Reformentwurfs gehört der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD). „Leistungskonzentration, Spezialisierung über Leistungsgruppen und eine Vorhaltefinanzierung sind die Mittel, die eine strukturelle Veränderung unterstützen werden“, sagte der VUD-Generalsekretär Jens Bussmann. Darüber hinaus werde die verstärkte Vernetzung in den Regionen einen wichtigen Beitrag für eine effiziente und qualitativ hochwertige Versorgung leisten.

Mit dem Entwurf seien Strukturveränderungen und der Weg hin zu einer auch in Zukunft funktionierenden Gesundheitsversorgung beschrieben, lobte auch der VUD-Vorsitzende Jens Scholz Lauterbachs Reformentwurf. „Nun braucht es den Mut aller Beteiligten, sich zu verändern, um gemeinsam ein zukunftsfestes System zu garantieren.“

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