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Cybersecurity

Standpunkte Cyberdiplomatische Perspektiven für die China-Politik

Policy Director des Wilfried Martens Centre for European Studies
Policy Director des Wilfried Martens Centre for European Studies

Cyberdiplomatie nimmt in der internationalen Politik stark wachsenden Stellenwert ein. Der Policy Director des Wilfried Martens Centre for European Studies, Peter Hefele, beschreibt den Wettstreit der Systeme im Cyberraum und welche strategischen Implikationen daraus für Deutschland entstehen.

von Peter Hefele

veröffentlicht am 27.06.2022

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Sich dem allgegenwärtigen „Cyber-Hype“ zu entziehen, ist kaum einer Organisation mehr möglich. Kein Wunder, dass sich in den vergangenen Jahren auch im Bereich der Diplomatie ein neues Aufgabenfeld herausgebildet hat: Cyberdiplomatie. Unter dem Einfluss digitaler Technologien und deren Möglichkeiten zur Schaffung virtueller Räume und Interaktionsmöglichkeiten haben sich die Verflechtungen zwischen Staaten und Gesellschaften, Akteure, Einflusskanäle und Instrumente revolutionär verändert. Das stellt die Außenpolitik von Staaten vor radikal neue Herausforderungen.

Cyberdiplomatie: Nicht neu, aber in der Bedeutung täglich wachsend

Allerdings war die Erzeugung von (gewünschten) Bildern und Realitäten im zwischenstaatlichen Handeln immer schon eine wesentliche Aufgabe von Diplomatie. Und insofern sind die Erzeugung, Gestaltung und Kontrolle „virtueller Sphären“ bereits zentrale Themen in der „klassischen“ Diplomatie gewesen. Doch mit der revolutionären Fortentwicklung des Internets entwickeln sich beinahe täglich neue Möglichkeiten, „computermedial erzeugte Sinnhorizonte“, wie sie der Medientheoretiker Clemens Apprich beschreibt, und eigene Raum- und auch Zeitdimensionen zu erschaffen und diese politisch zu gestalten.

Gegenwärtig werden die Grundlagen einer zukünftigen globalen Cybergesellschaft gelegt. Dies mag für den Moment noch reichlich abstrakt klingen und vieles deutet im Moment eher auf eine „Territorialisierung“, wie sie der Friedensforscher Daniel Lambach beschreibt, oder sogar Fragmentierung des Internets hin (Background berichtete).

Wir müssen deshalb in Zukunft mit permanenten Abgrenzungen, wechselnden und überlappenden Räumen und „Besetzungen“ virtueller Sphären rechnen. Wie diese täglich neu zu vermessende „Landkarte“ aussehen wird, darauf haben staatliche Institutionen und Regulierungen einen wesentlichen, wenngleich aber keinesfalls ausschließlichen Einfluss. Solche virtuellen Realitäten bei der Formulierung von Zielen, der Entwicklung und dem Einsatz neuer politisch-kommunikativer Instrumente als integralem Bestandteil zwischenstaatlichen Handelns zu berücksichtigen, umreißt wesentlich das Aufgabenfeld von Cyberdiplomatie.

Rein reaktive Abwehrstrategien greifen zu kurz

Wenn es überhaupt bereits umfassendere Konzepte in diesem Feld gibt – wie etwa die der Europäischen Union (EU) zur Cybersecurity Strategy (EUCSS) im Dezember 2020 –, dann dominiert nach wie vor die (re)aktive Abwehr von Bedrohungen aus dem Cyberraum. Aber die vieldiskutierte Cybersicherheit ist eben nur eine Dimension politisch-diplomatischen Handels und von Cyberdiplomatie. Aufgrund dieser historischen Entwicklung waren die Begriffe „Cybersicherheit und Cyberdiplomatie“ lange Zeit eng miteinander verbunden oder wurden sogar als identisch verstanden. Erst in den letzten Jahren haben sich diese voneinander gelöst, um weitere Aspekte einzubinden.

Im Folgenden betrachte ich deshalb stärker Bereiche jenseits des Feldes Cybersecurity. Die komplexe Auseinandersetzung mit der „Cybersupermacht“ Volksrepublik China bietet hier einen interessanten „Lern- und Handlungsraum“ und kann als Beitrag zur Fortentwicklung einer zukünftigen China-Politik angesehen werden. Es bestehen hier weitgehende konzeptionelle Übereinstimmungen zwischen der nationalen deutschen und europäischen Ebene, da die EU dieses Politikfeld immer stärker in ihre Regelungskompetenz ziehen und eine globale Vorreiterrolle einnehmen möchte.

China, Europa, USA – wer dominiert das Internet?

Zwei Aspekte werden hier genauer in den Blick genommen, um einen Eindruck von der Vielfalt der Herausforderungen und möglicher Instrumente zu vermitteln: Zum ersten die Schaffung und Regulierung eines globalen Cyberraumes sowie die Gestaltung von virtuellen Öffentlichkeiten im Ausland.

Geht man von „drei digitalen Reichen“ (Susan Ariel Aaronson) aus – den USA, der Volksrepublik China und der EU –, so ist der Kampf um Standards und Regeln im Cyberraum noch nicht entschieden. Deutschland und die EU bekennen sich (immer noch) zum Paradigma, einer multilateralen, regelbasierten Ordnung auch im Cyberraum Geltung zu verschaffen.

Im Moment stehen sowohl in der realen wie virtuellen Weltordnung die Zeichen eher auf eine weitere Fragmentierung und systemische Rivalität, mit konkurrierenden und grundsätzlich inkompatiblen Ordnungsvorstellungen. Die erbitterten Auseinandersetzungen über zukünftige Internetstandards, die Schaffung nationaler Cyberräume in Russland und China, aber auch die transatlantischen Konflikte um den Schutz der Privatsphäre markieren dabei wesentlich Bruchlinien im Cyberraum. Ab wann und mit welchen (offensiven) Mitteln Aggressionen in hybriden Konflikten begegnet werden kann, ist eine ungelöste Frage im Völkerrecht und diplomatischen Alltag. Mit der Einführung von Digitalwährungen und Kryptoprodukten geraten etablierte Finanzsysteme massiv unter Druck, während traditionelle Regulationsmechanismen immer schwächer greifen.

Gestaltung von virtuellen Öffentlichkeiten im Ausland

Die 2000er Jahre waren im Umgang mit der Volksrepublik China mit großen Hoffnungen auf einen gesellschaftlichen Wandel und politische Öffnung verbunden. Eine zentrale Rolle sollte dabei das Internet spielen, um neue Ideen in das Land zu bringen und alternative Organisationsformen zu entwickeln. Doch erfolgte die „Konterrevolution“ durch die Kommunistische Partei innerhalb weniger Jahre. Nun haben sich die Kommunikationsverhältnisse ins Gegenteil verkehrt.

Die Volksrepublik hat eine beeindruckende eigene Cyberdiplomatie-Strategie entwickelt und diese systematisch mit anderen Formen der Einflussnahme wie Investitionen oder militärische Kooperation kombiniert. Hier findet der Wettbewerb mit dem Westen intensiv auf „Drittmärkten“ statt. Eine ungefilterte direkte Kommunikation mit der chinesischen Öffentlichkeit über soziale Medien ist beinahe zum Erliegen gekommen; von Reziprozität kann auch auf diesem Feld schon lange nicht mehr gesprochen werden.

Auch Deutschland und Europa müssen auf virtuellen „Drittmärkten“ aktiv werden

Aus deutscher Sicht muss deshalb der Einfluss auf zwei Ebenen erfolgen: westliche Demokratien müssen sich aktiv in die Mitgestaltung des Diskurses in virtuellen öffentlichen Räumen sowohl in ihren Heimatländern als auch außerhalb engagieren; der bislang eher passive, verbotsorientierte Kampf gegen Desinformation reicht hierzu nicht aus. Und selbstverständlich bleibt es, ähnlich wie im Bereich der Menschenrechte oder Marktzugangsmöglichkeiten, eine zwar undankbare, aber zwingende Aufgabe, gegenüber der chinesischen Politik darauf zu drängen, ungefilterte Kommunikationskanäle in die chinesischen Gesellschaft zu ermöglichen.     

Cyberdiplomatie ist zu einem zentralen Bestandteil zwischenstaatlichen Handelns geworden, weil sich Räume und Interaktionsformen dramatisch verändert haben. Der sich stetig verschärfende Systemwettbewerb zwischen autoritären und liberalen Gesellschaftsmodellen findet, wenig überraschend, gerade in diesen virtuellen Räumen mit steigender Intensität statt. Und er wird wesentlich dort entschieden werden. Cyberdiplomatie wird hierzu einen entscheidenden Beitrag für den Ausgang dieses Konfliktes leisten.

Peter Hefele ist Policy Director am Brüsseler Wilfried Martens Centre for European Studies, dem Thinktank der Europäischen Volkspartei (EVP).

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