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Standpunkte Der Data Act als Chance für die Kommunen

Berater Hubertus von Roenne und der angehende Rechtanwalt Ralf Kleindiek
Berater Hubertus von Roenne und der angehende Rechtanwalt Ralf Kleindiek Foto: privat

Kommunen sollten schnell zu selbstbewussten Akteuren der datenbasierten Gesellschaft werden, schreiben Ralf Kleindiek und Hubertus von Roenne. Der Data Act biete dafür Anlass und Grundlage. Denn allein schon das kommunale Flotten- und Gebäudemanagement berge einen riesigen Datenschatz, der gehoben und genutzt werden sollte. Dafür brauche es aber einen umfassenden Wandel im Denken und Arbeiten, so die beiden Experten.

von Ralf Kleindiek Hubertus von Roenne

veröffentlicht am 18.07.2023

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An diesem Mittwoch ist es soweit: Das Europäische Parlament wird über den Data Act abstimmen. Eine Verabschiedung gilt als sehr wahrscheinlich. Damit wird die Nutzung von Produktdaten neu geordnet. Dies wird besonders für die Städte und Kommunen wichtig werden. Denn ab 2030 gilt ja: Die Verwaltung von Gemeinden und Städten muss klimaneutral erfolgen – damit werden zum Beispiel auch keine zusätzlichen Emissionen für neue Busse im ÖPNV möglich sein. Gleichzeitig wird die Zahl der Fahrgäste um bis zu 50 Prozent steigen.

Dies stellt Städte, Gemeinden und Landkreise vor große Herausforderungen: Wie und wann stelle ich meine Busflotte auf E-Busse bei begrenzten Budgets um? Wie muss die Ladeinfrastruktur ausgelegt sein? Wie ist die Reichweite der Fahrzeuge bei welchen klimatischen Verhältnissen? Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Auch im Digitalen: Wie kann ich die Daten über Fehlfunktionen von oder in Fahrzeugen so analysieren, dass ich Störungen besser erkenne und so bereits im Vorfeld verhindere?

Viele der Daten, die die Kommunen dazu gerne hätten, liegen heute nur den Herstellern der Fahrzeuge vor. Und genau hier setzt der Data Act an. Er wird regeln, dass Nutzungsrechte an den Daten, die durch die Nutzung eines vernetzten Produktes (wie etwa eines Busses) entstehen, in erster Linie dem Eigentümer dieses Produktes zustehen – in dem Fall den Kommunen.

Verwaltungen fühlen sich überfordert

Der Data Act macht nochmal deutlich, was wir ohnehin schon wissen: Daten sind der wichtigste Rohstoff der Zukunft – und Gegenwart. Und: Wir nutzen die Potenziale nicht ansatzweise. Weil wir die Daten nicht so nutzen, wie wir es könnten, liegen mindestens 80 Prozent der prinzipiell nutzbaren Daten brach.

Im öffentlichen Sektor sind Daten eigentlich längst zu einer wertvollen Ressource geworden. Sie spielen einerseits eine zentrale Rolle bei der Optimierung von Prozessen, der Verbesserung von Bürgerservices und der Entwicklung nachhaltiger Lösungen. Andererseits können von der öffentlichen Hand zur allgemeinen Nutzung bereitgestellte Daten erheblichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert schaffen.

Die vielen neuen Rechtsvorschriften und rasanten technologischen Entwicklungen sowie auch die Gefahren im Bereich der Cybersicherheit haben aber dazu geführt, dass viele Organisationen des öffentlichen Sektors sich derzeit überfordert fühlen.

Städte, Kommunen und assoziierte Unternehmen und Verbände sollten so schnell wie möglich zu selbstbewussten Akteuren bei der Transformation zu einer datenbasierten, nachhaltigen Gesellschaft werden und eigene und fremde Daten sinnvoll nutzen. Nur so lassen sich die Klimaziele erreichen, Budgets effizient einsetzen und die Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger langfristig gewährleisten. Mit dem kurz vor der Verabschiedung stehenden Data Act haben die Kommunen eine einmalige Chance, selbst zum gestaltenden Teil der Digitalwirtschaft zu werden.

Warum der Data Act so wichtig ist

„Die EU-Kommission wagt mit dem Data Act den großen Wurf: Die neuen Regeln zum Datenteilen eröffnen neue Perspektiven für die digitale Daseinsvorsorge“, erklärte zu Recht Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU). Und wenn die kommunalen Unternehmen diese Möglichkeiten nutzen, um neue digitale Anwendungen zu entwickeln (gerne auch gemeinsam mit Start-ups und dem kommunalen Mittelstand) oder interne Prozesse zu verbessern, dann kann die digitale Daseinsvorsorge aus der Defensive in die Offensive kommen. Kommunale Unternehmen könnten die Daten von gekauften, gemieteten und geleasten Anlagen nutzen, um zum Beispiel selbst die Wartung durchzuführen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln oder Prozesse zu optimieren.

Datennutzung braucht Transformation

Viele Kommunen und ihre Unternehmen müssen sich für die Datennutzung neu aufstellen. Sie brauchen zunächst ein gemeinsames „Datenverständnis“. Dazu muss ein strategisches Zielbild „Datennutzung“ entwickelt werden. Das ist im Grunde ein Thema, das jedes Unternehmen und jede Organisation als Daueraufgabe begreifen muss und in die Gesamtstrategie der Organisation integrieren sollte.

Kommunen müssen das Thema Datennutzung mit dem strategischen Zielbild „Daseinsvorsorge“ in Einklang bringen: Was sind unsere wichtigsten Geschäftsfelder beziehungsweise Sektoren? Welche sind die wichtigsten Herausforderungen und Ziele in den nächsten fünf Jahren? Welches sind die rechtlichen Anforderungen der Bereitstellung von Daten? Dieses Zielbild legt fest, welche Ergebnisse die Kommune im Bereich der Daseinsvorsorge in den nächsten fünf Jahren erreichen will.

Für viele Organisationen wird außerdem ein umfassendes Dateninventar erstellt werden müssen. Häufig sind Daten aus zentralen Systemen bereits gut erfasst und bekannt. Kaum eine Organisation verfügt aber über eine Gesamtübersicht der verfügbaren Daten, in der Quelle, Datentyp, Vollständigkeit und Qualität, und einige weitere wichtige Kriterien erfasst sind. Schließlich bedarf es einer Data Governance – also interner Regeln zu Verantwortlichkeiten und Nutzung der Daten, die sowohl Austausch und Nutzung innerhalb der jeweiligen Organisation als auch außerhalb umfassen sollten.

Dieser Paradigmenwechsel hin zu einer datengetriebenen Organisationsstrategie bedeutet aber auch: Daten sind kein Thema mehr allein für Expertinnen und Experten. Ganz im Gegenteil! Die Strategie zur Datennutzung muss Aufgabe des Top-Managements sein. Eine datengetriebene Organisationsstrategie muss die wirtschaftlichen, organisatorischen, rechtlichen und technologischen Aspekte zusammenführen.

Ein neues Konzept: Data Spaces

Wie kann nun aber der Austausch von Daten zwischen Organisationen funktionieren? In der EU setzt man ganz auf Data Spaces. Dazu wurde kürzlich der Data Governance Act verabschiedet, der den Rahmen für Datenräume vorgibt. Es wird ein Umfeld zum Datenaustausch geschaffen, das auf die Werte Vertrauen und Souveränität setzt und so bewusst ein drittes Modell einer digitalen Gesellschaft und Wirtschaft propagiert, welches sich von den Modellen in China und in den USA abgrenzt.

Mit dem Mobility Data Space gibt es seit Ende 2022 in Deutschland bereits einen funktionierenden Data Space. Dort sind vielfältige Mobilitätsdaten verfügbar. Ziel ist es, sektorübergreifend die datenbasierte Zusammenarbeit von Verkehrsunternehmen, Automobilindustrie, Mobilitätsdienstleistern und Kommunen zu fördern. Einige weitere Datenräume sind derzeit in der Entstehung. Und wenn nun diese Woche der Data Act verabschiedet ist, dann wird eine neue Ära des Datenteilens und der datenbasierten Innovation anbrechen – so zumindest die Zielsetzung der EU (und es sieht derzeit durchaus so aus, als ob sich dies realisieren wird).

Für Kommunen ist dies eine riesige Chance, vom Getriebenen zum Treiber zu werden. Allein durch die demnächst verfügbaren Daten aus dem kommunalen Flotten- und Gebäudemanagement werden Kommunen zu datenreichen Organisationen (wenn sie denn aktiv werden!). Aber: Keine Kommune und kein kommunales Unternehmen kann alles gleichzeitig machen. Deshalb ist eine Priorisierung erforderlich, die festlegt, mit welchen Sektoren der Daseinsvorsorge beziehungsweise mit welchem Geschäftsfeld begonnen werden soll. Dann gilt es, für die priorisierten Sektoren die entsprechenden Geschäftsmodelle zu entwickeln sowie Rechts- und Investitionssicherheit herzustellen.

Die neuen Möglichkeiten rechtzeitig nutzen

Kommunale Daseinsvorsorge wird zukünftig nur mit einer konsequenten und ganz neuen Nutzung der verfügbaren Daten möglich sein. Der Data Act wird dieser Entwicklung einen ordentlichen Schub geben, aber auch EU-Fördermöglichkeiten für die deutschen Kommunen eröffnen. Die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen sind gut beraten, rechtzeitig für ihre Kommune eine Strategie zur Datennutzung in neuen Dimensionen zu entwickeln.

Ralf Kleindiek war bis April Chief Digital Officer und Staatssekretär für Digitales und Verwaltungsmodernisierung des Landes Berlin. Zuvor war er Director bei der Boston Consulting Group. Der Jurist Kleindiek war in verschiedenen Bundes- und Landesressorts in Leitungspositionen tätig, unter anderem als beamteter Staatssekretär im Bundesfamilienministerium oder als Staatsrat im Hamburgischen Landesministerium für Justiz und Gleichstellung. Kleindiek will nun in Berlin als Rechtsanwalt und Berater tätig sein.

Hubertus von Roenne, Jurist und Co-Gründer des Think-Tanks „Digitize Berlin – Connect Europe e.V.“ ist als Berater tätig. Zuvor war er Chief Digital Officer der GRG Services Berlin GmbH, eines der größten Familienunternehmen Berlins.

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