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Standpunkte Viel gewollt, wenig gemacht! Offene Fragen an die Bildungspolitik

Fredrik Harkort, Mitinitiator der Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter (iddb)
Fredrik Harkort, Mitinitiator der Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter (iddb) Foto: Cleverly

Mit dem Amtsantritt der neuen Bundesregierung rechneten sich digitale Bildungsanbieter Chancen für Veränderung aus. Doch passiert sei in den letzten 100 Tagen zu wenig, resümiert Fredrik Harkort, Mitinitiator der Initiative deutscher digitaler Bildungsanbieter und Gründer eines Ed-Tech-Startups. Er fragt: Quo vadis, Bildungspolitik?

von Fredrik Harkort

veröffentlicht am 15.03.2022

aktualisiert am 17.10.2022

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Ich mag Neuanfänge. Für mich hat es etwas Magisches, live dabei zu sein, wie sich etwas aus dem Nichts heraus entwickelt. Wenn Dinge entstehen – bestenfalls, weil sie gebraucht werden. Umso enttäuschter bin ich, wenn die Magie von Neuanfängen verpufft. So wie im Fall des Aufwinds, der noch im Dezember vom neuen Team im Bildungsministerium zu spüren war.

Als digitale Bildungsanbieter stehen wir auch 100 Tage nach Amtsantritt der neuen Bundesregierung vor enormen Hürden und sind mit wenig Gesprächsbereitschaft dazu konfrontiert. Das sage ich einerseits als jemand, der selbst Teil der Bildungsbranche ist und für bessere Lösungen und Innovationen kämpft. Ich sage es aber auch als Vater, der seinen zwei Töchtern gerne erzählen würde, dass all ihre Mitschüler:innen dieselben Chancen auf Bildungs- und damit gesellschaftliche Teilhabe haben. Das kann ich aber nicht. Zumindest nicht, solange die folgenden Fragen offen sind.

1. Wann fangen wir endlich an, mit und nicht nur über Schüler:innen zu reden?

Kürzlich fragte ich Katharina Swinka, Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz, was sie sich im System Schule wünschen würde. Andere Inhalte? Andere Lehrer:innen? Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit dem, was sie daraufhin antwortete: Beteiligung.

Unsere Schüler:innen sind mündig, haben geniale Zukunftskonzepte und wollen aufs Leben vorbereitet werden. Ja, auch in der Schule. Aber warum reden wir dann nicht mit ihnen, wenn es um die Veränderung des Systems geht? Kämen solche Zukunftskonzepte aus der Mitarbeiterschaft eines Unternehmens, würden wir sie für ihren Intrapreneurship-Geist feiern. Warum tun wir das hier nicht? Wenn mir eine 18-jährige Abiturientin (und Sprecherin aller Schülersprecher:innen!) erklärt, dass sie in erster Linie gehört werden möchte, dann stimmt mich das nachdenklich. Und das sollte es auch die Verantwortlichen in der Politik!

2. Wie lösen wir den Bürokratie-Wahnsinn im Bildungssystem?

Dass nicht einmal zehn Prozent der Gelder aus dem Digitalpakt Schule dort angekommen sind, wo sie gebraucht werden, wundert mich nicht. Warum? Ein Beispiel: Wenn ich als deutschlandweiter, digitaler Bildungsanbieter Kinder aus hilfsbedürftigen Familien im Rahmen von Bildungs- und Teilhabegutscheinen Unterstützung anbieten möchte, dann muss ich dazu mit über 400 Kreisen sprechen – ja, mit jedem einzelnen. Denn nur weil Kreis 1 die Förderung absegnet, heißt das nicht, dass Kreis 2 es auch tut.

Diese kreisbezogene Regelung widerspricht der digitalen Logik, dass eine Plattform bundesweit im Einsatz ist. Sie zeigt aber auch beispielhaft, wo es überall noch hakt. Wie kann es sein, dass ein so essentielles System das Bildungssystem so kaputt-bürokratisiert ist? Das System schafft sich selbst die Möglichkeiten zur Veränderung ab!

Immerhin: Mit dieser Meinung bin ich nicht allein. Auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sieht vor allem in komplizierten Antragsverfahren den Grund für die Umsetzung des Digitalpakts im Schneckentempo. Auch sie beklagt, dass zu viel Zeit vergeht, bis bewilligte Gelder in den Schulen digitalen Unterricht ermöglichen. Aber wie ändern wir das?

3. Warum arbeitet der Bund gegen die digitalen Bildungsanbieter, statt mit ihnen?

Stellen Sie sich vor, Sie bauen einen Tisch. Er ist stabil, hat genau die richtige Größe und passt perfekt in Ihr Gartenhaus. Das teilen Sie sich mit Ihrem Nachbarn. Nun baut auch der Nachbar einen Tisch – allerdings mit nur einem Bein. Obwohl der Tisch entsprechend nicht seinen Zweck erfüllen kann und noch lange nicht fertig ist, besteht der Nachbar darauf, dass Sie ab sofort nur noch diesen nutzen. Wie verrückt wäre das? Willkommen im Bildungssystem!

Fakt ist: Digitale Bildungsanbieter bieten Millionen von Kindern und Jugendlichen täglich stabile, effiziente, maßgeschneiderte, datenschutzkonforme Lösungen, um digital zu lernen. Doch statt auf diese Systeme zu setzen, setzt der Bund auf eigene IT-Lösungen, wie zum Beispiel den eigenen Aufbau einer nationalen Schulcloud.

Anders ausgedrückt: Statt den Prozess, Bildung für alle Akteure zugänglich zu machen, zu beschleunigen, wird er unnötig verlangsamt. Darauf haben nicht nur wir als über 60 Unterstützerunternehmen umfassende Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter, sondern jüngst auch der Didacta Verband e.V. als Branchenzusammenschluss der Bildungswirtschaft und damit des starken Mittelstands hingewiesen. Wir sind da, wir arbeiten täglich mit Systemen, die der Bund gerade erst entwickeln will – und wir fragen uns: Was soll das?

4. Wie erreicht Förderung im Bildungsbereich diejenigen, die sie wirklich brauchen?

Was im Bereich des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) passiert, ist erschreckend. Und das ist noch vorsichtig formuliert! Die Zahlen aus dem Jahr 2021 machen das deutlich: Von den zwei Millionen leistungsberechtigten Kindern und Jugendlichen erhielten nur etwa 55 Prozent Mittel aus dem BuT. Längst hat sich das Paket den Beinamen „Bürokratiemonster“ eingeheimst. Zuständigkeiten werden zwischen den Ämtern hin- und hergeschoben, Leistungen sind laut Expert:innen „schwer zu erreichen“. Trotzdem wurde einander auf die Schulter geklopft für das Paket.

Es wird Zeit, das zu ändern! Mittlerweile sind wir schon so weit, dass die Bundesschülerkonferenz, der Bundeselternrat und der Digitalverband Bitkom ein Recht auf digitale Bildung fordern – und damit dafür plädieren, dass die digitale Teilnahme am Unterricht einklagbar wird. Anders ausgedrückt: Schüler:innen, Eltern und Digitalwirtschaft gehen davon aus, dass nur noch Druck hilft, damit Kinder und Jugendliche das bekommen, was ihnen zusteht. Wir werden lauter – und wir werden nicht aufgeben. Was nun?

Die Bilanz nach 100 Tagen Arbeit der neuen Bundesregierung bleibt für mich eine Bilanz mit zu vielen offenen Fragen. Fangen wir am besten damit an, miteinander und nicht nur übereinander zu sprechen – für weniger heiße Luft und mehr Magie. Und so bleibt mir abschließend nur noch eine, nämlich die fünfte, Frage zu stellen: Wann fängt er denn nun wirklich an, der Neuanfang mit Ihnen, verehrte Bundesregierung?

Fredrik Harkort ist Mitinitiator der Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter (iddb) und Co-Gründer des Ed-Techs cleverly, das Online-Nachhilfe und -Mentoring anbietet.

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