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Digitalisierung & KI

Standpunkte Datenrevolution: Warum das Beste erst noch vor uns liegt

Foto: Lukasz Kobus/Europäische Union

Für die Digitale Souveränität Europas braucht es einen europäischen Markt für Industriedaten, erklärt der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in seinem heutigen Standpunkt.

von Thierry Breton

veröffentlicht am 19.02.2020

aktualisiert am 20.02.2020

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Als Verbraucher haben wir uns längst an eine omnipräsente Datensammlung gewöhnt: Soziale Netzwerke, unser Smartphone, unser neues Auto, vielleicht ein Smart-Home-Assistent: Alle diese Dinge erfassen eine Menge Daten. In vielen Teilen der Industrie hat das Internet-der-Dinge, die Vernetzung von Maschinen in Fertigungsprozessen zu einer immer optimierteren Produktion von Waren und Dienstleistungen, erst Einzug gehalten. Das ist einer der Gründe, warum das Volumen der weltweit erzeugten Daten rapide ansteigen wird, von 33 Zettabytes, also 33 Milliarden Terabytes, im Jahr 2018 auf 175 Zettabytes im Jahr 2025.

Industriedaten: Ein bisher ungenutzter Schatz

Viele denken, Europa habe den „Kampf“ um die Nutzbarmachung dieser Daten bereits verloren. Ich halte das für einen voreiligen Schluss. Aber in der Tat ist es nach meiner Auffassung die grösste industriepolitische Herausforderung unserer Zeit, diesen neuen Daten-„Schatz“ nutzbar zu machen und zwar in einer Weise, bei der europäische Unternehmen nicht übervorteilt werden. Mit unserer Datenstrategie schaffen wir einen Rahmen, der nicht nur unserer Industriestruktur gerecht wird, mit einerseits vielen global gut aufgestellten Playern und andererseits geprägt durch eine Vielzahl kleinerer und mittlerer Unternehmen. Sie müssen in die Lage versetzt werden, selbst die Vorteile aus der Nutzung der Daten zu ziehen. Denn Datensouveränität betrifft nicht nur Verbraucher. Sie betrifft auch und gerade die Industrie.

Denn nicht alle trauen dem mit der Vernetzung verbundenen Datenfluss. Große Cloud-Plattformbetreiber, oft aus Übersee, bieten sich an, um die Analyse zu betreiben oder zumindest die dafür erforderliche Infrastruktur bereitzustellen. Derzeit liegt der globale und europäische Markt für Cloud-Lösungen überwiegend in den Händen amerikanischer und chinesischer Anbieter. Dies birgt Risiken, weil diese Anbieter auch den Gesetzen dieser Länder unterworfen sind und nicht sichergestellt ist, dass etwa dem europäischen Datenschutzrecht im Zweifel Vorrang eingeräumt wird.

Für einen europäischen Binnenmarkt der Industriedaten

Mit unserer Datenstrategie wollen wir einen Beitrag dazu leisten: Daten „teilen“ und Datensouveränität dürfen kein Gegensatz bleiben. Gemeinsame europäische Datenräume sollen es ermöglichen, dass Unternehmen, öffentliche Stellen, Forschende und auch Einzelpersonen bestimmte Daten für präzise Zwecke zur Verfügung stellen können und sich sicher sein können, dass die Zweckbindungen eingehalten werden. Sie sollen auch Zugang zu qualitativ hochwertigen öffentlichen Daten sowie State-of-the-Art Cloud-Infrastruktur und Hochleistungsrechnern ermöglichen. Hierfür wollen wir gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und der Industrie massive Investitionen leisten.

Datensouveränität muss sich insbesondere im Angebot von sicheren Datenverarbeitungsinfrastrukturen niederschlagen. Wir brauchen in Europa sichere und energieeffiziente Cloud-Infrastrukturen und -Dienste, bei deren Nutzung Unternehmen und öffentliche Dienste sicher sein können, dass ihre Daten geschützt und mit der Datenschutzgrundverordnung konform gehandhabt werden. Interoperable cloud-basierte Dateninfrastrukturen und -Dienste sind auch eine wesentliche Voraussetzung für Unternehmen in Europa, um global wettbewerbsfähig zu bleiben und ihr Innovationspotential durch die Nutzung von Daten und Künstlicher Intelligenz zu steigern. Nur 12 Prozent aller Unternehmen in Deutschland haben Cloud-Dienste im Jahr 2018 genutzt. Das liegt hinter dem EU-Durchschnitt von 18 Prozent. Es wird deutlich, dass Unternehmen und die öffentliche Verwaltung in Europa noch nicht genug die Vorteile von Cloud-Lösungen nutzen, wie etwa Einsparungen im Bereich eigener IT sowie eine sicherere und effizientere Speicherung und Nutzung von Daten.

Wir erwarten aber auch in Kürze eine weitere wichtige technologische Innovation: Die Weiterentwicklung von zentralen Cloud-Infrastrukturen hin zu mehr dezentral organisierten „Edge Cloud Computing“-Lösungen. Diese wollen wir nutzen, um unsere Vorstellung von souveräner Nutzung industrieller Daten umzusetzen.

Die EU, Staatsregierungen und die Privatwirtschaft müssen zusammenarbeiten

Das deutsche Projekt Gaia-X zielt ebenfalls auf den Aufbau einer sicheren und vernetzten Dateninfrastruktur ab. Andere Mitgliedstaaten haben ähnliche Initiative wie zum Beispiel die französische „cloud de confiance. Unser Anliegen ist es, Synergien zwischen den nationalen und europäischen Initiativen zu fördern und so viele Akteure in Europa einzubinden wie möglich.

Denn es geht um viel: Angesichts des enormen Potenzials der Datenrevolution müssen wir die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, auch im internationalen Wettbewerb, stärken und sichern. Das können wir nur gemeinsam in Zusammenarbeit zwischen der EU, den Mitgliedstaaten und dem privaten Sektor erreichen.

Ein letzter Aspekt ist mir besonders wichtig: Der Daten-„Schatz“ darf nicht nur der Industrie nützen. Die Gesellschaft insgesamt muss von der Datenrevolution profitieren: Das Gesundheitssystem, öffentliche Daseinsvorsorge und Maßnahmen zum Umwelt- und zum Klimaschutz sind dringend auf eine bessere Datenbasis für Entscheidungen angewiesen. Denn das ist es: Wir Menschen sollen durch mehr und bessere Daten in die Lage versetzt werden, bessere Entscheidungen zu treffen. Wir steuern die Verwendung der Daten, nicht die Daten uns. Dann liegt das Beste der Datenrevolution erst noch vor uns.

Thierry Breton ist EU-Binnenmarktkommissar. Zuvor war er Chef des französischen IT-Konzerns Atos. 

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