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Digitalisierung & KI

Standpunkte Datenstrategie: Von Wikipedia & Co lernen?

Lilli Iliev, Wikimedia
Lilli Iliev, Wikimedia Foto: Jan Apel/CC BY-SA

Mit einer Online-Umfrage zu ihrer geplanten Datenstrategie holt sich die Bundesregierung direkten Input von Bürgerinnen und Bürgern, nicht nur von Fachleuten. Ein guter Zeitpunkt, um Datenpolitik weniger als Wirtschafts- und mehr als Gesellschaftspolitik zu verstehen, meint Lilli Iliev von Wikimedia.

von Lilli Iliev

veröffentlicht am 16.03.2020

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„Bitte nennen Sie bis zu drei Maßnahmen, mit welchen der Staat eine am Gemeinwohl orientierte Datennutzung fördern könnte.” Die letzte Frage der Konsultation zur Datenstrategie der Bundesregierung hat es in sich: Nicht nur hat die Bundesregierung offenbar erkannt, dass strategische Weichenstellungen zu Daten und Information wichtig fürs Gemeinwohl sein können. Sie erwägt hier sogar aktive Förderung einer Gemeinwohlorientierung. Open-Data-Communities, Wikidata-Freiwillige, Civic Tech: Jetzt ist die Zivilgesellschaft im wahrsten Sinne gefragt.

Die Freiwilligen-Communities etwa der verschiedenen Wikimedia-Projekte zeigen schon heute, wie kollektiv kuratierte Daten- und Wissensbestände durch lebendigen Austausch mit öffentlichen Einrichtungen unser aller Leben bereichern können.

Aus Sicht solcher vollständig gemeinnützigen Initiativen sollte die öffentliche Hand deshalb vor allem die Freiwilligenarbeit erleichtern und das bereits lebendige digitale Ehrenamt politisch stets mitdenken. Was dabei zu beachten ist, kann und sollte dem Bundeskanzleramt möglichst vielgestaltig über die jetzt offene Umfrage mitgeteilt werden. Dieses koordiniert nämlich die Datenstrategie der Bundesregierung und wertet die Zuschriften aus.

Tragweite des Begriffs „Daten“ verstehen

Ein Schwerpunkt der Umfrage ist die Förderung digitaler Kompetenzen. Hier können auch Freiwilligen-Communities ihr Wissen etwa als Datenpatinnen- und -paten weitergeben und tun dies auch bereits, wo immer schaffbar. Doch ohne eine Verankerung im öffentlichen Bildungssektor wird es nicht gelingen, daraus eine gesamtgesellschaftliche Selbstermächtigung in Sachen Umgang mit Information im digitalen Zeitalter werden zu lassen. Warum Informationstheorie und Datenkunde nicht nur als Schulfächer, sondern als Grundbausteine auf allen Stufen des Bildungssystems einschließlich Fortbildung, lebenslangem Lernen und Erwachsenenbildung denken?

Digitale Kompetenzen werden genauso in der Politik gebraucht, denn Daten sind nur die transportable Form von etwas viel Grundlegenderem: Information. Darum ist die kommende „Datenstrategie“ in Wirklichkeit eigentlich eine „Informationsstrategie“ und darf keinesfalls falsche Anreize setzen – schließlich geht es immer auch um Informationsfreiheit. Mit diesem Verständnis wird deutlich, welch große Verantwortung die öffentliche Hand bei der Implementierung von Datenzugangs-, Intermediär- oder Treuhandmodellen trägt. Es geht um nicht weniger als darum, den Nutzen für das Gemeinwohl sicherzustellen und keine ungleichen Chancen beim Zugang zu Information entstehen zu lassen. 

Offene Verkehrs- und demografische Daten für eine nachhaltige und sichere Stadtplanung etwa nützen allen Bürgerinnen und Bürgern. Anreizmechanismen für die Datenteilung müssen dabei so gebaut werden, dass sie immer auch auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind, und das muss unabhängig überprüfbar sein. Dass dann auch die Unternehmensgewinne, die durch digitale informationsgetriebene Geschäftsmodelle entstehen, über angemessene Besteuerung zum Erhalt des Gemeinwesens beitragen müssen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. 

Daten-Ökosysteme? Nur mit Interoperabilität und miteinander

Der Aufbau von Daten-Ökosystemen, ein erklärtes Ziel der Datenstrategie, muss durch sichere und interoperable Dateninfrastrukturen und den erleichterten Zugang zu Daten der öffentlichen Verwaltung unterstützt werden. Zentrale Fragen sind zu klären, etwa die nach mehr Rechtssicherheit beim Umgang mit Daten, die nach dem Potenzial pseudonymisierter und synthetischer Daten und die nach Chancen und Risiken des Ansatzes unabhängiger Datentreuhänder. Auch das bürgerschaftliche Engagement braucht mehr Förderung von Experimentierräumen, wie sie derzeit etwa die Initiative „Jugend hackt“ oder die bundesweiten Code for Germany-Labs zu bieten versuchen.

Datenkooperationen zwischen Open-Data-Communities und öffentlichen Institutionen können den Weg in eine gemeinwohlorientierte Datenpolitik aufzeigen: Das Linked-Open-Data-Projekt Wikidata ist mit inzwischen über 78 Millionen Datensätzen die weltweit größte offene und frei editierbare Datenstruktur ihrer Art. Das Schwesterprojekt von Wikipedia dient schon heute vielen Anwendungen als wichtige Grundlage. In dieser Form maschinenlesbar vorliegendes, verknüpfbares Wissen kann von Stadtteil-Initiativen genauso genutzt werden wie im Katastrophenschutz, kann zur Erstellung von Bildungsmaterialien dienen oder Pendlergemeinschaften ermöglichen.

Auch Sprachassistenten wie Siri und Alexa bekommen nur deshalb mittlerweile freie Konkurrenz, weil Linked Open Data allen zur Verfügung steht, nicht nur den Großen. Möglich wird das nur, wenn miteinander gearbeitet wird statt gegeneinander, wenn Interoperabilität hergestellt wird statt Daten-Silos, und wenn nicht zuletzt die Politik sich für offene Standards in der Datenökonomie einsetzt. Eine Art Lackmustest wird sein, wie das Bundeskanzleramt mit all den Daten verfährt, die noch bis zum 3. April über die Umfrage hereinkommen werden.

Lilli Iliev ist Projektmanagerin für Politik bei Wikimedia Deutschland. Sie setzt sich für eine gemeinwohlorientierte Datenpolitik und freien Zugang zu Bildung und Wissen ein und kuratiert die Diskussionsreihe Wikimedia-Salon.

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