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Digitalisierung & KI

Standpunkte Wie wir die Kontrolle über unsere Daten zurückerlangen

Ilja Radusch (r.) und Heiko Pfeffer-Orth (l.)
Ilja Radusch (r.) und Heiko Pfeffer-Orth (l.) Foto: Philipp Plum und Christian Weissenborn/Fraunhofer FOKUS

Die Datenstrategie muss nicht nur die Wettbewerbschancen aller Unternehmen angleichen, sondern auch die bereits entstandenen Wettbewerbsnachteile kompensieren, fordern Ilja Radusch vom Fraunhofer-Institut FOKUS und Heiko Pfeffer-Orth. Wie das gelingen kann, steht im Standpunkt heute.

von Ilja Radusch und Heiko Pfeffer-Orth

veröffentlicht am 15.10.2020

aktualisiert am 19.10.2020

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Zum aktuellen Zeitpunkt zählen sechs der sieben größten Unternehmen weltweit als „Data Companies“. Insbesondere die amerikanischen Unternehmen Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft (kurz GAFAM), deren Erfolg maßgeblich auf der Aggregierung und Auswertung von Daten basiert, stehen aktuell auf Grund ihres starken Wachstums und ihrer Einflussnahme im Mittelpunkt vieler Diskussionen. In Europa gelingt es seit vielen Jahren nicht, Unternehmen erfolgreich zu positionieren, geschweige denn in der Spitzengruppe zu etablieren. Die Politik und die Wirtschaft wollen nun unisono Deutschland und Europa nachhaltig in die Spitzengruppe der Data Companies treiben und entwickeln gerade eine entsprechende Datenstrategie. Mit dieser muss gelingen, die Wettbewerbschancen aller Unternehmen nicht nur in kleinen, vorsichtigen Schritten anzugleichen, sondern auch die bereits entstandenen Wettbewerbsnachteile zu kompensieren.

Das zentrale Problem: Wir leiden an Kontrollverlust, und das auf zwei entscheidenden Ebenen.

Diskriminierungsfreier Erstzugriff bei der Datenerhebung

Erstens: Wir verlieren die Kontrolle über den Erstzugriff auf unsere Daten. Der Erstzugriff stellt den Ausgangspunkt für sämtliche nachfolgenden Wertschöpfungsschritte dar. GAFAM erheben riesige Mengen solcher Daten, die sie exklusiv nutzen: um ihre Produkte zu verbessern, neue Lösungen an den Markt zu bringen oder um sie an Dritte weiterzuverkaufen. Ohne technischen Erstzugriff können europäische Firmen nur hinterherlaufen, da GAFAM gleichfalls Zugriff auf die Daten hat und so einen exklusiven Wettbewerbsvorteil unmöglich macht. Trotz guter Intention, verstärkt die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) dieses Dilemma lediglich, ohne einen angemessenen Wettbewerb etablieren zu können, da insbesondere durch unterschiedliche Auslegungen des Gesetzes die eigene kostenintensive Erhebung ähnlicher Daten nicht durchgeführt wird. Und selbst mit enormen Investitionen in z.B. die Entwicklung eines „europäischen Smartphones“ ließen sich wettbewerbsbehindernde Lock-in-Effekte nicht mehr aufholen. Die Monopolstellung von GAFAM ist und bleibt klar zementiert, da alle Daten – anonym oder nicht –  zunächst in deren Systemen zusammenlaufen.

Die Datenstrategie muss daher für chancengleichen Zugang und Wettbewerb beim Erstzugriff bei und während der Datenerhebung sorgen. Denkbar wäre, den Besitzern der datenerhebenden Geräte die technische Möglichkeit zu geben, zu entscheiden, welche datenverarbeitende Firma den Erstzugriff erhalten soll. Damit könnten sich spezialisierte Datenzwischenhändler entwickeln, die notwendige und produktverbessernde Daten immer noch an die Gerätehersteller ausliefern, diese aber vorher vollständig anonymisieren oder anderweitig veredeln.

Das Geschäft mit den Daten besteuern

Zweitens: Wir verlieren die Kontrolle über die steuerliche Partizipation in der Datenwirtschaft. Würde Google seine Dienste für ein herkömmliches Entgelt anbieten, erhielte der Fiskus für diesen Leistungsaustausch seinen gewöhnlichen Anteil. Durch die Bezahlung der Dienste mittels Daten verschieben die Unternehmen die Monetarisierung innerhalb der Wertschöpfung ohne Steuertricks aus Europa heraus. Für GAFAM besteht zudem kein wirklicher Anreiz wirklich datensparsame Apps zu entwickeln.

Der vermehrte und umfassende Einsatz von KI-Algorithmen verschärft diese Situation zukünftig noch weiter, da insbesondere beim Maschinellen Lernen die technischen Grundlagen – die neuronalen Netze – mit Hilfe von Daten aus dem außereuropäischem Ausland erstellt werden können, die Verwertung und die Leistungserbringung dann aber trotzdem in Europa erfolgen kann. Umgedreht können europäische Firmen so nicht vorgehen, weil insbesondere die Datenerhebung in Europa durch die DSGVO teurer und schwieriger ist als im Ausland. Hier wäre eine wirksame Maßnahme für mehr Chancengleichheit zu verlangen, dass KI-Algorithmen nachweisbar und signifikant mit europäischen Daten entwickelt wurden.

Der Verzicht auf die Besteuerung der Datenerhebung kommt demzufolge maßgeblich den GAFAMs zugute. Wenn wir hier wirksam entgegensteuern und Unternehmen bei der Etablierung nachhaltiger und wettbewerbsfähiger Geschäftsmodelle unterstützen wollen, müssen wir diesen beiden Phänomenen begegnen.

Ein Rechtsrahmen zur Schaffung eines Level Playing Fields

Die Datenstrategie muss daher einen wirkungsvollen Rechtsrahmen vorsehen, der einen diskriminierungsfreien Erstzugriff auf die Datenerhebung technisch verlangt. Zusätzlich müssen die OECD-Pläne für die Digitalsteuer über die frühe Besteuerung der Datenerhebung ein regulatives Mittel etablieren, mittels dessen Unternehmen unabhängig von der späteren Monetarisierung (z.B. durch Werbung) belastet werden können.

Von einem solchen Rechtsrahmen werden alle profitieren: neue europäische Unternehmen, die nun nachhaltig in Daten-basierende Geschäftsmodelle investieren können und nicht allein gegründet werden mit dem Ziel sich als unprofitables Unternehmen von GAFAM kaufen zu lassen.

Gleichzeitig profitiert der Standort Europa, der mit fairen Wettbewerb eine Chance hat, sich mittel- und langfristig von der Dominanz amerikanischer und asiatischer Großunternehmen zu emanzipieren; zusätzlich durch eine Möglichkeit der Regulation, die gleichzeitig auch dringend benötigtes Kapital für Investitionen in die Digitalisierung Europas generiert.

Und nicht zuletzt profitieren die Anwender, für die so mehr Transparenz im Umgang mit eigenen und im Gemeinsinn generierten Daten geschaffen wird.

Freilich ist das kein kleiner Schritt, sondern ein großer, ein mutiger. Aber wann wäre der Zeitpunkt passender als heute, um statt zu Laufen einen Sprung nach vorne zu wagen?

Ilja Radusch ist Leiter des Geschäftsbereichs Smart Mobility am Fraunhofer-Institut FOKUS in Berlin. Co-Autor ist Heiko Pfeffer-Orth, Geschäftsführer der Westernacher Solutions GmbH, einer Digitalberatung mit Sitz in Berlin. 

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