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Energie & Klima

Standpunkte Der Krieg ist kein Klimaschützer

Jens Boysen-Hogrefe, IfW Kiel
Jens Boysen-Hogrefe, IfW Kiel Foto: IfW Kiel

Der Krieg in der Ukraine wird auch dem Klimaschutz schaden, meint Jens Boysen-Hogrefe vom IfW Kiel und bezieht damit die Gegenposition zu einem Standpunkt von Christian von Hirschhausen. Er befürchtet eine Verlagerung von Produktion in Länder, die die CO2-Emissionen nicht regeln und gleichzeitig keine Sanktionen gegen Russland ausgesprochen haben. Auch in Deutschland und der EU verschöben sich die Prioritäten.

von Jens Boysen-Hogrefe (IfW Kiel)

veröffentlicht am 16.06.2022

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Der russische Überfall auf die Ukraine hat die bisherige Energiepolitik in Deutschland und in anderen westlichen Ländern infrage gestellt. Das Bestreben ist groß, die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu reduzieren. Liegt in dieser Krise nun die Chance, den Wechsel hin zu erneuerbaren Energien zu forcieren? So sprach jüngst der Bundesfinanzminister Christian Lindner im Zusammenhang mit erneuerbaren Energieträgern von „Freiheitsenergien“. Zudem sind die Preise für Energie im Zuge des Krieges stark gestiegen, was zusätzlich Anlass geben sollte, sparsamer mit Energie umzugehen. Mehr Erneuerbare und zumindest zunächst weniger Verbrauch klingt nach einem Plus für das Klima.

So eindeutig ist dies allerdings nicht. Vorrangig hat der Krieg die Prioritäten der Politik eben nicht hin zum Klimaschutz verschoben, sondern plötzlich andere politische Ziele auf der Agenda nach vorne gebracht. Dabei ist es unklar, ob die neue Bedeutung strategischer Überlegungen und der äußeren Sicherheit wirklich mit dem Klimaschutz Hand in Hand gehen.

Das Bestreben nach größerer Unabhängigkeit von russischen Energieimporten löst nicht nur ein erhöhtes Interesse an erneuerbaren Energien aus, sondern befördert auch Investitionen in fossile Energien. Neue Bezugsquellen werden erschlossen, Infrastruktur errichtet. Aktuell ist der Staat bereit, dafür auch tief in die Tasche zu greifen. Gerade werden vermutlich in vielen Ländern erhebliche Investitionen zum Ausbau der Förderung und Verteilung fossiler Brennstoffe angeschoben mit dem Ziel, die russischen Lieferungen auszugleichen. Die Kosten für die Nutzung fossiler Energie dürften durch diese Maßnahmen mittel- bis langfristig sinken.

Weniger Kooperation und Verlagerung in Länder und CO2-System

Hierbei dürfte es auch eine Rolle spielen, dass die Politik mit dem Krieg in der Ukraine nicht nur außen-, sondern auch innenpolitisch vor Herausforderungen steht. Angesichts der Inflation, die von der Energieknappheit deutlich befeuert wird und die weite Teile der Bevölkerung belastet, ist der Druck groß, schnelle Linderung zu organisieren – Klimaschutz ist da eher zweitrangig.

Selbst wenn die Politik diesem Druck nicht folgen würde, drohte Ungemach aus klimapolitischer Sicht. Die Energieinflation ist wegen der Abhängigkeit von leitungsgebundenen russischen Gasimporten nicht gleichmäßig über den Globus verteilt. Erst durch den vermehrten Kauf von LNG durch die EU-Länder  verteilt sich der Preisdruck stärker im Rest der Welt. Bliebe es bei einem auf EU-Länder fokussierten Energiepreisanstieg, könnte energieintensive Produktion den Wirtschaftsraum in größerem Maße verlassen. Vermutlich würde dann mehr in Ländern produziert, die Russland nicht mit Sanktionen belegen.

Unglücklicherweise gibt es eine große Schnittmenge von Ländern, die Sanktionen gegen Russland fahren und zugleich Teil des CO2-Zertifikatesystems sind. Je mehr Produktion in Länder mit „billiger“ Energie verlagert wird, die nicht am CO2-Zertifikate-Handel teilnehmen, desto mehr verliert dieses Instrument aber an Wirkung.

Dass die Sanktionen gegen Russland nur von einem Teil der internationalen Staatengemeinschaft getragen werden, während eine Vielzahl von Ländern die Beziehungen zu Russland nicht verändert haben, deutet auf ein weiteres Problem hin. Der Krieg dürfte die Blockbildung verstärken und die globale Zusammenarbeit schwächen.

Je stärker die Weltgemeinschaft in Blöcke gespalten ist, desto weniger dürfte sie kooperieren. Vielmehr steht zu befürchten, dass nun bei Fragen des Klimaschutzes und dessen Umsetzung immer auch strategische Überlegungen eine Rolle spielen werden. Welche Maßnahmen schwächen die eigene Macht, welche die des Gegners? Es ist auch schon ohne diese Dimension schwer genug, die Länder zur Bereitstellung des „öffentlichen Gutes“ Klima zu bewegen. Nun könnte aber nochmal mehr versucht werden, eigenen Beiträgen für das Klima auszuweichen, um die heimische Wirtschaft und damit wohl auch die eigene Machtposition nicht zu schwächen.

Hierbei dürfte es wenig hilfreich sein, dass der Westen und seine Verbündeten im pazifischen Raum zu den am weitesten fortgeschrittenen Ökonomien zählen, während Länder wie China und Indien, die sich nicht von Russland distanziert haben, zu den Schwellenländern zählen und dies auch bei Klimaverhandlungen ins Spiel bringen können. War eine weltweite Ausweitung des CO2-Zertifikatesystems vor der Zuspitzung dieser Konfrontation nur schwer möglich, ist sie nun kaum noch vorstellbar.

Auch im Westen haben sich die Prioritäten verschoben

Angesichts des Mangels an Kooperation der Staatengemeinschaft dürften sich der Abschied von fossilen Brennstoffen und der Aufstieg der erneuerbaren Energien weltweit wohl nur dann durchsetzen, wenn sie in Herstellung und Distribution günstiger sind als die fossile Konkurrenz. Hier können einzelne Länder und Staatenbünde, wie zum Beispiel die EU, immer noch wichtige Schritte tun, indem sie die notwendige Infrastruktur und Innovation finanzieren, wobei es zweitrangig sein dürfte, ob dies durch staatliche oder, angeregt von staatlichen Auflagen, durch private Ausgaben geschieht.

Doch, und hier schließt sich der Kreis, haben sich in den Ländern des Westens mit dem Krieg Russlands die politischen Prioritäten merklich verschoben. Mittel fließen nun in Verteidigung und sogar in den Ausbau von Anlagen für fossile Brennstoffe. Unterm Strich wird der sowieso schon verhängnisvolle 24. Februar 2022 auch für das Weltklima kein guter Tag gewesen sein.

Dieser Text ist nach einem Streitgespräch auf der Abschlusskonferenz des „Dialogs zur Klimaökonomie“ entstanden, die Ende Mai in Berlin stattfand. Sie wurde vom IfW Kiel im Rahmen des Förderschwerpunkts Ökonomie des Klimawandels des Bundesministeriums für Bildung und Forschung organisiert. Der heutige Beitrag von Jens Boysen Hogrefe (IfW Kiel) ist die Gegenrede zum Beitrag von Christian von Hirschhausen (TU Berlin und DIW Berlin), der an gleicher Stelle über „Die weltpolitische Lage als Beschleuniger des Klimaschutzes“ geschrieben hatte.

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