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Energie & Klima

Standpunkte Ein Deal mit Rosatom ist eine Bankrotterklärung

Angelika Claußen, IPPNW
Angelika Claußen, IPPNW Foto: IPPNW

Die geplante Ausweitung der Brennelemente-Produktion im emsländischen Lingen sei gefährlich, meint Angelika Claußen von der NGO IPPNW in ihrem Standpunkt. Der zugrundeliegende Nukleardeal zwischen Framatome und der russischen Atomenergiebehörde Rosatom sei zudem ein politischer Fehler und eine Einladung an die russische Regierung, sich noch tiefer im europäischen Atomgeschäft zu verwurzeln.

von Angelika Claußen

veröffentlicht am 31.01.2024

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Das Ende der deutschen Atomkraftwerke im vergangenen April stellt einen, wenn auch verspäteten, Erfolg dar. In erster Linie ist der Atomausstieg ein Erfolg für die hiesige Energiewende, da nun nicht mehr risikoreiche, teure und unflexible Atomkraft die Stromnetze verstopft. Eine Vervollständigung dieses Atomausstiegs in Form der Beendigung von Urananreicherung im westfälischen Gronau und der Brennelementeproduktion im emsländischen Lingen wären die folgerichtigen nächsten Schritte.

 Damit würde zudem ein entschiedenes Zeichen an die europäischen Nachbarn und die EU gesendet. Die Atomkraft ist ein Bremsklotz der erneuerbaren Energiewende. Ein Europa ohne fossile Energien und Atomkraft ist möglich und ein erstrebenswertes Ziel. Leider ist gegenwärtig in Deutschland nicht viel von solch einer energiepolitischen und atomrechtlichen Souveränität zu erkennen. Dieser Mangel an politischer Konsequenz zeigt sich beim Umgang mit dem Antrag des französischen Staatsunternehmens Framatome, das in seiner Lingener Brennelementefabrik eine Partnerschaft mit Rosatom eingehen will. Der Antrag befindet sich zurzeit im Genehmigungsverfahren in Niedersachsen, auch die Bundesregierung ist involviert.

Rosatom ist als Staatskonzern für den gesamten russischen Atomsektor verantwortlich, was die Atomwaffenproduktion einschließt. Seit März 2022 hält das russische Militär im Rahmen seines brutalen Krieges in der Ukraine Europas größtes Atomkraftwerk, das AKW Saporischschja, besetzt. Rosatom ist der Konzern, der seither die Kontrolle im besetzten Atomkraftwerk übernommen hat. Erst kürzlich berichtete die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO), dass das Gelände um das AKW erneut vom russischen Militär vermint wurde und stellte klar, dass dies mit den Sicherheitsstandards der IAEO unvereinbar ist.

Mögliches Einfallstor für Spionage

Mit Rosatom haben wir es also mit einem Staatskonzern zu tun, der ein militärisch besetztes Atomkraftwerk betreibt und damit auch die Bevölkerung der Umgebung und darüber hinaus in Geiselhaft nimmt. Der Konzern, der der russischen Regierung direkt untersteht, nimmt die Gefahr eines schweren Atomunfalls, einer Kernschmelze an den sechs Reaktoren, in Kauf. Das Putin-Regime setzt dieses Drohpotenzial für die Kriegsführung strategisch ein.

Mit eben diesem Staatskonzern sollen nun in Deutschland unter einer französisch-russischen Kooperation Brennelemente hergestellt werden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter desselben Atomkomplexes, der das AKW Saporischschja besetzt hält und die russischen Atomwaffenproduktion kontrolliert, würden im emsländischen Lingen ein- und ausgehen und wären dort maßgeblicher Partner hochsensibler Produktionsschritte mit hochradioaktiven Stoffen – ein mögliches Einfallstor für Spionage im Atomsektor.

Der Stopp durch das BMUV ist Pflicht

Dass ein solches Vorhaben nicht längst von der Bundesebene unterbunden worden ist, sondern sich gegenwärtig im Genehmigungsverfahren befindet, ist bereits ein Skandal. Noch bis zum 3. März 2024 können Bürgerinnen und Bürger ihre Einwendungen beim Niedersächsischen Umweltministerium einreichen. Sollte die vom Bundesumweltministerium angekündigte eigene Prüfung nicht zum Abbruch des Genehmigungsverfahrens führen, wäre das eine atompolitische Bankrotterklärung der beiden grün geführten Ressorts in Land und Bund, aber auch der Bundesregierung im Ganzen.

Eine Langzeit-Kooperationsvereinbarung zwischen Rosatom und Framatome wurde bezeichnenderweise nur zweieinhalb Monate vor dem russischen Angriff auf die Ukraine von Alexey Likhachev, Generaldirekter des staatlichen russischen Atomkonzerns Rosatom, und von dem Chef des französischen Reaktorbauers Framatome, Bernhard Fontana, unterzeichnet. Die Vereinbarung baut auf langjährigen Beziehungen der beiden Staaten in diesem Bereich auf.

Vertiefte Abhängigkeit in Osteuropa und Finnland

Lingen ist von den Kooperationsplänen betroffen, da im dortigen Werk die Produktionskapazitäten ausgebaut werden sollen, um Brennelemente für Atomkraftwerke des russischen Typs WWER herstellen zu können. Dort steigen folglich die Risiken für die dort lebenden Menschen aufgrund vermehrter Lieferungen radioaktiver Materialien.

Vor allem aber stellen die vertieften Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber Russland ein enormes Risiko dar. Heute haben fünf europäische Länder Reaktoren der russischen WWER-Linie: Bulgarien, Finnland, Ungarn, Slowakei und Tschechien.

Da neben Rosatom kein Hersteller die entsprechenden Brennelemente produzieren kann, sind diese fünf Staaten in ihrer Stromversorgung in einem hohen Maße abhängig von Atomkraft und damit den geopolitischen Interessen des russischen Staates.

Deutschland darf sich auf keinen Fall an der Verstetigung dieser Abhängigkeiten beteiligen. Schließlich käme die Genehmigung des Vorhabens einer Einladung an den russischen Atomsektor gleich. Und dies, während nicht nur von Anti-Atom-Initiativen gefordert wird, Geschäfte im Bereich Atomkraft endlich in die Russland-Sanktionen aufzunehmen.

Frankreichs Atom-Motivlage liegt offen

Natürlich gibt es in Frankreich ein spezielles Interesse an einer deutschen Zustimmung: Framatome ist in finanzieller Schieflage und hat einen Schuldenberg von über 64 Milliarden Euro. Dankenswerterweise hat Präsident Emmanuel Macron die Motivlage selbst unmissverständlich erklärt, als er 2020 vor der Belegschaft der Atomschmiede in le Creusot ausführte, Frankreichs „strategische Zukunft, unser Status als Großmacht, liegt in der Atomindustrie“. Dabei gehe es sowohl um den militärischen als auch um den zivilen Aspekt, denn es gibt, so Macron weiter, „ohne zivile Atomkraft keine militärische Atomkraft, ohne militärische Atomkraft keine zivile“. Deutschlands Interesse an einer ökologischen und nachhaltigen Energiewirtschaft und allein schon sicherheitspolitische Erwägungen sollten die Finanzspritze für eine Krisenbranche im Nachbarland bei weitem überwiegen.

Die deutsche Bundesregierung sollte sich klar positionieren: gegen die Vertiefung europäischer Abhängigkeiten vom Atomsektor und für atomare Abrüstung mit der Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags. Die geopolitischen Implikationen des Nukleardeals zwischen den beiden Atommächten Frankreich und Russland sowie ihrer Staatskonzerne bedeuten eine politische Festlegung auf das Mantra: Atomkraft und Atomwaffen bis in alle Ewigkeit. Führen wir den Atomausstieg stattdessen zu einem erfolgreichen Ende.

Dr. med. Angelika Claußen ist niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie ist Co-Vorsitzende der NGO IPPNW sowie Präsidentin der IPPNW Europa. Die International Physicians for the Prevention of Nuclear War setzen sich seit ihrer Gründung 1980 für atomare Abrüstung und gegen Kernkraft ein.

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