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Energie & Klima

Standpunkte Agrarrohstoffe sind kein Nullsummenspiel

Elmar Baumann, Geschäftsführer des Verbandes der Biokraftstoffindustrie
Elmar Baumann, Geschäftsführer des Verbandes der Biokraftstoffindustrie Foto: Foto: promo

Angesichts der Preissprünge auf den Märkten gibt es die Forderung, die Produktion von Biokraftstoffen aus Agrarrohstoffen einzustellen. Elmar Baumann vom Biokraftstoffverband hält dagegen: Die bereits laufende Marktanpassung sorgt schnell und zielgerichtet für den notwendigen Ausgleich. Eine zeitweilige Aussetzung der Quoten für Biokraftstoffe würde dagegen Schaden anrichten und das Ziel verfehlen, die Ernährungslage zu verbessern.

von Elmar Baumann

veröffentlicht am 28.03.2022

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Wie bei einer Reihe anderer Rohstoffe gibt es infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine derzeit auch auf den Agrarmärkten starke Preissprünge: An einem Tag steigt der Preis für Weizen um 40 Prozent, am nächsten fällt er um 20 Prozent – die Märkte spielen verrückt.

Erste Stimmen sprechen sich aufgrund ausbleibender Exporte aus der Ukraine und unsicherer Lieferungen aus Russland dafür aus, die Biokraftstoffproduktion aus Agrarrohstoffen einzustellen. Die Rohstoffe sollten stattdessen der Ernährung zu Verfügung gestellt werden, um eine weltweite Nahrungsmittelknappheit zu verhindern. 

Während das Ziel der Ernährungssicherheit unstrittig ist – natürlich müssen auch aus Sicht der Biokraftstoffbranche die Nahrungsmittelmärkte zuerst bedient werden –, stellt sich die Frage, auf welchem Wege es tatsächlich erreicht wird. 

Bereits jetzt greifen die Kräfte des Marktes regulierend ein. Aktuell berichten verschiedene Unternehmen, dass die Biodieselproduktion aufgrund des hohen Rohstoffpreisniveaus rückläufig ist; stattdessen fließt das Rapsöl in die Ernährung. Damit zeigt sich, dass der Markt wirksam auf die geänderte Versorgungslage reagiert.  

Die Regulierung ist flexibler als gedacht

Das ist möglich, weil die vermeintlich starren Vorgaben zur Nutzung von Biokraftstoffen tatsächlich erhebliche Flexibilität aufweisen: Biokraftstoffe werden hierzulande durch die Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) gefördert. Die Quote schreibt der Mineralölindustrie vor, den Treibhausgasausstoß ihrer Kraftstoffe im Vergleich zum Jahr 2010 um einen bestimmten Anteil zu senken – derzeit um sieben Prozent.

Hierzu kann sie Biokraftstoffe aus Anbaubiomasse einsetzen. Oder die Mineralölunternehmen nutzen Biodiesel aus Abfall- und Reststoffen, die schon heute einen Anteil von knapp 30 Prozent an der Produktion in Deutschland haben und von der THG-Quote besonders gefördert werden. Gleiches gilt für erneuerbaren Wasserstoff in Mineralölraffinerien und Fahrzeugen. Zudem können auch E-Autos auf die THG-Quote angerechnet werden, was längst zu einem Geschäftsmodell geworden ist und den Autobesitzern ein Zusatzeinkommen von bis zu 350 Euro beschert.  

Weitere Flexibilität bietet die Nutzung von Quotenvorräten: So hat die Mineralölindustrie in den vergangenen Jahren die THG-Quote regelmäßig übererfüllt. Diese Treibhausgasminderungen werden auf die Folgejahre übertragen und stehen als Reserve zur Verfügung – zum Beispiel bei hohen Biokraftstoffpreisen oder Lieferschwierigkeiten. Gegenwärtig stehen sogar Quotenvorräte aus zwei Jahren – 2019 und 2021 – zur Verfügung. 

Erfüllt ein Mineralölunternehmen die THG-Quote nicht, so wird eine Strafzahlung fällig. Es liegt nahe, die sogenannte Pönale zu leisten, wenn die Kosten für Biokraftstoffe höher liegen als die Strafzahlung. Die Nutzung von Quotenvorräten und die Zahlung der Pönale führen zum gleichen Ergebnis: Es werden keine Biokraftstoffe gekauft, die Rohstoffe stehen der Ernährung zur Verfügung.

Die Nachfrage nach Biokraftstoffen, die von der THG-Quote ausgelöst wird, ist also nicht starr, sondern unter anderem von den Preisen im Markt abhängig. Die gesetzlichen Vorgaben bieten außerdem eine gewissen Spielraum, nicht zuletzt durch die Nutzung von Quotenreserven aus den Vorjahren.    

Beim Pressen von Raps entsteht Tierfutter

Grundsätzlich ist der Gedanke falsch, dass die Nutzung von Agrarrohstoffen ein Nullsummenspiel ist, so als könnten sie jeweils nur einem Zweck dienen: Nahrung, Futter, Energieträger oder Material. Die Realität ist vielfältiger, wie das Beispiel Raps zeigt: Die Rapskörner werden in Ölmühlen gepresst. Dabei gewinnen die Ölmüller zu 40 Prozent Rapsöl. Die verbleibenden 60 Prozent Pressrückstand sind eiweißreiches Tierfuttermittel, zum Beispiel für Milchkühe oder Geflügel. Auf diesem Weg trägt Raps auch zur menschlichen Ernährung bei – ganz unabhängig davon, ob das Rapsöl als Nahrungsmittel oder als Biodiesel dient.

Auch die Bioethanolwirtschaft liefert immer Futtermittel: So entstanden in der EU im Jahr 2020 neben 4,42 Millionen Tonnen Bioethanol auch 4,22 Millionen Tonnen Proteinfuttermittel. Die Eiweißfuttermittel aus der Biodiesel- und Bioethanolproduktion ersetzen Sojaimporte

Bei der Herstellung von Biodiesel gewinnen die Produzenten zudem Glycerin, das in praktisch allen Lebensbereichen eingesetzt wird. Glycerin findet sich zum Beispiel in DesinfektionsmittelnZahnpasta oder Kosmetika und wird zur Produktion von Kunststoff und Papier benötigt. Deutschland ist mit einer Jahresproduktion von rund 350.000 Tonnen der größte Glycerinhersteller in Europa. Fast 100 Prozent des Glycerins stammen dabei aus der Biodieselproduktion.

Damit hat diese Form der Bioökonomie fossiles Glycerin aus der Erdölraffinerie vollständig ersetzt. Zudem hat Raps eine wichtige Funktion in der Fruchtfolge. Die nachfolgende Getreideernte steigt ohne zusätzlichen Düngereinsatz um etwa zehn Prozent.

In der deutschen Biokraftstoffwirtschaft sind etwa 20.000 Menschen in vorwiegend ländlichen Regionen beschäftigt, die zur Sicherheit der Energieversorgung in Deutschland beitragen. Im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen verringern Biokraftstoffe Treibhausgase um bis zu 90 Prozent. Sie unterliegen im Gegensatz zur batterieelektrischen Mobilität einer rechtsverbindlichen Nachhaltigkeitszertifizierung. Biodiesel und Bioethanol aus Anbaubiomasse erreichen über neun Millionen Tonnen CO2-Reduktion – jedes Jahr. Biokraftstoffe haben einen Anteil von mehr als 95 Prozent der erneuerbaren Energien im Straßenverkehr.

Produktion aus Anbaubiomasse ohnehin gedeckelt

Ein weiteres Anwachsen des Anteils von Biokraftstoffen aus Anbaubiomasse ist ohnehin nicht möglich, denn sie sind durch deutsche und europäische Gesetze auf dem heutigen Niveau gedeckelt. Biodiesel, Bioethanol und Biomethan liefern jedes Jahr wirtschaftliche Impulse in Höhe von 3,5 Milliarden Euro durch die Agrar- und Biokraftstoffproduktion sowie verschiedene Koppelprodukte, die eine erhebliche Bedeutung für Landwirtschaft und Industrie haben. 

Eine gesetzliche Reduzierung der Biokraftstoffnutzung hätte aufgrund der beschriebenen Verflechtung mit Landwirtschaft und Industrie eine ganze Reihe von Wechselwirkungen zur Folge. Daher sollten keine voreiligen Maßnahmen ergriffen, sondern ein möglicher Nutzen zunächst geklärt und sorgfältig gegen unerwünschte Folgen abgewogen werden.

Die bereits laufende Anpassung im Markt sorgt schnell und zielgerichtet für den notwendigen Ausgleich knapper Agrarrohstoffe. Gesetzliche Regelungen dagegen drohen, der komplexen Lage nicht gerecht zu werden, Schaden anzurichten und das eigentliche Ziel – die Bereitstellung weiterer Rohstoffmengen für die Ernährung – zu verfehlen.

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