Das Bundesumweltministerium (BMU) hat Ende September einen Entwurf zur Umsetzung des Verkehrsziels der europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie-II (RED II) vorgelegt. Sollte die Bundesregierung diesen Entwurf Realität werden lassen, würde sie sehenden Auges ihr eigenes Klimaschutzgesetz missachten, die Ziele der europäischen Lastenteilungsverordnung (ESR) verfehlen, die Forderungen der gesamten betroffenen Wirtschaft ignorieren und auch wissenschaftlichem Expertenrat nicht folgen.
Warum dieses harte Urteil? Mit seinem Referentenentwurf entscheidet sich das BMU gegen die Weiterentwicklung der bewährten Treibhausgasminderungsquote und damit gegen mehr Klimaschutz im Verkehr: Die Quote, mit der die Mineralölindustrie verpflichtet wird, den Treibhausgasausstoß ihrer Kraftstoffe zu senken, soll bis einschließlich 2025 auf dem heutigen Niveau von sechs Prozent Minderung eingefroren werden. Mit anderen Worten: Beim wirksamsten Instrument für Klimaschutz im Straßenverkehr passiert in der ersten Hälfte des kommenden Jahrzehnts: nichts.
In starkem Widerspruch dazu steht das vor noch nicht einmal einem Jahr verabschiedete Klimaschutzgesetz. Darin legt die Bundesregierung fest, dass die Emissionen im Verkehr bis zum Jahr 2025 um 25 Prozent sinken müssen, von heute jährlich etwa 164 Millionen Tonnen auf dann 123 Millionen Tonnen CO2.
Drei Stellschrauben, von denen nur eine schnell greift
Um das Ziel zu erreichen, stehen drei Stellschrauben zur Verfügung: Reduzierung der Verkehrsnachfrage, Änderung des Modal Split und Dekarbonisierung der Antriebsenergie.
Auf weniger Verkehr zu hoffen erscheint allein angesichts des in der Verkehrsverflechtungsprognose erwarteten Wachstums des Straßengüterverkehrs kühn. Auf Verhaltensänderungen im Individualverkehr wartet man in Deutschland seit Jahren und sieht stattdessen ein Wachstum der Pkw-Zulassungszahlen. Selbst ein Tempolimit konnte das BMU bisher nicht durchsetzen. Eine Änderung des Modal Split, also eine Verlagerung auf Schiene und Schiff, ist bis 2030 nur begrenzt zu erwarten.
Es bleibt also im Wesentlichen die Dekarbonisierung der Antriebsenergie im Straßenverkehr, um die Emissionen in den kommenden fünf Jahren um die gesetzlich vorgeschriebenen 25 Prozent zu senken. Ausgerechnet hier soll sich aber nach dem Entwurf des BMU bis zum Jahr 2025 nichts tun: Die Bundesregierung würde so sehenden Auges die eigene Klimagesetzgebung konterkarieren.
Die Absurdität geht noch weiter. Die europäische Lastenteilungsverordnung schreibt vor, dass Deutschland seine Emissionen bis zum Jahr 2030 um 38 Prozent im Vergleich zu 2005 senkt: in den Bereichen Verkehr, Landwirtschaft, Wohnen und Abfallwirtschaft. Wenn in einem Bereich die Emissionen steigen, müssen sie in anderen umso stärker sinken, um das Gesamtziel zu erreichen.
Allerdings gilt als unwahrscheinlich, dass die anderen Sektoren die Zielverfehlung eines Bereiches kompensieren können – aus diesem Grund hat das BMU ja Sektorziele gesetzlich verbindlich festgelegt. Erreicht Deutschland die Vorgaben nicht, muss die Bundesregierung möglicherweise Emissionsberechtigungen von anderen EU-Mitgliedsstaaten kaufen. Die Bundesregierung wird in den kommenden Jahren hierfür voraussichtlich größere Haushaltsmittel bereitstellen müssen.
Anstatt sofort damit zu beginnen, den Treibhausgasausstoß sukzessive zu senken, um möglichst Kosten zu sparen, sollen die Vorgaben im Verkehr nach dem BMU-Entwurf in den kommenden fünf Jahren gleichwohl unverändert gering und unzureichend bleiben. Die vermeidbare Konsequenz aus diesem gesetzgeberischen Fehlgriff wären Milliardenaufwendungen für den Erwerb von Emissionsrechten durch das Bundesverkehrsministerium (BMVI), was aber das BMU offenbar nicht stört.
Biokraftstoffe bleiben trotz ihrer wichtigen Rolle außen vor
Man fragt sich, weshalb das BMU beim Klimaschutz im Verkehr einen solchen Entwurf vorlegt, zumal es noch im Nationalen Energie- und Klimaplan der Bundesregierung hieß, dass „...eine ambitioniertere nationale Umsetzung der RED II mit dem Ziel realer Emissionseinsparungen sinnvoll“ sei. Das Ziel besteht offensichtlich darin, Alternativen für den Klimaschutz im Straßenverkehr neben der Elektromobilität zu verhindern.
Denn indem das BMU Elektromobilität vierfach und Wasserstoff in Mineralölraffinerien doppelt auf das Ziel zur Treibhausgasminderung anrechnen will, werden alle erneuerbaren Kraftstoffe verdrängt, die nicht durch eine Unterquote gefördert werden: konventionelle und abfallbasierte Biokraftstoffe, auch strombasierte Kraftstoffe wie Power-to-Gas und Power-to-Liquid haben keine Chance.
Der Entwurf stellt dabei einen klaren Bruch in der bisherigen Regelung der Treibhausgasquote dar: Die unsinnigen Mehrfachanrechnungen führen dazu, dass sechs Prozent Treibhausgasquote im Jahr 2025 weniger Treibhausminderung bedeuten als sechs Prozent im Jahr 2020, wo noch korrekt bilanziert wird. Die Dekarbonisierung des Verkehrs kann aber nur gelingen, wenn sowohl Elektromobilität als auch erneuerbare Kraftstoffe gefördert werden. Der BMU-Entwurf zementiert stattdessen den Anteil fossiler Kraftstoffe im Verkehr auf Jahre hinaus auf 95 Prozent.
Bisher stellen Biokraftstoffe etwa 98 Prozent der erneuerbaren Energien im Straßenverkehr, und Biodiesel sowie Bioethanol aus Anbaubiomasse – konventionelle Biokraftstoffe – liefern den Löwenanteil davon. Von den 9,5 Millionen Tonnen Treibhausgasminderung durch Biokraftstoffe im Jahr 2018 haben solche aus Raps, Getreide und Zuckerrüben etwa sechs Millionen Tonnen geliefert.
Biodiesel aus Raps, der mit Abstand wichtigste erneuerbare Kraftstoff heute, liefert als hochwertiges Koppelprodukt eiweißreiches heimisches Tierfuttermittel, das ohne die Biokraftstoffproduktion importiert werden müsste, sowie Glycerin, das in Desinfektionsmitteln und vielen anderen Produkten des täglichen Lebens enthalten ist.
Obwohl konventionelle Biokraftstoffe also unverzichtbar für Treibhausgasminderung und Bioökonomie sind, will das BMU sie auf Null herunterfahren. Dies steht zu erwarten, da die Kombination aus Vierfachanrechnung der E-Mobilität und niedriger Treibhausgasquote keinen Platz mehr übriglässt. Der absehbare Ausschluss steht im Widerspruch zu Aussagen der Bundesregierung, den Beitrag konventioneller Biokraftstoffe beizubehalten.
Die übrige Bundesregierung und das Parlament sollten ablehnen
Das BMU hat sich nicht von wirtschaftlichen Argumenten leiten lassen; schließlich hatten sich zahlreiche Verbände zur Treibhausgasquote geäußert: Von BDI, VDA, über die Verbände der Erneuerbaren Energien BEE und BBE mit der Biokraftstoffindustrie VDB und BDBe sowie Verbänden aus der Mineralölwirtschaft (MWV) und Energieversorgung (BDEW). Alle diese Wirtschaftsverbände hatten sich klar für mehr Klimaschutz im Verkehr ausgesprochen: Sie wollen die Vorgaben zur Treibhausgasminderung gegenüber heute (zum Teil sehr) deutlich anheben.
Studien des Öko-Instituts und von Prognos legen ebenfalls eine ambitionierte Klimagesetzgebung für den Verkehr nahe, denn beide Studien gehen von deutlichen 2030-Zielverfehlungen insbesondere in diesem Sektor aus.
Aber offenbar hat sich das BMU weder von wirtschafts- noch fiskal- oder klimapolitischen Überlegungen leiten lassen. Das BMU verschließt die Augen vor der Notwendigkeit des Einsatzes erneuerbarer Kraftstoffe und legt entgegen allen Ankündigungen einen völlig unzureichenden Umsetzungsvorschlag für den Verkehr vor. Die anderen Ressorts, der Bundestag und die Bundesländer sollten diesen Referentenentwurf nicht akzeptieren.