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Energie & Klima

Standpunkte Die Preisgrenze für russisches Rohöl muss sinken

Benjamin Hilgenstock, KSE Institute/Kyiv School of Economics
Benjamin Hilgenstock, KSE Institute/Kyiv School of Economics Foto: Benjamin Hilgenstock

Der Preisdeckel der G7-Staaten und der EU auf russisches Öl zeigt beim Aggressor Russland Wirkung – aber noch nicht genug. Benjamin Hilgenstock vom KSE Institute an der Kyiv School of Economics plädiert für eine deutliche Absenkung und begründet, warum der Westen keine negativen Auswirkungen auf den internationalen Ölmarkt befürchten muss.

von Benjamin Hilgenstock

veröffentlicht am 23.03.2023

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Mehr als zwölf Monate nach dem Beginn des völkerrechtswidrigen Großangriffs Russlands auf die Ukraine bekräftigen westliche Staats- und Regierungschef weiterhin – und richtigerweise – ihre Solidarität mit dem ukrainischen Volk. Damit stehen sie aber auch in der Verantwortung, weitere Schritte zu unternehmen, um Russlands Fähigkeit zur Fortsetzung des Krieges zu untergraben – und zwar so schnell wie möglich. Eine Gelegenheit dazu bietet die gegenwärtige Überprüfung der im Dezember in Kraft getretenen Preisobergrenze für russisches Öl durch die G7.

Der Preisdeckel – er liegt bei 60 US-Dollar pro Barrel – wurde von den G7 eingeführt, um sicherzustellen, dass europäische Reedereien und Versicherungen auch nach dem Inkrafttreten des EU-Embargos auf russisches Rohöl weiterhin an dessen Transport teilnehmen können, während gleichzeitig Russlands Exporterlöse sinken. Die Befürchtung war – nicht ganz zu Unrecht –, dass eine plötzliche Angebotsverknappung zu dramatisch höheren Preisen führen könnte. Embargo und Preisdeckel sind zentrale Elemente des internationalen Sanktionsregimes und wurden im Februar durch entsprechende Maßnahmen für Ölprodukte ergänzt.

Die Konsequenzen für Russlands Wirtschaft sind mittlerweile enorm – nach vielen Monaten, während derer Europas Abhängigkeit von russischem Öl und Gas, dramatisch gestiegene Energiepreise und erhebliche makroökonomische Puffer das Land weitestgehend vor dem Effekt der Sanktionen schützten. Deshalb müssen jetzt weitere Maßnahmen folgen – inklusive einer deutlich niedrigeren Preisgrenze für Rohöl –, um Russlands Krieg in der Ukraine zu beenden.

Massive Probleme im russischen Haushalt

Zwei Dimensionen sind hier von herausgehobener Bedeutung: Russlands Leistungsbilanzüberschuss und der Staatshaushalt des Landes. Ersterer ist seit der Phase extrem hoher Energiepreise im vergangenen Sommer dramatisch geschrumpft – um drei Viertel auf 6,5 Milliarden US-Dollar pro Monat im Januar und Februar. Statt eines Plus von 227 Milliarden US-Dollar im letzten Jahr kann Russland für 2023 nur mit etwa 60-65 Milliarden rechnen – mit erheblichen Folgen für gesamtwirtschaftliche Stabilität und den Rubel-Wechselkurs.

Noch wichtiger ist aber, dass niedrigere Ölexporte massive Probleme im Haushalt verursachen. In den ersten zwei Monaten des Jahres hatte Russland ein Staatsdefizit von 2,6 Billionen Rubel (rund 36 Milliarden US-Dollar) zu verzeichnen – 90 Prozent dessen, was für das Gesamtjahr vorgesehen war. Ursächlich sind neben massiv gestiegenen Ausgaben vor allem deutlich niedrigere Öleinnahmen – sie lagen im Januar und Februar 50 Prozent unter dem Vorjahresdurchschnitt. Diese Entwicklung hat direkte Auswirkungen auf Russlands Fähigkeit zur Fortsetzung des Krieges in der Ukraine, denn die Regierung wird zu schmerzhaften fiskalischen Einschnitten gezwungen sein: höhere Steuern, geringere Sozialausgaben oder eben weniger Geld für das Militär.

Dies sollten sich westliche Regierungen zunutze machen, um weiteren Druck auszuüben. Was bedeutet das konkret?

  1. Der Preisdeckel für russisches Rohöl sollte bei nächster Gelegenheit um 15 US-Dollar auf 45 US-Dollar pro Barrel gesenkt werden – mit einem mittelfristigen Ziel von 30 US-Dollar pro Barrel.
  2. Alle Transaktionen unter Einbeziehung westlicher Reedereien oder Versicherungen müssen strikter Kontrolle unterliegen, um sicherzustellen, dass die Preisobergrenze beachtet wird; gegenwärtig müssen Dienstleister lediglich eine entsprechende Attestierung unterzeichnen.
  3. Für Transporte durch die Dänemarkstraße oder den Bosporus muss eine Versicherung verlangt werden, die eventuelle katastrophale Folgen einer Havarie auch tatsächlich abdeckt. Andernfalls ergibt sich aus der Umgehung des Preisdeckels – und dem Verzicht auf westliche Versicherungen – ein inakzeptables ökologisches Risiko. 

Verschiedene Regierungen zögern, den Preisdeckel zu senken, da sie befürchten, dass Russland seine Ölexporte zurückfahren würde und in der Folge die Preise im Weltmarkt deutlich ansteigen könnten – zweifellos ein legitimes Interesse. Allerdings ist die Sorge trotz des Säbelrasselns in Moskau unangebracht. Denn die Förderung russischen Rohöls ist extrem billig – und entsprechend auch bei niedrigeren Preisen weiterhin profitabel. Durchschnittliche Produktionskosten liegen bei etwa 10-15 US-Dollar pro Barrel. Rosneft, verantwortlich für 40 Prozent der Gesamtproduktion, nennt in seinem Geschäftsbericht für 2021 operative Kosten von 2,70 US-Dollar und Kapitalkosten von 7,80 US-Dollar pro Barrel. Kosten für die teuersten Ölfelder liegen bei 20-30 US-Dollar, aber repräsentieren nur einen kleinen Teil der gesamten Fördermenge.

Ein deutliches Absinken der Exportmenge ist also unwahrscheinlich. Zu sehr ist Russland auf die Erlöse aus dem Ölgeschäft angewiesen – sowohl im Hinblick auf seinen Außenhandel als auch auf seine Staatseinnahmen. Tatsächlich hat Russland in den Monaten seit dem Inkrafttreten von Embargo und Preisdeckel, während derer Preise für russisches Öl (vor allem der Sorte Urals) bereits deutlich unter 50 US-Dollar pro Barrel gefallen sind, demonstriert, dass es bereit ist, zu solchen Preisen zu verkaufen. Die Abhängigkeit von westlichen Dienstleistungen ist zu groß, um den Preisdeckel in größerem Umfang umgehen zu können. Nach Einschätzung vieler Ölmarktexperten ist Russlands oft genannte Schatten-Tankerflotte – und der Zugang zu nicht-westlichen Schiffsversicherungen – dafür bei weitem nicht ausreichend. Und auch Umladen und Umdeklarieren sind praktisch nur in wenigen Fällen darstellbar.

Wirkung auch bei steigenden Preisen sichern

Warum aber ist ein niedrigerer Preisdeckel erforderlich, sofern gegenwärtige Exportpreise deutlich darunter liegen? Richtig ist, dass der Verlust des größten Exportmarktes – Europa – dazu geführt hat, dass Russland Öl mit erheblichen Abschlägen verkaufen muss (rund 35 US-Dollar pro Barrel gegenüber der europäischen Standardsorte Brent). Jedoch findet all dies vor dem Hintergrund moderater Preise im globalen Ölmarkt statt. Dabei wird es allerdings aller Voraussicht nach nicht bleiben, sofern die Weltwirtschaft weiter Fahrt aufnimmt. Dann aber würde – selbst bei konstantem Abschlag – auch russisches Öl wieder teurer werden. Dies hätte unmittelbar zur Folge, dass die Fähigkeit Russlands zur Finanzierung seines Krieges in der Ukraine zunimmt – ein Risiko, das nicht hingenommen werden darf.

In der Tat sollten wir noch deutlich weiter gehen. Letztes Jahr hat Russland versucht, Europas Abhängigkeit von seinem Öl und Gas auszunutzen, um die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben. Dieser Erpressungsversuch ist gescheitert – russische Energieträger spielen in Europa kaum noch eine Rolle und der wichtigste Absatzmarkt ist für Russland auf absehbare Zeit verloren. Entsprechend können umfangreichere Maßnahmen ins Auge gefasst werden. Dazu gehören Sanktionen gegenüber allen wichtigen russischen Energieunternehmen und Restriktionen im Hinblick auf die Bereitstellung von Dienstleistungen im Ölsektor durch westliche Anbieter. Vor allem aber sollten die Preisobergrenzen für Ölprodukte – gegenwärtig 100 US-Dollar pro Barrel für hochwertige Produkte wie Diesel und 45 US-Dollar pro Barrel für andere Produkte wie Heizöl – im gleichen Maße wie der Rohölpreisdeckel gesenkt werden.

Alle, denen die Unterstützung der Ukraine und ein Ende des russischen Angriffskrieges wichtige Anliegen sind, sollten diese Gelegenheit ergreifen, um Russlands Kriegsanstrengungen dort zu treffen, wo diese am verletzlichsten sind: bei den Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport.

Benjamin Hilgenstock ist Senior Economist  am KSE Institute, einem Thinktank der Kyiv School of Economics. Sein Forschungsfokus sind Sanktionen gegen Russland und deren Auswirkungen auf die russische Wirtschaft.

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