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Energie & Klima

Standpunkte Erfolgreicher Klima- und Ressourcenschutz braucht eine innovationsgetriebene Bauwende

Lamia Messari-Becker, Professorin für Bauphysik
Lamia Messari-Becker, Professorin für Bauphysik Foto: Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen

Für eine echte Wärme- und Ressourcenwende im Gebäudebereich braucht es mehr als nur die Umstellung aufs Heizen mit Erneuerbaren. Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik schlägt in ihrem Standpunkt einen großen Bogen von der Quartierssanierung bis zur Kreislauffähigkeit von Baustoffen.

von Lamia Messari-Becker

veröffentlicht am 11.12.2020

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Der Bausektor steht für rund ein Drittel der CO2-Emissionen und des Energieverbrauchs in Deutschland und ist ressourcenintensiv: 90 Prozent der inländischen Entnahme mineralischer Rohstoffe und die Hälfte des Abfallaufkommens gehen auf das Bauen zurück. Zwar sind die Emissionen aus Gebäuden zwischen 1990 und 2014 um 40 Prozent gesunken. Ziel ist aber ein klimaneutraler Gebäudebestand bis 2050. Mit den bisherigen Maßnahmen ist das nicht zu erreichen. Notwendig ist eine ganzheitliche Strategie, die Klima- und Ressourcenschutz zusammendenkt.

Die Sanierungsrate stagniert derzeit bei einem Prozent. Vier Prozent wurde vom Wuppertal Institut für Fridays for Future jüngst als notwendig berechnet, um CO2-Neutralität bis 2035 zu erreichen. Es ist das Doppelte der anvisierten EU-Marke der Renovierungswelle und das Vierfache des Regelfalls. Das bedeutet konkret: In 15 Jahren wäre knapp die Hälfte der 42 Millionen Wohnungen saniert. Das ist so nicht zu leisten und scheitert allein an fehlenden Planungs- und Baukapazitäten.

Helfen würde eine zielgenaue Priorisierung, welche Gebäudetypen und Altersklassen wie umfassend zu sanieren sind. Rund 67 Prozent der Wohnungen sind vor 1979 erbaut, also ohne energetische Vorgaben und daher besonders sanierungsbedürftig.

Schneller Umstieg auf Erneuerbare hat Grenzen

Der Wohnungsbestand wird zu 75 Prozent immer noch mit Öl und Gas beheizt. Für eine CO2-Neutralität bis 2035 fordern Fridays for Future einen Umstieg auf Wärmepumpen von heute 2,4 auf mindestens 60 Prozent Anteil. Das ist aus vielen Gründen nicht realistisch.

Erstens zieht die Machbarkeitsstudie für „CO2-Neutralität in 2035“ Ausbauziele erneuerbarer Energien heran, die andere Studien für 2050 formulierten. Technische und wirtschaftliche Machbarkeitsgrenzen sollten aber Eingang finden.

Zweitens lässt sich ein derart schneller Umstieg nicht realisieren. Konkret: Selbst bei acht Prozent Umstiegsrate pro Jahr würden nur knapp 30 der insgesamt 42 Millionen Wohnungen bis 2035 auf Wärmepumpen umsteigen. Außerdem hat der Umstieg von konventioneller Heizung (mit Heizkörpern) auf Wärmepumpe oft Rohbaumaßnahmen (Fußbodenheizung für niedrige Vorlauftemperaturen) zur Folge, also höhere Kosten als beim reinen Austausch der Heizanlage.

Die EEG-Novelle verhindert die Wärmewende.

Wir brauchen demnach eine echte Wärmewende. Der Anteil erneuerbarer Energien bei Wärme und Kälte ist mit 14,5 Prozent sehr gering. Der Heizwärmebedarf wird mit Strom (erst recht nicht bei Umwandlung) aus Wind und Photovoltaik kaum gedeckt werden, zumal dieser auch Industrie und Verkehr versorgen soll. Die direkte Wärmeerzeugung aus Biomasse, Holz, Solar- und Geothermie sowie Speichertechnologien müssten dringend adressiert werden. Teil einer erfolgreichen Energiewende müsste auch die Vernetzung der Ausbauplanungen für Strom-, Gas-, Wasserstoff- und Wärmenetze sein.

Umso kritikwürdiger ist die EEG-Novelle. Sie benachteiligt erneuerbare Energien wie geothermische Anlagen und Erdwärmeheizungen über Wärmepumpen: Der Strompreis wird hier durch Abgaben um 60 Prozent belastet und damit mehr als verdoppelt (Öl und Gas werden nur zu 20 bis 30 Prozent belastet). Eine Befreiung von der EEG-Umlage wäre hier notwendig.

Den Blick aufs Quartier erweitern

Ob Bestand oder Neubau, der Gesetzgeber adressiert überwiegend das Einzelgebäude. Und hier bestehen Hemmnisse gegenüber energetischen Sanierungen und dem Umstieg auf erneuerbare Energien, etwa wegen langer Erneuerungszyklen, dem Eigentümer/Nutzer-Dilemma, technischen Unwägbarkeiten, Wirtschaftlichkeit etc.

Als Bindeglied zwischen dem Einzelgebäude und der Stadt erschließen wir so ein viel größeres Handlungsfeld. Hier lassen sich Maßnahmen im Verbund realisieren, die ökologische und ökonomische Vorteile bringen. So erhöhen serielle Sanierungen die Sanierungsrate und sparen Kosten, weil nicht jedes Gebäude einzeln geplant werden muss. Bestimmte Energieversorgungsoptionen werden erst auf Quartiersebene machbar. Quartiere haben eine soziale Kraft und aktivieren Mitmacheffekte. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen formulierte hierzu Empfehlungen.

Suffizienz muss nicht Verzicht bedeuten

Während der Energiebedarf von Gebäuden pro Quadratmeter seit Jahren sinkt, nimmt die Wohnfläche pro Person zu. Sie verdoppelte sich und liegt derzeit bei 47 Quadratmeter pro Person. Auch Fridays for Future machten auf diese Entwicklung aufmerksam, die Klimaschutzmaßnahmen im Bau zum Nullsummen-Spiel werden lässt.

Auf dem ersten Blick ist „mehr Wohnfläche“ Ausdruck von Wohlstand. Sie ist aber auch Ergebnis gesellschaftlicher Trends wie der Zunahme von Singlehaushalten und einer hohen Arbeitsmobilität. Ein Regulieren der Wohnfläche wäre aber gewiss der falsche Weg. Es sollte darum gehen, Fläche als nicht vermehrbare Ressource klug und sparsam zu nutzen, etwa durch flächeneffiziente und flexible Grundrisse, modulare Bauweise, Teilbarkeit von Wohnungen und Weiteres. Ein Blick ins Ausland: Die Niederländer leben auf weniger Wohnfläche – nicht schlechter, sondern durchdachter und effizienter.

Eine konsequente Kreislauf(bau)wirtschaft aufbauen

Dass im Gebäudesektor zwischen 1990 und 2014 rund 40 Prozent CO2-Minderung erzielt wurde, sagt noch nichts über den Ressourcenverbrauch aus. Jeder Bundesbürger „trägt“ rund 360 Tonnen Materialien ‒ aus „seinen“ Anteilen an Infrastrukturen im privaten und öffentlichen Raum. Der Fokus auf Energieeffizienz „nur“ im Betrieb, hat oft Übertechnisierung zur Folge, also mehr Material und Technik und somit mehr graue Energie und CO2-Emissionen.

Damit negative Umwelteffekte wirksam reduziert werden, sind Lebenszyklus-Betrachtungen notwendig. Das hat jetzt auch ein Bündnis gefordert, das weiter ausgebaut werden und alle Akteure mitnehmen sollte.

Ziel einer Ressourcenstrategie der Bundesregierung sollte sein, Bauressourcen nicht nur effizient einzusetzen, sondern auch im Kreislauf zu halten. Die Bauwirtschaft muss mittelfristig in eine Kreislauf(Bau)wirtschaft überführt werden. Das ist kein Spaziergang, aber es kann gelingen.

Ein Ressourcenausweis ist daher überfällig, um alle Ressourcenaufwände im Gebäudelebenszyklus zu erfassen. Immerhin wurde die Überprüfung ganzheitlicher Gebäudebewertung ins GEG aufgenommen.

Viele Methoden und Instrumente können dazu beitragen, Ressourcen einzusparen und die Planungen zu optimieren, ohne Materialien gegeneinander auszuspielen, etwa Öko-Bilanzen, modulares Bauen, Life Cycle Engineering, mehr Recycling, rückbaufähige Konstruktionen. Die Herstellung CO2-intensiver Baustoffe wie Zement und Stahl muss erneuerbar erfolgen. Die Kreislauffähigkeit von Baustoffen sollte bewertet werden. Dabei gehört zweifelsohne auch die Produktverantwortung der Hersteller dazu. Um die Wertschöpfungskraft des Bausektors für den Kima- und Ressourcenschutz zu nutzen, braucht es Innovation, Bauforschung und Dialoge, die alle mitnehmen.

Es gibt gute Beispiele und Initiativen: Nachhaltigkeitszertifizierungen, recyclingfähige Dämmstoffe, Startups für selektiven Rückbau, Cradle-to-Cradle, Hersteller, die ihre Produkte nach Nutzung dem Kreislauf zufügen und andere. Es entstehen neue Geschäftsmodelle. Davon brauchen wir mehr. 

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