Im Gesundheitswesen sind Frauen in Führungspositionen rar gesät. „Das ist in vielen gesellschaftlichen Bereichen so, aber im Gesundheitswesen ist es besonders irritierend, weil dort sehr viele Frauen tätig sind“, findet Antje Kapinsky. Die 51-Jährige ist als Fachleitung für Gesundheitspolitik bei der Techniker Krankenkasse tätig und kennt die Branche. Gemeinsam mit vier weiteren Frauen gründete sie 2018 die Initiative Spitzenfrauen Gesundheit, und kämpft seitdem aktiv für mehr Gleichberechtigung im Gesundheitswesen.
Die Fakten sprechen für sich. 40 Prozent der niedergelassenen Ärzte und 54 Prozent der angestellten Ärzte in der ambulanten Versorgung sind Frauen. Dagegen haben mehr als die Hälfte der kassenärztlichen Vereinigungen keine Frau im Vorstand. 50 Millionen Menschen sind bei den zehn größten Krankenkassen Deutschlands versichert. Nur zwei von insgesamt 24 Vorstandsmitgliedern sind weiblich. Das ergab eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen an den Bundestag. Diese ernüchternde Antwort sowie das Jubiläum von 100 Jahre Frauenwahlrecht gab den fünf Frauen, die sich langjährig aus dem Gesundheitswesen und der Gesundheitspolitik kannten, den Anstoß für die Gründung der Initiative.
Mehr Sichtbarkeit auf gesundheitspolitischer Ebene
Es gibt bereits Organisationen, die sich für mehr Gleichberechtigung im Gesundheitswesen engagieren. Die Initiative der Spitzenfrauen konzentriert sich darauf, der Problematik insbesondere auf politischer Ebene mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen – mit Erfolg. Im Februar 2019 organisierte die Initiative Spitzenfrauen Gesundheit eine Auftaktveranstaltung in der Bremer Landesvertretung in Berlin. Die hohe Teilnehmerzahl war selbst für die Initiatorinnen überraschend. „Das war ein ganz inspirierendes, großartiges Erlebnis. Wir haben gemerkt, wir treffen einen Bedarf“, erinnert sich Kapinsky.
Diesen sah wohl auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der bei der Veranstaltung zugegen war. Kurze Zeit später legte er zwei Gesetzesentwürfe vor, mit denen erstmalig Frauenquoten im GKV-Spitzenverband und in den Verwaltungsräten der Medizinischen Dienste geschaffen wurden. Die Initiative begrüßt diesen Schritt. Das Ziel sei es, einen Kulturwandel zu bewirken, erklärt Antje Kapinsky. Sie sagt: „Die Strukturen folgen der Kultur. Und die Kultur passt nicht mehr in eine moderne arbeitsteilige Welt, die zunehmend auch von Frauen gestaltet wird.“
Frauen als Vorbilder
Ein Wandel könne nur erfolgen, wenn Frauen einen relevanten Anteil in Führungsgremien stellen und Frauen andere Frauen viel stärker als Vorbilder wahrnehmen können. Besonders Frauen, die oft Arbeit und Familie jonglieren müssen, benötigten flexible und kooperative Führungsstrukturen, zumal wenn sie alleinerziehend sind. Außerdem meint Antje Kapinsky: „Nicht jede Frau fühlt sich in einem Führungsgremium wohl, in dem sie die Einzige ist.“
Auch sie hätte ohne die Unterstützung ihres Partners ihre Karriere neben der Familie kaum stemmen können. Ursprünglich aus einer Ärztefamilie stammend, studierte sie zunächst politische Wissenschaft, Betriebswirtschaftslehre und öffentliches Recht an den Universitäten Mannheim und Bonn. Dort begann sie bereits während des Studiums für die FDP-Bundestagsfraktion zu arbeiten. So kam sie zufällig in Kontakt mit dem Gesundheitsausschuss im Bundestag. „Da habe ich erkannt, dass die Gesundheitspolitik ein ungeheuer spannendes Thema ist. Da gehen einem die Ideen, was man noch besser machen könnte, nicht aus“, sagt Antje Kapinsky.
Hoffen auf positive Strukturveränderung
Momentan baut die Initiative mit Hilfe von Twitter, dem Verschicken von Newslettern und Gesprächen mit Entscheiderinnen und Entscheidern das Frauennetzwerk aus. Nach einer coronabedingten Pause soll im Herbst eine neue Veranstaltung im Kontext der deutschen EU-Ratspräsidentschaft stattfinden. Auch die Gründung eines eigenen Vereins ist auf dem Weg.
Ambivalent sieht Antje Kapinsky die Auswirkungen der Coronakrise auf die Situation: „Einerseits haben wir Frauen in systemrelevanten Berufen, die dringend gebraucht werden. Andererseits wirken aber kaum Frauen an den Entscheidungen mit.“ Corona könnte aber auch eine positive Strukturveränderung ermöglichen, hofft Kapinsky. Digitale und arbeitsteilige Arbeitsweisen würden momentan selbstverständlicher. Das könnte Frauen in Zukunft zugutekommen. Sonja Heller