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Gesundheit & E-Health

Standpunkte KI: Verbesserungen für Patienten und Ärzte

Foto: promo

Vorhofflimmern erkennen, Diagnosen stellen und Ärzten mehr Zeit für Patienten geben: Die Potenziale von KI sind enorm, meint Klaus Juffernbruch von der Hochschule für Ökonomie & Management in Neuss, der auch Vorsitzender der Expertengruppe Intelligente Gesundheitsnetze beim Digitalgipfel ist.

von Klaus Juffernbruch

veröffentlicht am 27.01.2020

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Vor einigen Jahren kam bei einer Podiumsdiskussion auf der Medizinmesse Medica in Düsseldorf die Sprache auf den Tricorder X-Prize. Bei diesem internationalen Wettbewerb um ein Preisgeld von 10 Millionen US-Dollar, der über fünf Jahre lief, ging es um die Entwicklung handlicher Geräte, die Messwerte von Körperfunktionen nichtinvasiv ermitteln und daraus mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) auf das Vorliegen oder die Abwesenheit von zwölf Krankheitsbildern schließen. Dazu zählen unter anderem Mittelohrentzündung, Schlafapnoe, Vorhofflimmern, Lungenentzündung, Diabetes und chronisch-obstruktive Lungenerkrankung. 

Im Zuge der Diskussion meldete sich ein Teilnehmer aus dem Publikum, der angab, diesen Wettbewerb zu kennen, und meinte, ein Arzt bräuchte für die Diagnose eines dieser Krankheitsbilder gerade mal 45 Sekunden. Sein Fazit daraus war, dass die Krankheiten lächerlich einfach seien und solche Geräte daher überflüssig seien. Auf Nachfrage stellte sich wenig überraschend heraus, dass dieser Mann selbst Arzt war. Aus seiner Sicht ist die Einschätzung in gewisser Weise nachvollziehbar. 

KI statt Dr. Google

Ein Mensch bemerkt bei sich oder seinem Kind Krankheitssymptome. Er macht sich Sorgen und greift zum Telefon, um einen Arzttermin zu vereinbaren, auf den er dann warten kann. Oder er geht unangemeldet gleich in eine Praxis oder Notaufnahme, wohl wissend, dass er sich ohne Termin auf einige Stunden Wartezeit gefasst machen kann. Er muss zur Praxis hinfahren und wieder zurück. Diesen ganzen Aufwand muss er auf sich nehmen, um dann den Arzt für 45 Sekunden zu sehen.

Hier kann man fragen, was denn eine KI-Diagnose ohne Therapiemöglichkeit nutzt. Sie kann den Menschen die quälende Ungewissheit über ihren Zustand nehmen. Aus diesem Grund googeln Leute auch nach Krankheitsbildern und Symptomen. Wenn es sich um eine weniger dringliche Erkrankung handelt, können die Patienten beruhigt bis zum nächsten Tag oder bis zum Beginn der Woche warten, statt nachts oder am Wochenende in die überlasteten Notaufnahmen zu stürmen. Wenn es sich um eine dringliche Diagnose handelt, kann man rechtzeitig zum Arzt gehen, statt zu warten bis sich der Zustand verschlimmert. 

Große Bedeutung wird die Kombination von miniaturisierten Sensoren und KI-Auswertung für die Prävention bekommen. Das gilt insbesondere für Symptome, die man in der Regel nicht selbst wahrnimmt. So besteht zum Beispiel bei Vorhofflimmern ein erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall. Wird das Vorhofflimmern rechtzeitig erkannt, kann der Schlaganfall möglicherweise verhindert werden. Schlafapnoe kann kurzfristig zu Konzentrationsschwäche, Nervosität und Gereiztheit führen und langfristig das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle um das Dreifache erhöhen. Es gibt bereits heute smarte Uhren, die Vorhofflimmern und Schlafapnoe mittels KI-gestützter Sensoren erkennen können. 

Technik erhöht die Qualität

Der medizinische Versorgungsweg, der derzeit meist in einer Arztpraxis beginnt und dann eventuell zu Krankenhaus und Rehaeinrichtung weiterführt, wird in Zukunft mit präventivem, kontinuierlichem Monitoring am gesunden Menschen anfangen. Findet die KI auffällige Werte, kann der Patient diese schnell und unkompliziert mit einem Teledoktor per Videosprechstunde klären, der dann bei Bedarf etwa ein elektronisches Rezept ausstellt oder zur weiteren Abklärung an eine ambulante oder stationäre Einrichtung überweist. Im Bereich von Diagnostik und Therapie liegt der Wert der KI einerseits in einer Verbesserung der Qualität und andererseits in der Beschleunigung der Prozesse. 

Besonders profitiert die bildgebende Diagnostik. KI erkennt beispielsweise auf Fotografien bösartige Hauttumoren, auf Röntgenbildern krankhafte Veränderungen des Brustkorbes und auf Mammografien brustkrebsverdächtige Stellen. Bei Darmspiegelungen werden pathologische Befunde in Echtzeit auf den Videobildern identifiziert. KI führt auf Schnittbildern des Herzens innerhalb von 15 Sekunden Messungen durch, für die ein Kardiologe eine halbe Stunde braucht. 

Mehr Zeit für Zuwendung

Eine Blutvergiftung ist eine lebensbedrohliche Komplikation, die oft nur schwer beherrschbar ist, wenn sie einmal eingetreten ist. Künstliche neuronale Netze auf Intensivstationen erkennen bereits Stunden zuvor das Risiko aus den Messwerten des Patienten und geben den Ärzten die Möglichkeit zu frühzeitiger, lebensrettender Intervention. 

KI-Systeme werden in zunehmendem Maße Expertise auf Facharztniveau rund um die Uhr an jedem beliebigen Ort zur Verfügung stellen. Davon profitieren Patienten und Ärzte gleichermaßen. Die diagnostische Qualität erhöht sich durch die allgemein verfügbare Zweitmeinung. Die eingesparte Zeit steht den Therapeuten für eine vermehrte menschliche Zuwendung zur Verfügung und erlaubt eine Verkürzung der Wartezeiten für weitere Patienten. Grundlage für die Realisierung dieser Vorteile sind ausgereifte Qualitätskriterien bei der Zulassung der Systeme unter Einhaltung von Datenschutz, Datensicherheit und ethischen Rahmenbedingungen. 

Klaus Juffernbruch ist Professor für Gesundheit und Soziales an der FOM Hochschule. Seit 2012 ist er Vorsitzender der Expertengruppe „Intelligente Gesundheitsnetze“ des Digital-Gipfels der Bundesregierung.

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