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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Nein zur Klimakrise ist ein Ja für Gesundheit

Viviane Raddatz, Leiterin Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland
Viviane Raddatz, Leiterin Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland Foto: Daniel Seiffert/WWF

Im Standpunkt erklärt Viviane Raddatz, Leiterin Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland, wie sich die Menschheit ihre eigenen Lebensgrundlagen nimmt. Die Folgen der Klimakrise treffen bei ausbleibenden Gegenmaßnahmen früher oder später jeden Erdbewohner, schreibt sie. Und: Zecken und Tigermücken, die tropische Krankheiten übertragen, finden das veränderte Klima besonders erfreulich.

von Viviane Raddatz

veröffentlicht am 02.09.2021

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Abstand nehmen sind wir derzeit ja gewohnt. Deshalb nehmen Sie bitte einmal mit mir Abstand. Aber ausnahmsweise nicht zueinander, sondern zu unseren Lebensbedingungen auf der Erde: Dann ist erstaunlich, dass wir überhaupt die Chance haben, zu existieren. Etwas näher an der Sonne: zu heiß. Alles Wasser würde verdampfen und damit unsere wohl wichtigste Lebensgrundlage. Zu weit weg – auch nicht gut. Dann auch noch die richtige erdgeschichtliche Zeit: Alles könnte passen.

Doch es gibt ein Aber: Denn da bieten sich schon die perfekten Umstände, und wir haben nichts Besseres zu tun, als sie zu verändern. Der Treibhausgas-Ausstoß der letzten 250 Jahre hat zu einer  Temperaturerhöhung um 1,2 Grad Celsius gegenüber 1850 geführt. Und das hat Folgen – schwere, auch und ganz besonders für unsere Gesundheit.

Fangen wir mit den Hitzewellen an. Durch die Klimakrise werden sie häufiger. In Griechenland wurden diesen Sommer tagelang mehr als 40 bis 45 Grad gemessen. Dafür ist der menschliche Körper nicht gemacht. Er ist sensibel. Unsere Proteine zum Beispiel mögen keine Hitze. Wird es ihnen zu heiß, können sie irreparabel geschädigt werden. Herz, Lunge, Kreislauf – Hitze belastet den Körper, manchmal leider mit tödlichen Folgen. Die große Hitzewelle 2003 hat Schätzungen zufolge 75.000 Menschen in Europa das Leben gekostet.

Trinkwasserknappheit, Ernteausfälle, Waldbrände

2018 war ein weiterer Sommer mit großer Hitze. Und großer Trockenheit. Auch Dürreperioden werden durch die Klimakrise verstärkt. Die Folge: Mancherorts herrschte schon Trinkwasser-Knappheit, Tanklaster mussten kommen. Der Landwirtschaft machten Ernteausfälle zu schaffen. In Europa verhindert unser Wohlstand noch, dass wir Hunger oder Durst leiden müssen. In anderen Teilen der Welt nicht. Dort sterben Menschen, wenn eine Dürre Lebensmittel vernichtet. Wie diesen Sommer in Madagaskar.

Und weil ein Unglück selten allein kommt, werden mit Dürren auch Waldbrände wahrscheinlicher. Australien erlebte 2019/2020 verheerende Buschbrände. Hunderte zusätzliche Megatonnen CO2 gelangten so in die Atmosphäre, was die Klimakrise weiter anheizte. Aber nicht nur „Down Under“ wüten die Feuer, auch in Europa – vom Mittelmeer bis nach Brandenburg. Die Rauchbelastung durch die Waldbrände kann enorm sein. Das spürten die Menschen in Sydney, als sie den Himmel nicht mehr sehen konnten. Oder die Menschen in Berlin, als sie die Feuer in Brandenburg rochen. Der Wind trägt die Luftschadstoffe weit, Feinstaub belastet unsere Lungen.

Apropos Luftschadstoffe: Zwei große Verursacher der Klimakrise belasten unsere Körper gleichzeitig auch mit gesundheitsschädlichen Stoffen – der Verkehr und die Stromerzeugung aus fossilen Energien. In einer Studie mit weiteren NGOs konnten wir vom WWF vor einigen Jahren zeigen, dass die Emissionen aller Kohlekraftwerke in Europa, für die Daten verfügbar waren, für 22.900 vorzeitige Todesfälle, Zehntausende von Herz- und Lungenkrankheitsfällen und bis zu 62,3 Milliarden Euro an Gesundheitskosten verantwortlich waren.

Bei den Luftschadstoffen sind die gesundheitlichen Folgen noch nachgelagert. Unmittelbar und direkt lebensgefährdend können Starkregen mit Überflutungen sein, wie uns im Juli im Westen Deutschlands schmerzlich vor Augen geführt wurde. Auch dieses Wetterextrem wird durch die Klimakrise häufiger: Da der Jetstream schwächelt, können sowohl Hoch- als auch Tiefdruckgebiete länger an einer Stelle verharren, was Hitze und Trockenheit hier und Starkregen dort mit sich bringen kann. Wärmere Luft kann außerdem mehr Wasser halten – und entsprechend wieder abregnen.

Tigermücke profitiert und verteilt tropische Krankheiten

Und noch ein Apropos zu wärmerer und feuchter Luft: Für manch eine Art sind das perfekte Lebensbedingungen. Der Tigermücke etwa gefällt das sehr. Könnte uns nicht (oder doch!) jucken, wenn sie nicht Überträger vieler tropischer Krankheiten wäre. Dengue-Fieber, Zika-Virus, Chikungunya lässt die Mücke nach dem Stich leider viel zu häufig in ihrem Opfer zurück.

Auch von Zecken übertragene Krankheiten wie Borreliose werden häufiger beobachtet, denn die Tierchen mögen die neuen Bedingungen durch die Erderhitzung ebenso wie die Tigermücke. Die Winter sind nun oft so mild, dass viele Zecken länger aktiv bleiben können.

Den Effekt der Klimakrise auf die Jahreszeiten spüren auch Allergiker. Unter anderem wird die Pollensaison länger – und damit tränende Augen und laufende Nasen zum andauernden Problem.

Und nun nehmen wir wieder Abstand. Diesmal aber tatsächlich wegen Corona. Denn Viren wie SARS-CoV-2 können auch dadurch leichter vom Tier auf den Menschen überspringen, weil wir den Tieren immer mehr auf den Leib rücken – indem wir ihren Lebensraum rauben und Regenwald zum Beispiel in Ackerland umwandeln. Was wiederum – und es sollte mittlerweile deutlich geworden sein, dass alles eng miteinander verzahnt ist – die Klimakrise anheizt: Denn wir müssten die natürlichen CO2-Senken wie Regenwälder und Moore dringend erhalten, um der Erderhitzung entgegenzutreten.

Politik macht Halt vor notwendigen Maßnahmen

Allein wird das aber nicht reichen. Um die gesundheitlichen Folgen für uns alle so gering wie möglich zu halten, müssen wir dringend und drastisch Treibhausgasemissionen reduzieren. Weltweit und in Deutschland geht das nicht schnell genug. Die jetzige Bundesregierung hat im Kampf gegen die Klimakrise vor den notwendigen Maßnahmen Halt gemacht. Von der nächsten erwarten wir großen Schwung für schnelle und wirksame Maßnahmen – denn kommt dieser nicht jetzt, werden viele Menschen das am eigenen Leib erfahren. Und ja, das klingt alarmistisch, ist aber mittlerweile. wie uns dieser Sommer zeigt, leider realistisch. Für das weichgespülte „wird schon werden“ der letzten Jahre bleibt uns schlicht keine Zeit mehr.

Die kommende Regierung muss dringend den Ausbau sauberer Energie voranbringen. Wind und Sonne sind die Eckpfeiler eines Lebens innerhalb der planetaren Grenzen, die für uns Menschen gelten. Kohle, Gas und Öl haben ausgedient. Wir müssen die Schäden von Umweltverschmutzung internalisieren, um die tatsächlichen Kosten abzubilden. Klimaschutz ist weitaus günstiger als kein Klimaschutz – für unsere Gesundheit und unsere Wirtschaft. Das muss sich auch in der Subventionspolitik zeigen.

Inwieweit wir der Klimakrise und ihren Folgen erlauben, die Lebensbedingungen für uns Menschen zu beeinflussen, haben wir selbst in der Hand.

Viviane Raddatz ist Leiterin Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland.

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