Ihren Wunsch, die brandenburgische Seenlandschaft mit dem Fahrrad zu erkunden, konnte sich Sabine Gabrysch bisher nicht erfüllen. Denn viel freie Zeit hat die Wissenschaftlerin gerade nicht. Sie befindet sich noch in der Übergangsphase zwischen ihrer Professur am Institut für Global Health des Universitätsklinikums Heidelberg und der bundesweit ersten Universitätsprofessur für „Klimawandel und Gesundheit“ am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sowie am Institut für Public Health der Berliner Charité.
Nachdem die Wissenschaftlerin bereits im Juni 2019 ihre Arbeit am PIK und der Charité aufgenommen hat, läuft weiterhin auch die finale Datenerhebung für das 2013 von Heidelberg aus begonnene Forschungsprojekt FAARM (Food and Agricultural Approaches to Reducing Malnutrition) in Bangladesch. Sabine Gabrysch hat für diese Interventionsstudie den „Preis für mutige Wissenschaft“ erhalten. Mit FAARM begann Gabrysch, weil die Studie den Schnittpunkt von Gesundheit, Landwirtschaft und vielen Umwelteinflüssen abbildet. Sie sagt, die Arbeit sei eine gute Verbindung zwischen ihrer wissenschaftlichen Neigung, „Dingen auf den Grund zu gehen“ und zu erforschen, und dem Anspruch, gesellschaftlich etwas zu verändern.
Klimawandel trifft die, die am wenigsten dazu beitragen
Im Rahmen der gemeinsamen Professur bei PIK und Charité will sie die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit und besonders auf die Ernährung und die Landwirtschaft erforschen. Dazu gehören auch Mangelernährung in der Schwangerschaft und die langfristigen Gesundheitsfolgen für Kinder.
Gabrysch weiß, dass die Folgen des Klimawandels auch von sozialen Faktoren abhängen. Die Erderwärmung verschärfe generell Probleme, die schon da seien, sagt die Forscherin: Armut, Unterernährung, Infektionskrankheiten. Demnach werden Menschen, die ohnehin benachteiligt sind, noch weiter an den Rand gedrängt. Und das, obwohl gerade sie am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben. Das zweite wichtige Feld, das Gabrysch erforschen will, sind Wege aus der Klimakrise, die positive Nebeneffekte für die Gesundheit haben. Also Lösungswege, die gut für Mensch und Umwelt sind: Nachhaltige Praktiken in der Landwirtschaft oder fußgänger- und fahrradfreundliche Städte.
Schon in der Jugend Umweltbücher verschlungen
Die 43 Jahre alte Professorin hat ein großes Ziel für sich erreicht. Die einzelnen wissenschaftlichen Stationen sind auch Stationen auf der Suche nach dem für sie richtigen Forschungsansatz. „Es war nicht so einfach, den richtigen Weg zu finden“, resümiert sie. In ihrem Medizinstudium habe es so etwas wie das Fach „Global Health“ leider nicht gegeben. Ihre medizinische Doktorarbeit schrieb sie über ein molekularbiologisches Thema. Ihren eigenen Weg fand sie erst beim Studium der Epidemiologie an der London School of Hygiene & Tropical Medicine. Sie promovierte dort 2010 zum zweiten Mal, dieses Mal im Fachgebiet Epidemiologie – das medizinische Fachgebiet also, in dem Krankheitsursachen und die sozialen und ökonomischen Faktoren erforscht werden, die die Gesundheit weltweit beeinflussen.
Aber es ist auch die Methodik, die Gabrysch begeistert: „Die Epidemiologie ist einer der Werkzeugkoffer für Public Health: Wie können wir herausfinden, was die Ursachen von Krankheiten sind und wie können wir Lösungen evaluieren“, sagt sie. „Man ist damit an den großen Stellschrauben dran, die die Gesundheit beeinflussen und kann dadurch mehr bewegen, als wenn nur der einzelne Kranke behandelt wird.“
Aufgeschreckt von der zunehmenden Umweltzerstörung und der globalen Ungerechtigkeit entwickelte sich schon bei der jungen Sabine Gabrysch, die im baden-württembergischen Kornwestheim aufwuchs, großes Interesse am Thema. Als 14-Jährige verschlang sie sie Bücher, die sich mit Umwelt- oder Entwicklungsthemen beschäftigten und verpasste keine Umweltdokumentation im Fernsehen oder im Radio. Seit ihrem 16. Lebensjahr aß sie kein Fleisch mehr. Was sie studieren wollte, wusste sie damals nicht so richtig: „Ich wollte dazu beitragen, dass die Umweltzerstörung aufhört und dass es mehr soziale Gerechtigkeit gibt auf der Welt“, erzählt Gabrysch. „Und dass Menschen nicht an Krankheiten sterben müssen, die wir leicht verhindern oder heilen könnten.“
„Planetary Health“ in Deutschland voranbringen
Heute, als Epidemiologie-Professorin und Vordenkerin für Planetary Health in Deutschland, hat Gabrysch einen Vortrag erarbeitet mit dem Titel: „Planetary Health – ein umfassendes Gesundheitskonzept im Zeitalter des Anthropozän“. Gabrysch möchte Erkenntnisprozesse anstoßen. Die Irreversibilität zerstörter Ökosysteme sei noch nicht ausreichend verstanden. Die Forscherin will nicht nur Botschaften hinaustragen, sondern auch Menschen zum Handeln bewegen. Gemeinsam mit anderen Autoren definierte sie „Planetary Health“ als umfassendes und stark interdisziplinäres Gesundheitskonzept. Mit einer planetaren Perspektive, die das Erdsystem als Ganzes sieht.
Demnach sind nicht nur soziale, politische und ökonomische Systeme wichtig für die Gesundheit, sondern die natürlichen Systeme sind die Grundlage für Gesellschaft und Gesundheit. Das Konzept geht davon aus, dass die menschliche Gesundheit von einem gesunden, stabilen Planeten abhängt. In dieser Überzeugung trat Gabrysch im September beim globalen Klimastreik der „Fridays For Future“-Bewegung auf. Von dieser fühlt sie sich inspiriert, weil die Jugendlichen nicht in erstarrten Denkstrukturen verankert seien. Peter Crain