Über hybride Bedrohungen wie bewusst gesteuerte Einflussnahmeversuche autoritärer Staaten, die das Ziel verfolgen, bestehende gesellschaftliche Konflikte zu verschärfen, öffentliche Diskurse gezielt zu verschieben und Rechtsstaat und demokratische Institutionen anzugreifen, diskutieren wir seit vielen Jahren. Im Zuge des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine haben sich lange existierende Bedrohungslagen noch einmal exorbitant verschärft.
Nachdem man dem Thema im federführenden Innenministerium trotz wiederholter, durchaus sehr vehementer Warnungen unserer Sicherheitsbehörden über viele Jahre nie die politische Priorität eingeräumt hat, die dringend notwendig gewesen wäre, gibt es heute einen breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens darüber, dass echte Handlungen zum Schutz unserer Demokratie überfällig sind. Denn längst ist aus der Melange weitgehend unregulierter Plattformen, aufstrebender rechtsextremer Parteien und Despoten, die sie sehr gezielt unterstützen, eine unheilvolle Allianz entstanden, die unsere Demokratie massiv bedroht.
Auf diese Bedrohungslagen müssen wir als Rechtsstaat und Demokratie mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen reagieren. Wir brauchen eine gute rechtliche Regulierung der großen sozialen Netzwerke und Plattformen, die wir vor Jahren mit dem NetzDG und BKA-Gesetzgebung auf nationaler Ebene angestoßen haben. Noch immer sind ihre Klick- und Verwertungslogiken echte Brandbeschleuniger bei der Verbreitung extremer Positionen.
Der gerade auf EU-Ebene verabschiedete Digital Services Act (DSA) könnte ein echter Gamechanger werden. Denn Strafen bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes tun auch Unternehmen weh, die über Jahre gezeigt haben, dass sie sonst nicht bereit sind, ihrer großen gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden.
Wehrhafte Demokratie ermöglichen
Den DSA gilt es, entschlossen in nationales Recht umzusetzen und dabei vor allem auf die Aufsichtsbehörden zu stärken, deren Aufgabe es sein wird, die neuen rechtlichen Regelungen auch tatsächlich durchzusetzen. Darüber hinaus braucht es das Digitale Dienste Gesetz und das digitale Gewaltschutzgesetz. Auch müssen wir die Strafverfolgung auf Länderebene stärken.
Heute stehen wir noch immer viel zu oft wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange. Wir müssen verstehen, welche Kampagnen von wem gegen uns gefahren werden. Hierfür bedarf es zunächst guter Strukturen zur Erkennung und Abwehr hybrider Bedrohungen auf exekutiver Seite. Den ersten Antrag hierzu habe ich vor acht Jahren in den Deutschen Bundestag eingebracht, geschehen ist viel zu wenig.
Schnell einberufene Staatssekretärsrunden werden das Problem, das uns absehbar erhalten bleibt, nicht angemessen lösen. Die Spionageabwehr muss, darauf weise ich auch in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bundestags seit langem hin, neu aufgestellt werden. Hierbei gilt es auch, das große gesellschaftliche Knowhow in dem Bereich effektiv einzubinden.
Wo bleibt das Kritis-Dachgesetz?
Unsere digitalen Infrastrukturen müssen endlich effektiv geschützt werden. Auch hier sind krasse Sicherheitslücken, ungeklärte Zuständigkeiten und die Tatsache, dass es zwar dezidierte Vorgaben für den Schutz digitaler, beinahe keine für den Schutz physischer Infrastrukturen gibt, seit langem bekannt. Im Koalitionsvertrag konnten wir ein Kritis-Dachgesetz durchsetzen. Trotz der Tatsache, dass es bis Ende Oktober gleich zwei EU-Richtlinien umzusetzen gilt, kommen wir bezüglich eines einheitlichen, mit den Vorgaben der EU kohärenten Gesetzes bisher nicht vom Fleck. Wir hätten das Gesetz längst gebraucht.
Die klare Erwartungshaltung der Fraktionen in Richtung Innenministeriums ist es, noch vor der in Kürze beginnenden parlamentarischen Sommerpause endlich einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung zugeleitet zu bekommen. Angesichts knapper EU-Umsetzungsfristen wird es dann ohnehin eine große Herausforderung, den Vorgaben des Koalitionsvertrags hinsichtlich einer guten Gesetzgebung gerecht zu werden und den Entwurf der Bundesregierung im parlamentarischen Verfahren weiter zu verbessern.
Auch erwarten wir endlich einen tragfähigen Kompromiss in Sachen kritischer Komponenten, die bis heute zuhauf in unseren Kommunikationsnetzen verbaut sind. Auch hier sind echte politische Entscheidungen seit Jahren überfällig. Als Grüne sagen wir weiterhin sehr klar: Je weniger kritische Komponenten in unseren Netzen verbaut sind, desto besser. Kompromisse, die einen Ausbau erst im Jahr 2029 vorsehen, sehen wir schon mit Blick darauf, was sicherheitspolitisch in den vergangenen beiden Jahren passiert ist, extrem kritisch. Derartige Kompromisse wären nichts anderes als eine Wette auf Zeit. Sie kann gutgehen, muss es aber nicht. Derzeit fliegt China Manöver über Taiwan. Wenn es im Konfliktfall zu einem Schaden kommt, muss sehr klar sein, wer für derartige Kompromisse die politische wie rechtliche Verantwortung trägt.
Muss der Kanzler übernehmen?
Die Herausforderungen sind zweifellos groß. Die Zeit des Erkenntnisgewinns muss angesichts krasser Bedrohungslagen ein für allemal vorbei sein. Das Thema muss im federführenden Bundesinnenministerium mit einer gänzlich anderen politischen Priorität behandelt werden. Priorisierungen, die nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine in anderen politischen Bereichen vorgenommen wurden, müssen auch hier vollzogen werden. Hierbei kann man sich durchaus auf die zahlreichen guten Vorgaben des Koalitionsvertrags besinnen.
Geschieht dies weiterhin nicht, muss zur Not das Kanzleramt übernehmen. Denn die von Olaf Scholz vor nunmehr mehr als zwei Jahren ausgerufene Zeitenwende muss endlich auch mit Blick auf stark gestiegene hybride Bedrohungslagen, konkret politisch umgesetzt werden – mit strukturellen Änderungen auf exekutiver Seite, guten Rechtsgrundlagen, wehrhaft aufgestellten Behörden, einem neuen gesellschaftlichen Verständnis für die Notwendigkeit dieser Maßnahmen angesichts krasser Bedrohungslagen und einer entsprechenden haushälterischen Unterfütterung.
Von alledem sind wir derzeit noch ein gutes Stück entfernt. Über die Notwendigkeit überfälliger politischer Handlungen und einer gänzlich anderen politischen Priorisierung diskutiere ich heute auf der 10. Potsdamer Konferenz für Nationale Cybersicherheit mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Darauf freue ich mich! Denn mit sehr ähnlichen Problemen, mit denen sich unsere Demokratie derzeit konfrontiert sieht, sehen sich auch zahlreiche andere Staaten konfrontiert.
Das Drehbuch, nach dem die extreme Rechte vorgeht, ist weltweit sehr ähnlich. Immer wieder lernt man voneinander. Statt weiterhin wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen, müssen wir in den Dialog gehen. Wir müssen neue Bündnisse schmieden und es den Demokratieverächtern dieser Welt gleichtun: Auch wir müssen uns vernetzen und gemeinsam an Strategien zur Erhöhung der Resilienz unserer Demokratien arbeiten. Denn nicht zuletzt mit Blick auf KI-Anwendungen, die absehbar zu einem weiteren Brandbeschleuniger der beschriebenen Problematiken werden, drängt die Zeit mittlerweile doch sehr.
Konstantin von Notz ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr)