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Cybersecurity

Standpunkte Wie Digitalverhalten und Cybersicherheit zusammenhängen

Catarina Katzer, Institut für Cyberpsychologie & Medienethik in Köln
Catarina Katzer, Institut für Cyberpsychologie & Medienethik in Köln Foto: Privat

Das Leben im Dauerkrisenmodus sorgt für eine erhöhte psychische Belastung – daran nicht ganz unschuldig: Unser Digitalverhalten, genauer unser Bedürfnis nach Informationen über Risiken und Gefahren. Wie das mit Cybersicherheit zusammenhängt, erklärt Catarina Katzer.

von Catarina Katzer

veröffentlicht am 02.12.2022

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Jahrelang Corona nun Ukrainekrieg und Energiekrise – das Leben im Dauerkrisenmodus fordert uns als Gesellschaft und als Individuen aufs äußerste heraus. Vor allem die psychische Belastung nimmt dramatisch zu. Und daran ist auch unser Digitalverhalten nicht ganz unschuldig. So führen gerade eine wachsende Verunsicherung sowie Kontrollverlust durch die Unvorhersehbarkeit der Entwicklungen dazu, dass unser Bedürfnis nach Informationen über Risiken und Gefahren immer stärker wird. Und dieses versuchen wir über eine übersteigerte digitale Suche nach Nachrichten zu kompensieren – vor allem nach negativen – auch „Doomscrolling“ genannt. Eine schlechte Wahl.

Unsere Aufmerksamkeit negativen Informationen gegenüber ist psychologisch gesehen nicht neu: So scannt unser Gehirn quasi noch im Steinzeitmodus zur Gefahrenabwehr unsere Umwelt ständig ab. Diese einem Urinstinkt folgenden Wahrnehmungsprozesse haben eine klare Schutzfunktion. Allerdings sind diese auf den uns umgebenden begrenzten physischen Raum abgestimmt – auf einen automatisierten Overload negativer Inhalte wie er im digitalen Raum über Twitter, Instagram und Co grenzenlos in Gang gesetzt wird, sind sie nicht vorbereitet.

Algorithmen, Push-Funktion und das Smartphone im Bett können somit zu einer negativen Dauerbeschallung führen, einem Automatismus, der uns emotional verändert und uns immer abhängiger von Informationen macht. Regelrechte Ängste entstehen, etwas verpassen zu können, wenn man nicht „on“ ist. Ein digitaler Teufelskreis beginnt – entstanden aus einem ureigenen menschlichen Bedürfnis heraus, aber verstärkt durch die Technologie.

Die Folgen der digitalen Dauerbelastung

Psychologisch gesehen führt dieser Mechanismus der ständigen negativen Überinformation zu einem erhöhten digitalen Stresslevel und birgt die Gefahr, dass unsere Psyche dauerhaft leidet. Nicht nur, dass wir immer häufiger schlechte Laune bekommen, wir können echte Zukunftsängste entwickeln, psychosomatische Beschwerden bis hin zu Depressionen aber auch aggressiver werden oder regelrecht handlungsunfähig und in eine Art Schockstarre verfallen.

Der digitale Dauerstress, ausgelöst durch die Fixierung auf negative Nachrichten, wird umso problematischer, je stärker wir uns selbst in einer schwierigen Situation befinden, die uns unlösbar erscheint. Je schlechter man sich also fühlt, umso negativer wirken die „bad news“ auf unsere seelische Verfassung. Da kann es schnell kritisch für unsere Psyche werden.

Dies hat auch Folgen für unsere Cybersicherheit. Denn je stärker mein Stresslevel oder meine situativ gefühlte Überforderung, umso unaufmerksamer bin ich digitalen Fallstricken gegenüber: Ich klicke schneller auf einen Link, der mir bekannt vorkommt, ohne den Absender genau zu überprüfen. Auch die komplizierte Gestaltung einer Website oder eines Cookie-Banner werden in einer Stresssituation als lästiger empfunden und umso eher drückt man den „Zustimmen“-Button.

Die Farbenlehre der Sicherheit

Die grüne Farbe dieser digitalen Knöpfe verstärkt diesen Effekt übrigens noch, denn mit Grün verbinden wir in unserem emotionalen Ampelsystem etwa Freiheit und Natur also auch Vertrauen, gemäß dem Motto „du kannst ruhig weitergehen“. Hingegen sind die Ablehnungsbuttons meist grau oder rot, also entweder unscheinbar und gehen in unserer Wahrnehmung eher unter oder sie bedeuten Vorsicht oder Gefahr und davon lassen wir lieber die Finger. Auch Zeitdruck, der bei der Beantwortung von Mails von Cyberkriminellen gezielt erzeugt wird, zum Beispiel um den Zugang zu einem System zu erneuern, wirkt sich unter Stress und emotional instabilen Situationen stärker auf unser Verhalten aus als in gelassenen zufriedenen Momenten.

Um der emotionalen Achterbahn zu entkommen und auch Cyberrisiken vorzubeugen müssen wir ein digitales Bewusstsein entwickeln, Veränderungen an uns selbst wahrnehmen und feststellen, was uns digital guttut und wann wir überfordert sind. Wer sich psychisch emotional eher belastet fühlt, sollte unbedingt das digitale Leben abspecken. Auch bewusst kognitive Umstrukturierungen können helfen, zum Beispiel gezielt eine emotionale Distanz zu Informationen aufzubauen, die ständig um uns herum aufpoppen, aktiv unsere Gefühle etwas in den Hintergrund zu verbannen und bei unserem Nachrichtenkonsum stärker unsere Ratio einzuschalten, gerade weil die mediale Welt stark auf Emotionen setzt.

Spielregeln für unser Onlineverhalten können ebenfalls nützen: Digitale Ruhezeiten einhalten (Nutzungsdauer von Apps festlegen), Push-Funktionen ausschalten, überprüfen welche Infokanäle (ob YoutubeInstagram oder Twitter) wirklich sinnvoll sind- andere Kanäle bitte löschen. Auch sollten wir unsere Suche nach Informationen verändern – gezielt eine positive Konnotation wählen. Dabei ist es auch entscheidend, wann wir negative Nachricht en aufnehmen: morgens vor dem Aufstehen wirken diese besonders dramatisch und beeinflussen unsere Gedanken aufs extremste: je negativer die konsumierten Infos, umso schlechter – glauben wir – wird wohl der Tag verlaufen („self-fulfilling prophecy“). Vor dem Aufstehen also bitte nicht von Horrormeldung zu Horrormeldung scrollen, sondern Podcasts hören, mit Inhalten die gute Laune machen – dies gilt auch für die Zeit vor dem Einschlafen – oder einfach mal abschalten – vor allem im Schlafzimmer.

Aber auch die Medienmachenden könnten einen positiven Beitrag leisten, damit wir nicht zu digitalen emotionalen Krüppeln werden. So belastet zum Beispiel ein Verzicht auf zu starke negative Emotionalität vieler Nachrichteninhalte, die uns gerade in problematischen globalen Lebenslagen zusätzlich verunsichern und Ängste schüren, unsere Psyche deutlich weniger. Horror verkauft sich gut, macht die Menschen seelisch aber nicht gesünder. Es gibt einige Beispiele in denen Redaktionen einmal im Monat eine Ausgabe gezielt nur mit positiven Inhalten füllen. Denn diese gibt es ja, trotz Ukraine Krieg, Energie- und Klimakrise durchaus noch.

Catarina Katzer ist Volkswirtin, Soziologin und Cyberpsychologin. Sie ist Mitglied im Kuratorium der Deutschen Telekom Stiftung und berät Regierungsinstitutionen im In- und Ausland.

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