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Smart City

Standpunkte Gerechte Stadtplanung braucht Datenvielfalt und inklusive KI

Anna Sophie Herken, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
Anna Sophie Herken, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Foto: Gaby Gerster

Ob Kairo oder Lagos: Großstädte weltweit wachsen rasant. Mehr und mehr setzen Stadtplanerinnen und Stadtplaner auf Daten und Künstliche Intelligenz, um den Verkehr oder die Energie- und Wasserversorgung effizienter und klimafreundlicher zu gestalten.

von Anna Sophie Herken

veröffentlicht am 29.05.2024

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Wer Nigerias Hauptstadt Lagos besucht, kommt nicht um den hektischen und lauten Verkehr herum. Der zweitgrößten Stadt Afrikas geht es wie anderen Großstädten: Die Infrastruktur hält mit dem Wachstum nicht Schritt. Die Folgen des Klimawandels setzen ihr zu. Der Energie- und Wasserbedarf steigt. Gleichzeitig wollen die Bürger eine effiziente Verwaltung – und sich im öffentlichen Raum sicher fühlen.

Nicht nur Metropolen wie Lagos wachsen, auch kleinere Zentren. Bis 2050 werden zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Hier spüren Menschen die Probleme dicht an dicht. Armut, Gesundheitsrisiken, Müll und Versorgungsprobleme liegen nah beieinander. Schon jetzt machen Städte mehr als 70 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus. Hier entscheidet sich, ob die Agenda 2030 und das Pariser Klimaabkommen umgesetzt werden. Daher ist es richtig, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit eine nachhaltige Stadtentwicklung fördert. Das ist effizient: Schon kleine Veränderungen erreichen in Städten viele Menschen gleichzeitig und leisten einen Beitrag zum Klimaschutz oder helfen bei der Armutsbekämpfung.

Dabei setzen Stadtplanerinnen und Stadtplaner zunehmend auf Daten und Künstliche Intelligenz. Sei es, um den Verkehr zu lenken, die Müllabfuhr zu verbessern oder die öffentliche Verwaltung zugänglicher zu machen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH arbeitet an Lösungen, Städte in Afrika, Asien und Lateinamerika „smarter“ zu machen. Viele Städte haben ähnliche Herausforderungen. Da ist es gut, dass die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nicht allein sind. Weltweit tauschen sie sich aus, zum Beispiel im internationalen Städtenetzwerk C40. So profitieren auch deutsche und europäische Städte von Erfahrungen, die in Lagos, Nairobi oder Kapstadt gemacht werden – und umgekehrt.

Datenvielfalt für gerechte Smart Cities

Eine Erkenntnis für alle Städte: „smart“ ist nur gut, wenn die technischen Fortschritte allen Bewohnerinnen und Bewohnern einer Stadt gerecht werden. Ein Grund, warum dies nicht gelingt: Bevölkerungsgruppen, die ohnehin strukturell benachteiligt sind, tauchen oft nicht in Datensätzen auf. Das gilt für Alte und Menschen mit Behinderung genauso wie für Frauen und Mädchen. Auch Erwerbstätige aus armen Stadtteilen sind benachteiligt, schließlich nehmen sie oft lange Wege zur Arbeit in Kauf. Kommen sie in den Daten nicht vor, mit denen Städte geplant werden, werden sie auch in der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt.

Lagos dient in dieser Hinsicht als Inspiration. Dort – und in drei anderen afrikanischen Städten – befragten Forscher mehr als 700 Frauen und Männer, warum sie welche Verkehrsmittel nutzen. Zudem beobachteten sie das Mobilitätsverhalten. In Lagos war das die erste groß angelegte vergleichende Datenerhebung zu Gender und Mobilität – die GIZ hat sie in Auftrag gegeben. Das Ergebnis zeigt: Frauen und Mädchen nutzen den öffentlichen Raum anders als Männer. Frauen fahren häufiger Bus, aber zu anderen Uhrzeiten. Sie steigen häufiger um, etwa weil sie erst Kinder wegbringen, dann Besorgungen machen und dann ein Familienmitglied besuchen. Sie gehen mehr zu Fuß, werden leider auch eher sexuell belästigt. Für die städtische Verkehrsbehörde von Lagos sind diese Daten wichtig. Sie hat angefangen, Projekte umzusetzen, die den Verkehr speziell für Frauen und Mädchen sicherer machen.

Bedürfnisse marginalisierter Gruppen sichtbar machen

Auch Algorithmen können diskriminieren, wenn sie auf verzerrten oder unvollständigen Daten beruhen. Stadtplanerinnen und Stadtplaner, die sich von einer KI empfehlen lassen, wo sie die nächste Rettungswache oder Schule bauen, könnten das Falsche tun. Zum Beispiel, weil die KI unterversorgte Gebiete aufgrund lückenhafter Daten nicht als prioritär erkennt.

Wie es geht, zeigt das Beispiel Mexiko-Stadt. Dort haben die Stadtregierung, eine NGO und das mexikanische Frauenministerium rund 10.000 Frauen befragt, warum sie nicht arbeiten und was sich ändern müsste. Die Daten zeigen: Kindergärten und Pflegeeinrichtungen sind oft viel zu weit weg. Wer in einem Außenbezirk von Mexiko-Stadt lebt, fährt mehrere Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln, nur um Kinder in den Kindergarten zu bringen und selbst zur Arbeit zu kommen. Für Erwerbsarbeit bleibt nur wenig Zeit – und entsprechend wenig Geld am Monatsende, falls sich der Aufwand überhaupt lohnt.

Die Daten wurden mit Hilfe der GIZ auf einer Plattform öffentlich zugänglich gemacht, die Lücken sind auf einer Karte für alle sichtbar. Das mexikanische Frauenministerium nutzt die Plattform, um den Bau neuer Pflegeeinrichtungen in Mexiko-Stadt zu planen. Das Ministerium will, dass sie für jede Person innerhalb von 15 Minuten zu Fuß erreichbar sind. Das stellt die Pflegearbeit auf eine breitere Basis und entlastet die Frauen. Ein Algorithmus auf der Plattform empfiehlt automatisch geeignete Standorte.

Diverse Teams für eine inklusive KI

Beispiele wie Mexiko-Stadt und Lagos machen Mut. Dabei werden die Städte vor allem inklusiver, je diverser die Menschen sind, die sie gestalten. Daher braucht es mehr marginalisierte Gruppen in der Daten- und KI-Branche, das sind auch Frauen. An deren Qualifizierung arbeitet die GIZ weltweit mit ihren Partnerorganisationen. Zum Beispiel gibt es in Südafrika, Ghana und Ruanda das „AI and Data Science Bootcamp“. Ein Training zu KI und Daten, das speziell die Lebensrealitäten marginalisierter Gruppen beachtet.

Die Städte von morgen sind intelligent und fortschrittlich. Und sie ermöglichen es allen Menschen gleichermaßen, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Damit dies gelingt, braucht es bei der Stadtplanung diverse Teams. Marginalisierte Gruppen müssen in den Datensätzen und ihren nachgelagerten KI-Anwendungen auftauchen. Und es braucht internationale Stadt-Netzwerke, damit gute Smart City-Initiativen weltweit repliziert werden.

Anna Sophie Herken ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH. Sie arbeitete international in verschiedenen Bereichen, darunter der Privatwirtschaft, in internationalen Organisationen, der Bundesregierung und im Hochschulwesen. Anna Sophie Herken engagiert sich im Stiftungsrat der AllBright Stiftung, die sich für mehr Frauen und Diversität in Führungspositionen in der Wirtschaft einsetzt, sowie im Aufsichtsrat des International Rescue Committee (IRC) Germany. Sie ist Mitglied in der Mitgliederversammlung von Save the Children Deutschland sowie Mitglied des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik und von Generation CEO, einem Netzwerk führender Managerinnen.

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