Die Verknüpfung der voranschreitenden Digitalisierung mit Nachhaltigkeitszielen ist in den vergangenen Jahren immer mehr ins Zentrum der politischen, akademischen und gesellschaftlichen Debatte gerückt: So verpflichteten sich etwa die Grünen kürzlich per Fraktionsbeschluss zu einer nachhaltigen Gestaltung der Digitalisierung, die zugleich als Treiber des Klimaschutzes fungieren soll. Während neue Technologien einerseits vielversprechende Lösungen in der Nachhaltigkeitstransformation anbieten, ist die Digitalisierung selbst zum aktuellen Zeitpunkt keineswegs nachhaltig und stellt Umwelt und Gesellschaft vielmehr vor zahlreiche Herausforderungen.
Smart Cities stellen aus mehreren Gründen einen besonders interessanten Betrachtungsfokus in diesem Spannungsfeld dar: Erstens erfordert der global anhaltende Trend zur Urbanisierung den Ausbau von Infrastrukturen und stellt Städte vor diverse Aufgaben, etwa in den Bereichen Mobilität, Energieversorgung oder Wohnen. Zudem sind Städte besonders stark von den Auswirkungen des Klimawandels und sozialen Spannungen betroffen und entsprechend auf wirksame digitale Lösungen angewiesen.
Zweitens stellen nachhaltige Städte und Gemeinden selbst ein von den Vereinten Nationen formuliertes Nachhaltigkeitsziel (SDG 11) dar. In Deutschland wurden dafür konkret folgende Kernaufgaben formuliert: Städte als Entwicklungsakteure anerkennen und befähigen, lebenswerte Städte für alle Menschen schaffen und eine integrierte Stadtentwicklung verwirklichen. Drittens sind Städte auf politischer Ebene vergleichsweise agil, können flexibel auf Wandel reagieren und zum Beispiel gemeinsam mit Bürger:innen Lösungen erproben und voneinander lernen.
Von der smarten zur nachhaltig-digitalen Stadt
Digitale Technologien können Städte bei der Bewältigung der genannten Herausforderungen unterstützen, allerdings hat das Konzept Smart City in den vergangenen Jahren einige Kritik erfahren: So haben diverse Studien gezeigt, dass eine Smart-City-Strategie nicht automatisch zum Gemeinwohl oder Umweltschutz in einer Stadt beiträgt, sondern im Gegenteil auch zu Überwachung von Bürger:innen, Segregation oder Kapitalisierung des öffentlichen Raums führen kann. Als Reaktion auf diese Kritik hat sich in den letzten Jahren unter dem Titel Sustainable Smart Cities ein neues Forschungsfeld entwickelt, das gezielt untersucht, wie und unter welchen Bedingungen Digitalisierungsmaßnahmen in urbanen Räumen in den Dienst der Nachhaltigkeit gestellt werden können. Auch in den Smart-City-Strategien vieler deutscher Städte sind Nachhaltigkeitsziele fest verankert, allerdings bleiben zum aktuellen Zeitpunkt viele Fragen offen, von denen im Folgenden zwei näher betrachtet werden:
Wenig Fokus auf das Soziale und Schwierigkeiten in der Wirkungsmessung
Erstens fällt auf, dass zwar zunehmend Maßnahmen für ökologische Nachhaltigkeitsziele mithilfe digitaler Technologien umgesetzt werden, etwa der Einsatz von Smart Grids für die Energiewende, die soziale Nachhaltigkeitsdimension jedoch sowohl in der Forschung, als auch in den Smart-City-Strategien, vergleichsweise unklar bleibt. Gerade in urbanen Räumen sind Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und Zugang und Teilhabe jedoch hochrelevant und zudem eng mit zum Beispiel Klimaschutz verknüpft. Digitalisierung kann hier positive wie negative verstärkende Effekte haben, so zum Beispiel Zugang zu städtischen Services, zu Bildung oder Mitbestimmung ermöglichen. Gleichzeitig hat die Vergangenheit gezeigt, dass Technologie allein keine sozialen Probleme lösen kann und die genannten Maßnahmen auch den Ausschluss weniger digital bewanderter Bevölkerungsgruppen, oder durch Algorithmen automatisierte Disikriminierung, zur Folge haben können.
Zweitens ist die tatsächliche Wirkung von digitalen Tools oder Services auf Nachhaltigkeitsziele sehr schwer nachzuweisen. Zwar gibt es einige, teils sehr elaborierte Instrumente zur Erfolgsmessung von Smart Cities, der tatsächliche Beitrag, den Digitalisierung aktuell zur Nachhaltigkeitstransformation in deutschen Städten leistet, ist, insbesondere mit Blick auf soziale Nachhaltigkeit jedoch unklar. Das liegt zum einen an der hohen Komplexität und der Vielzahl relevanter Faktoren, zum anderen aber auch an einer herrschenden Unklarheit um den Begriff „Soziale Nachhaltigkeit“. Dieser wird in Bezug auf Digitalisierung je nach Kontext mit unterschiedlichen Debatten, wie etwa „Public-Interest-Tech“, „Civic Tech“ oder „Tech for Good“ in Verbindung gebracht. Hinzu kommt, dass zwischen auf ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeitsziele ausgerichteten Maßnahmen auch Zielkonflikte entstehen können, die eine eindeutige Wirkungsmessung erschweren.
Durch eine stärkere Debatte, Vernetzung und Partizipation die sozial-nachhaltige digitale Transformation vorantreiben
Aufgrund der hohen Komplexität und der unterschiedlichen Ausgangslagen der Städte gibt es auf beide Fragen keine pauschal gültigen Antworten. Folgende Ansätze scheinen nach aktuellem Kenntnisstand jedoch vielversprechend zu sein, um eine sozial-nachhaltige digitale Transformation, die der gesamten Stadtgesellschaft und nicht nur einigen wenigen zugutekommt, voranzutreiben:
Soziale Nachhaltigkeit und eine langfristig auf das Gemeinwohl ausgerichtete Digitalisierungsstrategie sollten deutlich stärker im Fokus der Debatte um die Gestaltung deutscher Smart Cities stehen. Um diese Debatte zu schärfen und weiter voranzutreiben, muss soziale Nachhaltigkeit im Smart City-Kontext besser erforscht und vor allem in der Praxis erprobt werden. Viele Städte befinden sich aktuell in der Implementierungsphase ihrer Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsstrategien – ein spannender Zeitpunkt, um den Blick auf konkrete Projekte und deren positive wie negative Wirkungen zu richten.
Erfolgreiche Projekte, die mithilfe von Digitalisierung auf lokaler Ebene zu mehr sozialer Gerechtigkeit oder Teilhabe beitragen können, müssen sichtbarer, greifbarer und somit für andere Städte nachahmbar gemacht werden. Einige Beispiele sind bereits da: Chatbots, die auf Websites von Bürgerämtern unterstützen; Karten, auf denen partizipativ barrierefreie Orte markiert warden können; oder lokale Nachbarschafts- und Tauschplattformen. Auch wenn eine konkrete Definition sozialer Nachhaltigkeit ebenso wie umfassende Wirkungsmessung nicht immer möglich ist, kann so aus Erfahrung gelernt und die Wirkung einzelner Projekte vergrößert werden.
Bürgerinnen müssen frühzeitig in Transformationsprozesse einbezogen werden. Die Forschung legt nahe, dass Digitalisierungsmaßnahmen, die von Beginn an Bürger:innen an den Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen beteiligen, erfolgreicher sind und weniger Gefahr laufen, als sogenannte „Tech Fixes“ soziale Probleme zu verstärken oder neue zu versuchen. Die Erfahrung der Städte zeigt, dass diese Partizipationsprozesse nicht einfach sind und nicht immer die gewünschten Bevölkerungsgruppen erreicht werden. Auch hier sollte verstärkt durch den Aufbau einer überregionalen Wissensgemeinschaft voneinander gelernt und gemeinsam ein kollektives Verständnis von einer Stadtentwicklung, die Digitalisierung passgenau einsetzt, um langfristige Ziele wie soziale Gerechtigkeit, Inklusion und Partizipation zu erreichen, entwickelt werden.
Helene von Schwichow ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Policy Analysis an der Technischen Universität München. In dieser Funktion forscht und lehrt sie zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit und beschäftigt sich im Rahmen ihrer Promotion insbesondere mit Fragen sozialer Nachhaltigkeit im Smart-City-Kontext. Zuvor war sie als Gründerin und Geschäftsführerin des unabhängigen Think Tanks „MOTIF Institute for Digital Culture“ sowie als Koordinatorin eines internationalen Forschungsnetzwerks am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft tätig. Sie hat in Berlin und Paris studiert und ihr Studium mit einem Master im Fach Gesellschaft- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin abgeschlossen.