Im vergangenen Jahrzehnt fand Digitalisierung in engem rechtlichen Rahmen statt – und zwar vor allem dort, wo sie konkret wird: in den Kommunalverwaltungen. Ohne klaren gesetzlichen Auftrag, eher aus Effizienzgründen und Pragmatismus. Geprägt von rechtlichen Einschränkungen, mangelnden Finanzmitteln und fehlenden staatlichen Standards. Trotz dieser Hürden ist es bereits in der Vergangenheit gelungen, bundesweit mit gemeinsam verabredeten Standards Daten im beträchtlichen Umfang auszutauschen – zum Beispiel im Meldewesen. In den Niederungen der kommunalen Verwaltungspraxis und dort in den Fachverfahren ist Digitalisierung schon seit Jahrzehnten Realität, sie reicht lediglich nicht bis zum Bürger, bildet aber in der Verwaltung längst die tägliche Arbeitsgrundlage. Der Brückenschlag zur Bürgerin und zum Bürger scheitert dagegen an fehlender Infrastruktur.
Gewaltenteilung und Wettbewerb auch in der digitalen Welt
Zu beobachten ist in den letzten zwei Jahren, dass die beabsichtigte Beschleunigung der Digitalisierung mittels beträchtlicher Finanzmittel fast ausschließlich in den Händen der Exekutive lag. Die Bundesregierung und die Landesregierungen sind die handelnden Akteure. Sie verabschieden das Vorgedachte und Abgestimmte in Gesetzgebungsverfahren, aber eine prägende Rolle und die Gestaltungs- und Integrationskraft der Parlamente zu den Grundsatz- und Zukunftsfragen fehlen bislang.
Im Rahmen einer wünschenswerten digitalen Governance würde dagegen der Gesetzgeber über die wesentlichen Fragen diskutieren und entscheiden, die Exekutive die Entscheidungen umsetzen und die Judikative über die Rechtseinhaltung wachen. Betrachtet man das aktuelle Handeln des IT-Planungsrates im Vergleich dazu, sind die bestehenden Defizite offenkundig.
Status quo problematisch
Ausgehend von dem Gewurstel des IT-Planungsrates wird ein weiterer erheblicher Mangel erkennbar. Getrieben von der ablaufenden Umsetzungsfrist vernachlässigt der IT-Planungsrat grundlegende Entscheidungen über dauerhaft funktionstüchtige und mit der Rechtsordnung in Einklang stehende Regeln und Rahmenbedingungen. Ein fairer Wettbewerb, wie er nach geltendem Recht unabdingbar ist, steht in einem erheblichen Spannungsverhältnis zum „Einer für Alle“-Prinzip mit freihändiger Mittelverteilung an federführende Länder und deren Dienstleister. Ebenso fehlt die im staatlichen Zuwendungsrecht geltende Prüfung, dass staatliche Mittel auch dem Förderzweck entsprechend eingesetzt werden. Zuwendungsbescheide werden normalerweise mit viel Aufwand geprüft und nachverfolgt, zum Leidwesen der Zuwendungsempfänger: kein vorzeitiger Maßnahmenbeginn, Zustimmungen müssen rechtzeitig eingeholt werden, Anzeigen erfolgen, Aufbewahrungspflichten und Preisprüfung folgen – egal ob das regionale Busunternehmen oder die Kindertageseinrichtung Zuwendungsempfänger ist.
Bei der Verteilung der Digitalisierungsmittel in Höhe von mehr als drei Milliarden Euro scheint der Zweck der Digitalisierung jedes Mittel zu heiligen. Im Ergebnis ist nicht gewährleistet, dass die Digitalisierungsmittel zum größtmöglichen Nutzen aller deutschen Verwaltungseinheiten eingesetzt werden. Wenig überraschend ergibt sich nun der Eindruck, dass einige Akteure in erster Linie ein möglichst großes Stück vom Kuchen abbekommen wollen. Ein Gesamtblick auf die Aufgaben und Regelungsbedürfnisse, zum Beispiel hinsichtlich von Standards und Schnittstellen bis hin zur Finanzierung der Anpassungsbedarfe in den Fachverfahren, fehlt vollständig. Notwendig sind zudem Regelwerke für die Zeit ab 2023, damit die mit Bundesmitteln entwickelte Software für alle Bedarfsträger verfügbar gemacht wird. Dies wäre etwa mit verbindlichen Open-Source-Vorgaben und einem klaren Nutzungsrahmen zur gemeinsamen Pflege der Dienste möglich. Das Problem wurde im Koalitionsvertrag zumindest erkannt. Wie die konkrete Umsetzung aussieht, bleibt fraglich.
Digitalisierung ist kein Thema für Nerds oder Freaks, Digitalisierung ist auch nicht komplizierter als unser übriges Leben. Die Digitalisierung geht nicht vorbei, sondern sie ist gekommen, um zu bleiben. Deshalb sollten wir ein rechtliches Fundament schaffen, das der Digitalisierung politisch und rechtlich ein gemeinsames Verständnis und damit eine Form gibt, die uns ermöglicht, auch künftig unsere verfassungsrechtlichen Freiheiten und unser föderales Staatssystem einschließlich der kommunalen Selbstverwaltung in der digitalen Zukunft zu bewahren.
Der Jurist Rudolf Schleyer ist seit 2004 im Vorstand der Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB) tätig und seit 2018 Vorstandsvorsitzender. Seine berufliche Laufbahn begann er in der bayerischen Finanzverwaltung.