Unvorhersehbar und einschneidend – so kann man die multiplen Krisen beschreiben, die in einem äußerst kurzen Zeitraum die Agenda im politischen Berlin verändert haben: Coronakrise, Ukrainekrise, Energiekrise. Nichtsdestotrotz darf sich die Politik von diesen Krisen und ihrer jeweils immensen Wirkkraft nicht davon ablenken lassen, die Herausforderungen unserer Zeit anzupacken. Eine davon ist ohne Zweifel die digitale Transformation, die in allen Lebensbereichen einen grundlegenden Wandel mit sich bringt.
Für Kommunen bietet sie neben höheren Bedarfen an einem zeitgemäßen Erbringen von Verwaltungsdienstleistungen einen Booster für eine nachhaltig-integrierte Stadtentwicklung und somit dafür, das Leben für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort sozialer, nachhaltiger und lebenswerter zu machen. Der digitale Wandel stellt jedoch auch eine weitere kostenintensive und komplexe Herausforderung dar, die es zu gestalten gilt – und zwar im Sinne einer doppelten Transformation, da ein digitaler Wandel nicht ohne eine nachhaltige Transformation der kommunalen Daseinsvorsorge denkbar ist, in der es auch darum geht, Verbräuche und Emissionen digitaler Tools zu berücksichtigen.
Alle Kommunen gleichermaßen stärken und fördern
Mit dem Smart-City-Bundesprogramm fördert der Bund derzeit 73 Modellprojekte mit insgesamt 820 Millionen Euro. Dieser Impuls ist wichtig, damit wir hier mit größeren Schritten vorankommen als bislang. In Zukunft sollte ein Schwerpunkt auch darauf liegen, die in Förderprogrammen entwickelten Lösungen auch den nicht-geförderten Kommunen zur Verfügung zu stellen. So stärken wir gerade die Kleineren und Schwächeren.
Parallel dazu müssen weitere Weichen gestellt werden: Wir müssen erstens nachhaltige Strukturen in den Kommunen schaffen, damit dort Digitalisierung als langfristige Transformation nicht nur von Politik, sondern vom gesamten ‚Konzern Kommune‘ über Projektförderungen hinaus ausgebaut wird. Hier können zentrale Basisinfrastrukturen und ein Kompetenzzentrum sicherlich helfen. Und wir müssen zweitens die digitalen Kompetenzen in der Gesellschaft stärken.
1) Nachhaltige Strukturen
Mit nachhaltigen Strukturen sind Funktionen in den Kommunalverwaltungen gemeint, die die digitale Transformation vor Ort über alle Bereiche übergreifend koordinieren und voranbringen. Wie so oft, ist auch hier die Finanzierung letztlich ausschlaggebend. Bei kleineren Kommunen können interkommunale Kooperationen eine Lösung sein, in denen sich Kommunen oder ganze Landkreise zusammenschließen. Hierdurch könnten Synergie-Effekte erzeugt und smarte digitale Konzepte verstärkt in die Fläche gebracht werden.
Eine nachhaltige Transformation im Ökosystem Kommune gelingt nur, wenn in den Verwaltungen derartige Strukturen verstetigt werden, die auch längerfristig nötige Kompetenzen aufbauen können. Denn für eine dauerhaft als smart angelegte Stadtentwicklung müssen neueste Trends und Technologien bewertet, genutzt und bestenfalls adaptiert und für die Bedarfe vor Ort weiterentwickelt werden. Und das alles unter höchsten Anforderungen an IT-Sicherheit und Datenschutz. Dies verlangt ein gehöriges Know-How, den Willen zum beständigen Fortbilden und der Arbeit in bundesweiten Netzwerken.
Warum sollten qualifizierte und motivierte (junge) Menschen besser bezahlte Jobs in der Wirtschaft aufgeben, um auf projektfinanzierten und befristeten Stellen Verantwortung in Kommunen zu übernehmen, wo sie zudem noch mit wenig Wertschätzung in der Kernverwaltung rechnen können?
Zu viele Kommunen wenden immer noch zu viel Geld für externe Beratung auf, anstatt die Kompetenzen innerhalb der Verwaltungen zu heben. Hier offenbart sich ein wichtiges Handlungsfeld, damit wir zum Smart Country werden.
2) Digitale Kompetenzen stärken
Die besten digitalen Instrumente und Angebote in Kommunen können ihre Wirkkraft aber auch nur in einer digital kompetenten Gesellschaft entfalten. Das ist das zweite Erfordernis für eine nachhaltige Implementierung smarter Konzepte vor Ort. Mit digitalen Kompetenzen meinen wir nicht Grundlagenwissen im Programmieren. Was wir fach- und generationenübergreifend brauchen, sind digitale Schlüsselkompetenzen.
Data Literacy, also die Fähigkeit mit Daten sachgerecht umzugehen, sie zu interpretieren und die Ergebnisse zu präsentieren, oder digitale Ethik sind nicht nur fachübergreifend im schulischen Bereich relevant, sondern spielen auch in einer Lebens- und Arbeitswelt 4.0 eine wichtige Rolle. Hier besteht Aufholbedarf an Schulen, in der Weiterbildung und in der außerschulischen Bildung.
Viele smarte Anwendungen entfalten ihre Funktionalität zwar, ohne dass sie bewusst von der Stadtgesellschaft aktiviert oder benutzt werden müssen, etwa smarte Beleuchtung von Gehwegen oder intelligente Verkehrsführung. Wenn es aber um digitale Partizipationsmöglichkeiten geht, um Bürgerportale zur Unterstützung von Vereinsarbeiten oder ehrenamtlichen Strukturen (wie beispielsweise ein kommunales Pflegenetzwerk), um Digitalisierung von Archiven oder Museumsanwendungen oder um digitale Lösungen etwa zur individuellen Energieberatung, dann führen diese Bereitstellungen nur zu ihrem intendierten Zweck, wenn sie auch angewandt werden.
Nicht zu vernachlässigen ist auch die Bereitstellung der nötigen Infrastruktur beziehungsweise Ausstattung zur Nutzung smarter Tools. Indem städtische Behörden, Kitas, Schulen, Krankenhäuser und Pflegeheime (Können wir uns die Generation der Baby-Boomer in Altenheimen ohne massiv ausgebaute digitale Infrastruktur vorstellen?), aber auch Gemeindezentren, Bibliotheken oder Dorfplätze mit öffentlichem WLAN und Geräten ausgestattet werden, kann eine Teilhabe an smarten Tools auch für diejenigen ermöglicht werden, denen privates Equipment fehlt.
Für uns ist klar: Neben wichtigen Impulsen aus Förderprogrammen werden wir nur dann ein Smart Country, wenn digitale Kompetenzen auf allen Seiten gestärkt werden und diese nicht als Nice-to-have, sondern als Must-have begriffen werden.
Carolin Wagner ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Ihren beruflichen Werdegang startete sie, parallel zu ihrer Promotion, als Studiengangkoordinatorin an einer Universität. Die letzten acht Jahre leitete sie die zentrale Studienberatung einer regionalen technischen Hochschule. Wagner ist ordentliches Mitglied im Digitalausschuss und in der SPD-Bundestagsfraktion unter anderem für das Thema Smart City und Smart Regions zuständig.Gerald Swarat ist Leiter des Berliner Büros des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE) und Mitglied des Digitalrats Sachsen-Anhalt.