Es bewegt sich etwas in der Mobilität. Die Zahl der
Elektroautos stieg zuletzt deutlich, mit dem Pedelec-Boom entdecken immer mehr
Menschen das Radfahren für sich, das Fahrrad wird zum Lifestyle-Produkt. Das
Smartphone und die Digitalisierung erleichtern die Nutzung neuer
Mobilitätsangebote wie etwa der zahlreichen Sharing-Dienste – und damit auch
intermodale Wegeketten, also den Wechsel zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln
auf der Fahrt von A nach B. Zwar sind wir vom autonomen Fahren noch weit
entfernt, aber das Thema ist in aller Munde. Und wirksamen Klimaschutz – der
ist ohne Verkehrswende nicht machbar – fordert nicht mehr nur die gesellschaftlich
breit aufgestellte For-Future-Bewegung, auch das höchste deutsche Gericht nimmt
Politik und Staat in die Verantwortung.
Es scheint ganz offensichtlich: An der Verkehrswende führt kein Weg mehr vorbei. Oder etwa doch?
Tatsächlich wandelt sich die Mobilität nur in kleinen Schritten. In den meisten Städten und noch mehr in den Dörfern ist das Auto weiterhin das dominierende, ja selbstverständliche Verkehrsmittel, selbst in den mit Bussen und Bahnen gut erschlossenen Großstädten wächst die Zahl der Kfz unvermindert weiter. Mehr als 95 Prozent der Deutschen sind noch nie mit einem Carsharing-Auto oder einem Leihrad gefahren, fast jeder Zweite nutzt für seine täglichen Wege ausschließlich das (eigene) Auto.
Die Folgen sind unübersehbar: Während parkende Autos große Teile des Straßenraumes beanspruchen, werden Fuß- und Radverkehr an den Rand gedrängt. Ja, die Forderung, die Flächen neu und damit gerechter zu verteilen, erklingt allerorten. Aber funktioniert eine solche Umverteilung? Welche Widerstände gilt es wie zu überwinden? Wie reagieren die Menschen vor Ort? Und welchen Beitrag kann die Neuaufteilung leisten für eine nachhaltige Mobilität, für den Wunsch nach mehr Lebensqualität?
Neue Premiumfußwege und Rückbau überdimensionierter Kreuzungen
Diesen Fragen sind das Büro Planersocietät sowie die Hochschule Bochum im Rahmen des Forschungsprojektes MONASTA des Umweltbundesamtes nachgegangen. MONASTA steht für Modellvorhaben nachhaltige Stadtmobilität unter besonderer Berücksichtigung der Aufteilung des Straßenraums. In dem Projekt haben vier Modellstädte – Aachen, Kiel, Köln und Leipzig – in den Jahren 2017 bis 2021 in einzelnen Stadtquartieren den Platz im Straßenraum zugunsten von Fuß- und Radverkehr neu verteilt.
So legte Aachen Premiumfußwege an und rief einen Quartiersfonds ins Leben, Kiel machte Straßen bespielbar, verbesserte Schulwege und sperrte auch einen Straßenabschnitt komplett für den Kfz-Verkehr, in Köln wurden Auto- zu Radspuren umgewandelt, zudem entstanden hochwertige Achsen für den Radverkehr, Gehwege wurden erweitert. Leipzig schließlich erarbeitete ein Fußverkehrskonzept und baute überdimensionierte Kreuzungen zurück.
Überall wurden Fahrradstraßen oder Radvorrangrouten eingerichtet, Mobilstationen mit Carsharing und Leihrädern sind ebenso entstanden wie neue Radabstellplätze und Grünflächen; Köln experimentierte auch mit Parklets, die Parkplätze zumindest zeitweise in Aufenthaltsbereiche mit Tischen und Bänken sowie Grün umwandeln, die zudem auch Gastwirte nutzen konnten. Die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner wurden dabei jeweils in den Prozess eingebunden. Wissenschaftler:innen begleiteten die vier Städte bei alldem, befragten die Anwohnenden, beobachteten die Veränderungen und zählten den Verkehr; ein Erfahrungsaustausch zwischen den Kommunen wurde organisiert.
Auch wenn nur vier Modellkommunen untersucht wurden, so hat das MONASTA-Projekt doch einiges offengelegt:
- Die Verkehrswende ist machbar.
Sollen dafür Straßenräume für die Menschen zurückgewonnen werden, braucht es
aber politischen Mut vor Ort: Zugleich ist die Unterstützung durch Bund und
Länder notwendig, insbesondere, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. So
bleibt die Reform der Straßenverkehrsordnung eine Daueraufgabe.
- Kommunikation ist unentbehrlich. Weil die autogerechte Infrastruktur vorgegeben ist, ist deren Rückeroberung
nicht ohne Widerstände zu erreichen. Das gilt gerade auch für kleinere
Veränderungen vor Ort. In den Mittelpunkt gestellt werden sollte der Gewinn durch
eine Flächenneuverteilung, nicht der Verlust. Darüber hinaus ist auch das
Denken in weiten Teilen der Politik, der Verwaltung und der Bürgerschaft auf
das Auto ausgerichtet. Deshalb gilt es, Bündnispartner vor Ort zu suchen, Ziele
und Pläne müssen klar und transparent formuliert werden.
- Die Verkehrswende braucht Zeit,
selbst wenn es um scheinbar kleinere Projekte im Quartier geht. In allen
Modellstädten verzögerte sich die Umsetzung von Maßnahmen, und das teils
erheblich. Mal fehlte ausreichend Personal, dann verzögerten Leitungs- und
Kanalbauarbeiten oder andere Baumaßnahmen geplante Projekte. In Aachen bremste
ausgerechnet der Radentscheid die MONASTA-Pläne erst mal aus. Auch notwendige
Abstimmungsprozesse innerhalb der Stadtverwaltungen und die teils strenge
StVO-Auslegung etwa durch die Straßenverkehrsbehörden können die Umsetzung
hemmen. Hier brauchen wir vor dem Hintergrund der Herausforderungen schnellere
Prozesse auch innerhalb der Verwaltung.
- Die Beteiligung der Bürgerinnen
und Bürger bremst die Verkehrswende nicht aus, sondern kann deren Umsetzung
fördern. Natürlich führt der Wegfall von Parkplätzen aber auch zu Unmut bei den
Betroffenen. In Leipzig verhinderte eine Bürgerinitiative den Umbau eines
Platzes, und auch in Kiel stieß der Wegfall von Parkplätzen nicht überall auf
Gegenliebe. Im frühen Dialog mit den Menschen jedoch können Verwaltung und
Politik ihre Ziele erklären, das fördert Verständnis und Zustimmung.
- Die Verkehrswende kann nur
funktionieren, wenn sich das Verhalten der Menschen ändert. Gerade in der
Mobilität haben sich aber Verhaltensroutinen etabliert. Deshalb braucht es gute
Angebote und Anlässe, sein Verhalten zu ändern.
- Temporäre, provisorische
Maßnahmen und Experimentierräume befördern eine schnellere Umsetzung. Die
Planungswelt spricht hier auch von Reallaboren. Sie machen Ergebnisse relativ
schnell sichtbar. Sofern die Maßnahmen wie erhofft wirken, ist die Akzeptanz
für endgültige bauliche Umsetzung anschließend groß; tun sie das nicht, kann
man nachjustieren oder umsteuern.
- Die Umverteilung der Flächen lohnt sich. Sie hat nachweislich in den Modellstädten trotz steigender Radfahrzahlen die Sicherheit für den Fuß- und Radverkehr erhöht, es kommt zu weniger Konflikten im Verkehr, die Aufenthaltsqualität in den Straßen steigt.
Michael Frehn ist Stadt- und Verkehrsplaner und Geschäftsführer der Planersocietät, einem bundesweit tätigen Planungsbüro aus Dortmund, das Kommunen, Ministerien und Verbände in Fragen der Verkehrswende berät.