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Verkehr & Smart Mobility

Volkswagen „Tempo 30, wo die Menschen leben“

Ralf Brandstätter
Die Marke VW ist der Kern des Volkswagen-Konzerns. Ralf Brandstätter (53) führt sie seit Juli 2020. VW Pkw lieferte im Corona-Jahr 2020 gut 5,3 Millionen Fahrzeuge aus, setzte dabei 71 Milliarden Euro um und beschäftigt weltweit 200.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Brandstätters Werdegang bei VW begann mit der Ausbildung zum Betriebsschlosser im Werk Braunschweig. Foto: dpa

VW hat auf der IAA in München die Studie seines Einstiegsmodells ID Life präsentiert. Im Interview erklärt Markenchef Ralf Brandstätter, warum das Serienmodell erst 2025 auf den Markt kommen soll. Ein Tempolimit auf Autobahnen, das nach der Wahl aktuell werden könnte, fürchtet er nicht. Und selbst Tempo 30 in Städten wäre mit VW zu machen.

Mortsiefer

von Henrik Mortsiefer

veröffentlicht am 09.09.2021

aktualisiert am 10.09.2021

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Herr Brandstätter, warum bringt VW erst 2025 einen elektrischen Kleinwagen auf den Markt?

Mit unserer Studie ID Life, die wir jetzt auf der IAA vorgestellt haben, geben wir einen Ausblick, wie wir uns ein solches Fahrzeug vorstellen können. Die Serienproduktion war ursprünglich für 2027 geplant. Wir haben den Marktstart um zwei Jahre vorgezogen. Bis dahin bringen wir jedes Jahr ein weiteres E-Modell auf den Markt – und wir haben mit dem kompakten ID.3 angefangen. Zudem liefern wir ja auch noch unseren e-up an Kunden aus. Mit unserer Strategie Accelerate beschleunigen wir die Transformation zur Elektromobilität. Bis 2030 wird der VW-Absatz in Europa zu 70 Prozent elektrisch sein.

Aber werden Sie Ihrem Anspruch wirklich gerecht, einen elektrischen „Wagen fürs Volk“ zu bauen? Sie sind 2025 nicht die Ersten. 

Wir bringen 2025 ein Kompaktfahrzeug um die 20.000 Euro auf den Markt. Damit werden wir unser Versprechen einlösen, Elektromobilität für alle anzubieten. Dieses Fahrzeug wird mit bis zu 400 Kilometern eine alltagstaugliche Reichweite haben und auch in Bezug auf Digitalisierung, Vernetzung und Verwendung von nachhaltigen Materialien Vorreiter sein. Natürlich müssen ebenso die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen.

Heute könnten Sie so ein Fahrzeug noch nicht profitabel produzieren?

Unser Modularer Elektrobaukasten, den wir mit dem ID.3 eingeführt haben, wird Skaleneffekte bringen, die es uns erlauben, auch das Einstiegssegment profitabel zu erschließen. Da ist aber noch viel zu tun. Unser neues Kompaktfahrzeug bekommt eine neue Batteriezelle, wir entwickeln selbst eine neue Einheitszelle für alle unsere E-Fahrzeuge, werden die Kosten weiter senken.

Zellhersteller erwarten, dass die Kosten für eine Kilowattstunde Batteriekapazität von heute 100 Euro auf 25 Euro fallen werden. Sehen Sie das auch so?

Wir gehen insgesamt im Einstiegssegment von einer Halbierung der Batteriekosten in den kommenden Jahren aus. 

Sechs Prozent Rendite mit der Marke VW halten Sie für notwendig, um den Umbau selbst finanzieren zu können. Vor Corona lag sie bei gut vier Prozent, 2020 nicht mal bei einem Prozent. Wann sind Sie auf diesem Level?

Wir gehen die strukturellen Themen der Marke an und haben ein Programm mit verschiedenen Initiativen aufgesetzt, um Volkswagen nachhaltig profitabel aufzustellen. Wir streben in allen Werken weltweit eine Produktivitätssteigerung von fünf Prozent jährlich an. Da sind wir gut unterwegs. In Nord- und Südamerika, wo wir zuletzt keine schwarzen Zahlen geschrieben haben, streben wir den Break-even noch in diesem Jahr an. Wir optimieren insgesamt die Fixkosten um fünf Prozent bis 2023. Und der Einkauf wird bis 2023 sieben Prozent bei den Materialkosten einsparen. 

Die Beschaffung wird gerade teurer.

Die Rohstoffkosten sind gestiegen. Insbesondere Stahl, Kupfer, Aluminium sind teurer geworden. Die derzeitige globale Inflation, sagen Studien, ist aber nur temporär. Wir haben hier zudem Spielraum, um gegenzusteuern, zum Beispiel kostengünstiger konstruieren oder Volumen noch stärker bündeln und damit Synergien schaffen.

Einige Ihrer Wettbewerber rechnen in der Halbleiterkrise nicht vor 2023 mit einer Entspannung. Sie auch?

Die Versorgungslage mit Halbleitern bleibt im dritten Quartal 2021 sehr angespannt. Bis Jahresende hoffen wir allerdings auf eine schrittweise Erholung. Eine dauerhafte Entspannung der Versorgungslage hängt aber maßgeblich von der Halbleiterindustrie ab. Da fehlen rund zehn Prozent Produktionskapazitäten für Auto-Chips. Dies wird uns auch 2022 noch beschäftigen. Chip ist dabei nicht gleich Chip. Manche sind austauschbar, andere nicht. Um den Hochlauf der E-Mobilität nicht zu beeinträchtigen, priorisieren wir Elektrofahrzeuge, zum Teil erfolgt eine Zuteilung auch nach Marge.  

Zurück zu den kleinen E-Autos. Sollte die staatliche Förderung stärker helfen? Statt Plug-in-Hybride (PHEV) zu fördern, könnte die Kaufprämie für elektrische Kleinwagen erhöht werden?

Die Frage der Förderung ist für mich von grundsätzlicher Bedeutung. Alle Segmente sollten unterstützt werden. Bei PHEV sollte aber nicht allein der Besitz, sondern auch die Art der Nutzung gefördert werden. Wir wollen ja auch nicht, dass bei PHEV-Geschäftswagen das Ladekabel nicht benutzt wird. 

Springen dann nicht PHEV-Kunden ab, wenn die Förderung an die elektrische Nutzung gebunden wird?

Warum sollte das der Fall sein? Die Nutzung ist doch entscheidend und liefert einen Beitrag zum Klimaschutz. Wenn Anreize geschaffen werden, elektrisch zu fahren und zu laden, hilft das allen.

Bei einer elektrischen PHEV-Reichweite von 50 Kilometern ist das für Dienstwagenfahrer eine ziemlich aufwendige Sache.

Der Plug-in-Golf schafft gut 50 Kilometer. Damit sind Alltagsfahrten im städtischen Raum möglich. Unsere nächste PHEV-Generation wird ab 2023 etwa 100 Kilometer Reichweite haben.

Konzernchef Herbert Diess wird nicht müde, ein Ende des Dieselprivilegs zu fordern. Würde das nicht dem Kerngeschäft der Marke schaden, das noch vom Verkauf von Verbrennern lebt?

Der Diesel-Anteil bei den VW-Verkäufen sinkt kontinuierlich und liegt aktuell bei rund 25 Prozent. Und der Diesel ist ein europäisches Thema, in China und in den USA gibt es ihn nicht.

Gerade Dienstwagen- und Geschäftskunden nutzen auf der Langstrecke aber noch den Diesel.

Wir müssen noch mehr Anreize schaffen für den Umstieg. Das gilt insbesondere für Dienstwagenfahrerinnen und -fahrer. Die Reichweiten der neuen E-Auto-Generation sind ausreichend, auch auf langen Strecken eine Alternative zu bieten. Allerdings muss dafür auch die Ladeinfrastruktur noch weiter ausgebaut werden. So kann leicht auf E-Fahrzeuge umgestiegen werden. Die schrittweise Reduzierung  des Dieselprivilegs wäre ein Signal, es würde Klarheit schaffen und wäre ein deutliches Bekenntnis, dass wir den gesamten Verkehr auf Elektromobilität umstellen wollen. Auch für die meisten Nutzer ist ein E-Fahrzeug günstiger im Unterhalt. 

Gilt das auch für das Dienstwagenprivileg? Sind Sie hier auch für eine Abschaffung?

Es gibt gute Gründe für die Dienstwagen-Regelung – vor allem als Incentive für den Arbeitnehmer. Diese Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist vom Prinzip her ja nicht schädlich für das Klima. Aber natürlich müssen auch hier Anreize für den Umstieg auf Elektromobilität geschaffen werden.  

Was halten Sie von Tempo 130 auf deutschen Autobahnen?

Die Debatte hat eher Symbolcharakter, denn sie hat sich mit der weiteren Verbreitung der Elektromobilität überholt. Zum einen fährt man mit einem E-Auto ohnehin langsamer, weil die Fahrzeuge bei höheren Geschwindigkeiten schneller an Reichweite verlieren. Und selbst wenn man 150 oder 180 fährt, stößt das E-Auto ja kein CO2 mehr aus.

SPD und Grüne wollen Tempo 30 in den Innenstädten, auf Durchgangsstraßen innerorts Tempo 50 – machbar mit VW?

Wir sind mit unserer Strategie auf jedes Szenario vorbereitet. Ich halte diesen Vorschlag für einen guten Kompromiss. Da, wo Menschen leben, langsamer zu fahren, und den Stadtverkehr ansonsten flüssig zu organisieren. Dafür ist aber ebenso ein intelligentes Verkehrsmanagement, das über Temporegulierung hinausgeht, erforderlich. Denn Autos werden ohnehin mit Assistenzsystemen immer sicherer, das kann man in den Statistiken nachlesen. Und mit zunehmender Digitalisierung und autonomem Fahren wird die Zahl der Unfälle weiter sinken. 

Greenpeace und andere Umweltgruppen werfen Volkswagen vor, die Verkehrswende nicht engagiert genug anzugehen. Können Sie nicht schneller?

Der Umbau des Konzerns ist ein Kraftakt, und wir haben die Transformation sogar noch einmal beschleunigt. Nicht nur punktuell in Deutschland, sondern weltweit. Dieses Tempo hat aber Grenzen. Auch, weil wir viele Menschen im Unternehmen und bei unseren Zulieferern mitnehmen und die Rahmenbedingungen dementsprechend angepasst werden müssen. Und: Elektromobilität ergibt nur dort Sinn, wo auch die verwendete Energie aus erneuerbaren Quellen stammt und wo die Ladeinfrastruktur ausgebaut wird. Wir können so viel Tempo machen, wie wir wollen, und werden doch bei der CO2 Reduzierung nicht schneller werden, wenn der Kohleausstieg nicht vorgezogen wird.

Wie groß ist das Risiko, dass VW das Tempo der Transformation nicht halten kann?

Wir werden nicht nachlassen. Das Risiko, dass wir als Gesellschaft insgesamt den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, etwa durch den verzögerten Kohleausstieg, ist größer.

Das Interview führte Henrik Mortsiefer.

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