Es ist schon traurig, wenn man sich einmal anschaut, wie langsam es in Deutschland mit der Mobilitätswende vorangeht. Dabei haben wir hierzulande fantastische Voraussetzungen, um die Mobilität der Zukunft zu gestalten. Eine Mobilität, welche getragen wird von den beiden Maximen Lebensqualität – welche auch Nachhaltigkeit einschließt – und Standortattraktivität.
Forschungs-, Technologie- und Wirtschaftskompetenz sind in hohem Maße vorhanden und hinzu kommt eine Bevölkerung, die mittlerweile sehr gut verstanden hat, dass sich etwas verändern muss. Doch leider müssen wir feststellen: Die wirklich großen Geschichten werden woanders geschrieben. In Europa beispielsweise in Paris oder im niederländischen Utrecht.
Zu viele Insellösungen anstelle von ganzheitlichen Konzepten
Was uns hierzulande fehlt, ist Mut in der Politik. Mut zu einer wirklichen Veränderung. An vielen Stellen wird etwas im „Klein-Klein“ gemacht, aber nirgends wird richtig „geklotzt“. Insellösungen statt ganzheitlicher Konzepte. Berlin beispielsweise verfügt zwar über eine sehr bunte Vielfalt neuer Mobilitätsangebote auf der Straße, das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Berliner Mobilitätsgesetz auch nach drei Jahren seines Bestehens noch immer keine wirklichen Veränderungen bewirkt hat.
In Hamburg, getragen vom anstehenden ITS Weltkongress 2021, werden zahllose Projekte durchgeführt und Reallabore geschaffen und die zuständige Behörde sieht sich mittlerweile auch für die Mobilitätswende verantwortlich. Doch ein echtes Zielbild, wie die Mobilität in der Hansestadt aussehen soll, fehlt auch hier.
Die Angst ist groß, jemandem weh zu tun
Die Realität in Deutschland sieht stattdessen anders aus: Weil sich niemand traut, einen Fehler zu machen, wird kleinteilig experimentiert. Und das geht dann so: Im Sommer werden für einen befristeten Zeitraum einige Straßen in der Innenstadt für den Autoverkehr gesperrt. Da sind die Autofahrer*innen ohnehin im Urlaub und diejenigen, die zu Hause geblieben sind, können dann die neu gewonnenen Flächen für ungestörte Spaziergänge, für Sport oder für einen Besuch im neuen Außenbereich des anliegenden Restaurants nutzen. Das führt zu Freude bei allen Beteiligten und bringt Wählerstimmen.
Doch mit Ablauf der Befristung ist wieder alles beim Alten. Auswertungen und Erfahrungsberichte? Fehlanzeige. Zu groß ist die Angst, vor den vermeintlich wütenden Autofahrern und einer wirklichen, dauerhaften Veränderung. Zu groß ist die Angst, jemandem weh zu tun. Doch eine echte Mobilitätswende, ohne Konsequenzen auf bestehende Angebote und gewohntes Verhalten, wird es nicht geben.
Die großen Fragen der Mobilitätswende
Die Politik muss es endlich schaffen, mit den Bürgerinnen und Bürgern in einen konstruktiven, unbürokratischen Dialog zu kommen, um die großen Fragestellungen zu beantworten. Wir müssen weg von einer reinen Verbots-Debatte hin zu lösungsorientierten Diskussionen.
Wie sozial gerecht sollte Mobilität sein? Welche negativen Konsequenzen wird die Gesellschaft für die Freiheit der Mobilität des Einzelnen noch bereit sein zu tragen? Wie sollte ein lebenswertes Kräfteverhältnis der einzelnen Verkehrsmittel untereinander aussehen? Wie sollten städtische Flächen aufgeteilt werden und wie Kosten umgelegt werden? Welche Mobilitätsangebote müssen für den ländlichen Raum geschaffen werden? Wie wird Mobilität in Zukunft finanziert und welche steuerlichen Regelungen braucht es? Welchen regulatorischen Ordnungsrahmen braucht es und wie sind städtische Planungsprozesse zu gestalten?
Eine lösungsorientierte Diskussion, keine pauschalen Verbote
Angesichts solch komplexer, fundamentaler Fragestellungen hat es sich bewährt, Zielbilder zu erstellen. Hierbei geht es zunächst um ein Idealbild, wie die Mobilität der Zukunft aussehen soll. Die Erstellung eines solchen Zielbildes ist ein moderierter Prozess, bei dem alle Bevölkerungsgruppen ebenso wie Wirtschafts- und Umweltverbände eingebunden werden. Ein so erstelltes Zielbild der Mobilität von Morgen ist die Grundlage, für eine lösungsorientierte Diskussion, bei der es nicht mehr nur um pauschale Verbote geht. Und dabei werden zwei Dinge schnell klar:
- Es gibt weder pauschale Gewinner noch pauschale
Verlierer. Mobilität ist situationsabhängig. Vielleicht benötigen die
Pendelnden in Zukunft fünf Minuten länger ins Büro, kommen aber dafür mit ihren
Pedelecs deutlich schneller und sicherer zum Vereinssport. Dies gilt es, zu
kommunizieren.
- Die Mobilitätswende hängt ganz entscheidend von lokalen Faktoren ab und ist somit entsprechend auch lokal zu gestalten. Es lohnt sich daher nicht nur, auf die neue Bundesregierung zu warten.
Die lokale Politik ist aufgerufen, den Menschen endlich mitzuteilen, wie die Mobilität der Zukunft aussieht. Wir brauchen Zielbilder, an denen sich die Mobilität der Zukunft orientiert und wir brauchen einen Fahrplan, wie wir dorthin kommen.
Pop-up Radwege und befristete Straßensperrungen bringen uns nicht mehr weiter und stellen noch längst keine Mobilitätswende dar. Es gab in der Politik selten die Chance, ein so bedeutendes Thema, welches alle Menschen betrifft, zu gestalten. Jetzt braucht es Politikerinnen und Politiker, die den Mut haben, diese Chance zu ergreifen.