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Agrar & Ernährung

Standpunkte Keine Axt an die Entwaldungsverordnung legen

Johannes Zahnen, beim WWF Deutschland zuständig für die Themen Holz und Papier
Johannes Zahnen, beim WWF Deutschland zuständig für die Themen Holz und Papier

Die Umsetzung der EU-Entwaldungsverordnung läuft auf Hochtouren. Selbst, wenn Ende des Jahres noch kein Länderranking stehen sollte, wäre das recht unproblematisch, schreibt Umweltingenieur und WWF-Experte Johannes Zahnen. Er erklärt, wieso und plädiert dafür, Europas bestes Mittel gegen die globale Abholzung auf den letzten Metern weder aufzuschieben noch zu verwässern.

von Johannes Zahnen

veröffentlicht am 10.04.2024

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Die Zerstörung der Wälder weltweit hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer existenziellen Bedrohung für die Menschheit entwickelt. Es war daher höchste Zeit, als die Europäische Union im Juni 2023 die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) verabschiedet hat. Die Verordnung soll den Verlust von Wäldern drastisch reduzieren, der durch die Produktion von Soja, Palmöl, Rindfleisch, Holz, Kaffee, Kakao und anderen verursacht wird.

Dass die EU hierbei eine entscheidende Rolle spielt, zeigt der Blick auf die Zahlen: Rund acht Millionen Hektar Wald gehen auf unserem Planeten pro Jahr verloren. Das ist mehr als die Fläche Irlands. Waldzerstörung ist nach der Industrie damit global die zweitgrößte CO2-Quelle. Und die EU hat nach China den zweitgrößten Fußabdruck in Bezug auf die globale Entwaldung. Es geht also um sehr viel!

Die EUDR, die Anfang 2025 für große Unternehmen in Kraft treten soll (für kleine und mittlere Unternehmen sechs Monate später), tritt an die Stelle der lückenhaften, unzureichend umgesetzten und dadurch weitgehend wirkungslos gebliebenen EU-Holzhandelsverordnung (EUTR). Ziel der strukturell verbesserten EUDR ist es, nicht nur den Handel mit illegalem Holz zu unterbinden, sondern auch sicherzustellen, dass die genannten Rohstoffe nicht von Flächen stammen, die nach 2020 entwaldet wurden. Dies ist ein entscheidender Schritt, um die Vernichtung unserer Wälder zu stoppen und ihre lebenswichtigen Funktionen für die Erde und uns Menschen zu bewahren.

Deutlich verbesserter Nachfolger der Holzhandelsverordnung

Im Vergleich zur alten Holzhandelsverordnung legt die EUDR die Verantwortung nicht nur in die Hand der Erstinverkehrbringer, sondern auch großer Akteure entlang der gesamten Lieferkette. Und die Herkunft der Produkte wird nicht mehr nur durch Angaben wie Land, Region oder Waldeinheit bestimmt, sondern grundsätzlich über Geo-Lokalisationsdaten eines Feldes oder Waldstücks. Das verbessert die Transparenz entlang der Lieferkette und stellt sicher, dass Produkte nicht aus illegalen oder umweltschädlichen Quellen stammen.

Obwohl die EUDR schon verabschiedet wurde und sie sich aktuell in der nationalen Umsetzung befindet, stellen sich ihr auf einmal Gegner in den Weg – darunter auch solche, die die EUDR 2023 noch unterstützt hatten. Verschiedene Interessensgruppen verbreiten dabei teils falsche Behauptungen, um die Umsetzung zu verzögern oder zu untergraben.

Am Rande der EU-Agrarministerkonferenz Ende März warnte der österreichische Forstwirtschaftsminister vor den angeblich negativen Auswirkungen auf die hiesige nachhaltige und kleinbäuerliche Land- und Fortwirtschaft. Mehrere Ministerinnen und Minister anderer EU-Staaten sprangen ihm zur Seite und auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir liebäugelt auf einmal mit einer Verschiebung der Umsetzung.

Fadenscheinige Kritik an Erfassung von Geodaten

Schießt die Entwaldungsverordnung vielleicht übers Ziel hinaus? Der Blick auf die Fakten lässt diesen Schluss nicht zu. Die Kritiker stürzen sich derzeit vor allem auf die angeblich überbordende Bürokratie. Insbesondere die geforderten Geo-Lokalisationsdaten seien eine unzumutbare Belastung für kleine Landwirte und Waldbesitzende in der EU. Falschinformationen werden gestreut, dass zukünftig GPS-Daten für jeden Baum einzeln ermittelt werden müssten.

Der tatsächliche Aufwand ist hingegen kaum größer als das, was schon heute gilt. Zudem liegen vielen Forst- und Landwirten die benötigten Geo-Lokalisationsdaten in den forstlichen Vereinigungen oder wegen der EU-Flächenprämie für die Landwirtschaft über die Gemeinsame Agrarpolitik sowieso schon vor. Wo sie fehlen, dauert die Ermittlung der Daten einer Fläche per Mobiltelefon oder Google Maps nur wenige Minuten. Sie muss zudem nur einmalig ermittelt werden - und natürlich nicht für jeden einzelnen Baum. Dazu bedarf es nicht einmal des persönlichen Aufsuchens der Fläche. Die zusätzliche „Belastung“ ist also überschaubar.

Standardrisiko wäre kein Grund zur Panik

Ebenfalls im Fokus steht das noch nicht finalisierte Länder-Benchmarking der EU. Damit soll jedes Land einer Risikobewertung unterzogen werden. Würde diese nicht rechtzeitig vor Inkrafttreten der EUDR fertig, drohe der Forstwirtschaft in Europa, wo das Risiko für Entwaldung äußerst gering sei, derselbe hohe Aufwand wie Firmen, die in Hochrisikoländern in Afrika, Asien und Lateinamerika tätig seien, heißt es. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir macht sich irrtümlicherweise diese Argumentation zu eigen. Doch die Bedenken sind übertrieben.

Einerseits bleibt noch ein Dreivierteljahr, um das Benchmarking fertigzustellen. Entscheidender ist aber, dass der Mehraufwand in erster Linie aufseiten der Behörden entstehen würde. Diese müssten nämlich bei einem „mittleren Risiko“, das zunächst standardmäßig gelten würde, mehr Kontrollen durchführen als bei „niedrigem Risiko“. Für (Wald-)Bauern hat dieser Unterschied hingegen kaum Auswirkungen, denn die Geo-Lokalisationsdaten müssen sie so oder so ermitteln. Und wo bewirtschaftete Wald- oder Landwirtschaftsflächen schon vor 2020 im Besitz waren, kann unabhängig von der EU-Risikobewertung einfach nachgewiesen werden, dass es seitdem nicht zu Entwaldung gekommen ist.

EUDR wird auch für Europas Wälder gebraucht

Die Forderung nach einer Ausnahme von EU-Ländern für die EUDR mit der Begründung, hier gäbe es keine Entwaldung, greift ohnehin viel zu kurz, da die Verordnung auch Walddegradierung und Illegalität verhindern will. Es gibt innerhalb der EU aber sowohl illegalen Holzeinschlag als auch massive Übernutzung von Wäldern. Eine Ausnahme für EU-Länder verbietet sich daher.

Blickt man hinter die Fassade, zeigt sich sehr schnell, dass ein Großteil der Kritik an der EUDR übertrieben, unsachlich oder von Missverständnissen geprägt ist. Die Entwaldungsverordnung ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die globale Waldzerstörung und ihre fatalen Auswirkungen. Wer den Beschluss jetzt auf Basis falscher Behauptungen in Frage stellt, greift einen demokratisch legitimierten und mühsam erarbeiteten Kompromiss an, der einen echten Unterschied machen kann im Kampf gegen die Entwaldung. Es drohen viele Jahre für den Walderhalt und die nachhaltige Holznutzung verloren zu gehen. Jahre, die die Wälder der Welt nicht haben.

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