„Ich sehe was, was ihr nicht seht“, sagt die Mama, während sie im Einkaufsbeutel kramt und ihre erwartungsfrohen Kinder anlächelt. „Und das ist blau, total knuddelig.“ Als Sohn und Tochter ein niedliches Nilpferd entdecken, rufen sie laut „Und so lecker!“ – und schnappen sich freudestrahlend den „Happy Hippo Snack“ von Ferrero.
Was die TV-Werbung nicht verrät: Die fürsorgliche Mutter hat ihren Kindern gerade eine ordentliche Kalorienbombe als Snack gegeben. Denn die „knubbelige Knusperwaffel“ besteht zu 82,5 Prozent aus Fett und Zucker.
Kinder kommen tagtäglich mit Werbung in Berührung – durch Plakate auf dem Weg zur Schule, im Fernsehen oder in den sozialen Medien. Sie sehen jeden Tag circa 15 Werbespots für Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett oder Salz.
Das Problem: Kinder können Werbung bis zu einem bestimmten Alter nicht als solche erkennen. Sie beeinflusst nachweislich das Ernährungsverhalten von Kindern, wie eine Meta-Studie der Universität Liverpool zeigte. Werbung macht Lust auf süßen Naschkram oder salzige Snacks und kann ungesunde Vorlieben für das Leben prägen. Schon die Jüngsten werden an den süßen und intensiven Geschmack gewöhnt. Ein übermäßiger Verzehr solcher Lebensmittel begünstigt Folgen wie Fehlernährung, Übergewicht und ernährungsbedingte Krankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Unter der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz und unter mehr als 60 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Elternverbänden, Krankenkassen und Verbraucherschutzorganisationen besteht Konsens, dass Werbeschranken für unausgewogene Lebensmittel ein wichtiges Instrument zur Förderung gesunder Ernährungsweisen darstellen. Dass es Veränderungen braucht, sollte klar sein.
Werbeverbote allein sind kein Allheilmittel – aber Werbung wirkt
Doch die Lebensmittel- und Werbeindustrie wiegelt ab: Werbeverbote seien unwirksam gegen kindliches Übergewicht. Diese Message zu verbreiten war ihnen eine große, überregionale Kampagne wert, die mitunter ganze Anzeigenseiten in Zeitungen füllte.
Natürlich ist klar, dass nicht eine Maßnahme das Allheilmittel sein kann. Das hat auch niemand behauptet. Viele verschiedene Faktoren können zu Übergewicht führen. Daher braucht es auch mehrere Bausteine, um ein gesundheitsförderndes Ernährungsumfeld zu schaffen. Und Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel gehören als eine Maßnahme dazu.
Denn Werbung wirkt, sonst würden Unternehmen nicht so viel Geld in sie investieren. Allein im vergangenen Jahr wurden TV-Werbespots für Süßwaren im Wert von rund 900 Millionen Euro ausgestrahlt. Der Einfluss von Lebensmittelwerbung auf Vorlieben, Essensauswahl sowie das Kauf- und Ernährungsverhalten von Kindern ist wie erwähnt bekannt. Für die WHO und das Kinderhilfswerk UNICEF sind die Erkenntnisse eindeutig. Um Kinder und Jugendliche wirklich zu schützen, sind gesetzliche Regelungen notwendig. Die bisherigen freiwilligen Selbstverpflichtungen der Industrie haben ihr Ziel verfehlt.
Die Gewinnmargen von Süßem und Salzigem sind hoch
Es braucht jetzt eine Versachlichung der Debatte. Aussagen der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie wie „Finger weg von meinem Kühlschrank“ und „Essen ist Privatsache“ sind fehl am Platz und eröffnen Scheindebatten. Sie zeichnen ein verzerrtes Bild dessen, was ein solches Gesetz leisten möchte. Wenn Werbebeschränkungen endlich kommen, wird es niemandem verboten, bestimmte Lebensmittel zu kaufen. Und es werden auch keine Lebensmittel aus den Regalen verbannt. Es geht schlicht um eine Werbebeschränkung von Lebensmitteln mit zu viel Zucker, Fett oder Salz.
Werbung ist ja nicht per se schlecht. Aber wenn sie Kinder und Jugendliche wahrnehmen oder diese sich konkret an sie richtet, braucht es dafür klare Spielregeln. Frage: Warum versucht Werbung, Kindern und Jugendlichen oftmals zu süße oder fetthaltige Aufstriche aufs Brot zu schmieren? Wieso muss auf zuckrigen Frühstücksflocken eine bei Kindern beliebte Comic-Figur auf der Verpackung sitzen? Warum preisen Influencer:innen, die bei ihrer oftmals jungen Zielgruppe großes Vertrauen genießen, zuckerhaltige Erfrischungsgetränke an?
Aus Sicht der Industrie scheint es eine simple Rechnung zu sein, denn Fett und Zucker sind günstige Rohstoffe. Die Gewinnmargen bei Schokoriegeln, Chips und süßen Getränken sind dementsprechend hoch. Kein Wunder also, dass es auch die Werbebudgets für diese Produkte sind.
Bundesregierung muss im Sinne von Kindern handeln
Auch mit Werbebeschränkungen bliebe genug Raum für Lebensmittelwerbung. Laut dem aktuellen Kompromissvorschlag von Bundesernährungsminister Cem Özdemir kann auch weiterhin Werbung im Fernsehen oder auf Plakaten für ungesunde Lebensmittel gemacht werden. Nur eben nicht zu bestimmten Uhrzeiten, zu denen auch Kinder fernsehen oder im 100-Meter-Umfeld von Schulen und Kindertagesstätten.
Wichtig ist, dass die Werberegulierungen nicht nur für Kindersendungen gelten – schließlich schauen Kinder auch zur Prime-Time Fernsehen, beispielsweise Sportübertragungen oder Familienformate. Auch Online-Werbung und Werbung über Influencer:innen muss deutlich eingeschränkt werden. Die WHO hat Nährwertkriterien für die Bewerbung ausgewogener Lebensmittel entworfen. Wenn Lebensmittel bestimmte Höchstgrenzen für Zucker, Fett und Salz nicht überschreiten, dürfen sie weiterhin an Kinder gerichtet vermarktet werden. Das ist aus unserer Sicht eine gute Lösung.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband begrüßt die Eckpunkte aus dem Gesetzentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom Februar. Allerdings liegen knapp neun Monate nach der Veröffentlichung weder ein konkreter Zeitplan noch ein offizieller Referentenentwurf vor, aus dem hervorgeht, wie die Bundesregierung eine Regelung umsetzen möchte. Stattdessen gibt es Kompromisslinien, die die einst ambitionierten Eckpunkte des Ministeriums verwässern.
Die Bundesregierung ist nun am Zug. Die längst überfälligen strengeren Regelungen für Werbeschranken müssen endlich auf den Weg gebracht werden. Die Regierung muss im Sinne der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen handeln und zügig eine geeignete und wirksame Lösung finden. Die derzeitige Blockade hilft niemanden – am wenigsten den Eltern, die sich Unterstützung beim Einkaufen wünschen und die Werbung für ungesunde Lebensmittel mehrheitlich ablehnen. Wenn die Bundesregierung Kinder, Eltern und ihre Großeltern dabei unterstützen möchte, dass Kinder sich gesünder und ausgewogener ernähren, muss sie schnell handeln. Und bitte keine halben Sachen!