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Digitalisierung & KI

Standpunkte Bidens Hausaufgaben und Europas Chance

Tyson Barker ist Senior Fellow des Atlantic Council
Tyson Barker ist Senior Fellow des Atlantic Council Foto: DGAP

Die Dysfunktionalität des US-Kongresses aufgrund der komplizierten Mehrheitsverhältnisse bleibt auch im Jahr 2023 eine politische Realität. Aber die Biden-Regierung hat ein einzigartiges Gespür dafür bewiesen, wie man den Weg für eine parteiübergreifende Gesetzgebung findet – und wendet nun ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf die digitale Governance, schreibt Tyson Barker.

von Tyson Barker

veröffentlicht am 10.02.2023

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Im „Wall Street Journal“ skizzierte Präsident Joe Biden eine dreiteilige digitale Agenda für den Kongress, die sich auf den Datenschutz, die Moderation von Inhalten auf und die Marktmacht von Online-Plattformen konzentriert. Der Beitrag, seine erste gesetzgeberische Botschaft an die neue republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus, hält mit Kritik an den großen Plattformen nicht hinter dem Berg: „Die Industrie sammelt, teilt und nutzt unsere persönlichsten Daten, nährt Extremismus und Polarisierung in unserem Land, kippt das Spielfeld unserer Wirtschaft, verletzt die Bürgerrechte von Frauen und Minderheiten und gefährdet sogar unsere Kinder.“ 

Es wäre also ein passender Moment, das „digitale Regelwerk“ für die großen Online-Plattformen – den Data Governance Act, Digital Services Act, Digital Markets Act, AI Act, Data Act sowie die Datenschutzgrundverordnung – zwischen den euro-atlantischen Partnern anzugleichen.  

In seiner Rede zur Lage der Nation 2023 am Dienstag richtete Biden sich mit dieser Botschaft direkt an den Kongress. Zum ersten Mal befürwortete er „strengere Grenzen“ für das Sammeln personenbezogener Daten und eine stärkere Begrenzung des „self-preferencing“, was ein Kernelement des Digital Markets Act ist. Dies ist eine deutliche Veränderung gegenüber der Ansprache zur Lage der Union im Jahr 2022, in der der Präsident lediglich die Auswirkungen der Haugen-Enthüllungen am Rande thematisierte. Selbst ohne die Unterstützung des Weißen Hauses war der Kongress aber zuletzt so nah daran wie nie zuvor, Gesetze zum Datenschutz und zum digitalen Wettbewerb zu verabschieden.

Wie der europäische Datenschutz kopiert wird

Im Bereich des Datenschutzes wurde der überparteiliche American Data Privacy and Protection Act (ADPPA) – das erste ernstzunehmende umfassende Datenschutzgesetz des Kongresses – vom Energie- und Handelsausschuss des Repräsentantenhauses mit 53 Ja-Stimmen gegen zwei Nein-Stimmen angenommen, was die Einigkeit der beiden Parteien demonstriert. Das ADPPA würde das europäische Konzept der Beschränkung der Datenerhebung und -nutzung auf das „notwendige und verhältnismäßige Maß“ übernehmen. Zusammengenommen mit dem überarbeiteten Privacy-Shield-Framework für Datentransfers, das die Biden-Administration bereits angekündigt hat, würde so eine neue Rechtsphilosophie im US-Datenschutzrecht Einzug erhalten.  

Das ADPPA enthält aber auch wichtige Leitplanken für personalisierte Werbung, einen erweiterten Schutz vor Targeting für bestimmte Bevölkerungsgruppen, eine Beschränkung der Erhebung und Nutzung sensibler Daten und eine Ausweitung des Bürgerrechtsschutzes vor Diskriminierung bei der Nutzung personenbezogener Daten. Damit werden also Aspekte des DSA und des AI Act aufgegriffen.

Das ADPPA muss im Kongress noch taktische Hürden überwinden, insbesondere in Bezug auf die Frage, wie sich das ADPPA in das Recht der Bundesstaaten einfügt. 45 Bundesstaaten haben beispielsweise kein umfassendes Datenschutzgesetz, aber Kalifornien ist misstrauisch, dass das ADPPA seine eigenen Bemühungen verwässern könnte.

Aber die Biden-Regierung hat begonnen, sich zu einzumischen, was sie im letzten Kongress vernachlässigt hat – und eine mögliche Verabschiedung des Gesetzes ist greifbar geworden.  

USA greifen kartellrechtlich stärker durch

Auch in Bezug auf den Wettbewerb scheint Biden in seiner Rede zur Lage der Nation im Jahr 2023 den American Innovation and Choice Online Act (AICOA) zu unterstützen. Dieser parteiübergreifende Gesetzentwurf der Senatoren Amy Klobuchar und Chuck Grassley, der sowohl vom Justizausschuss des Repräsentantenhauses als auch vom Senat angenommen wurde, kam aber im letzten Kongress nicht zur Abstimmung. Ein Votum im Repräsentantenhaus wird von entscheidender Bedeutung sein und könnte aufgrund von Änderungen der Geschäftsordnung möglich werden. 

Nicht nur das Weiße Haus unterstützt die Wettbewerbsregulierung stärker. Auch die Regulierungsbehörden ergreifen zunehmend Maßnahmen, um gegen die an „Pac Man“ erinnernde Strategie der Gatekeeper-Plattformen vorzugehen. Die hat es einigen von ihnen – insbesondere Meta und Google – ermöglicht, ihre marktbeherrschende Stellung zu halten, indem sie kleinere Konkurrenzunternehmen aufkaufen. Die Handelsbehörde FTC hat ein Policy Statement veröffentlicht, in dem sie ihre Ansicht darlegt, dass eine „unlautere Wettbewerbsmethode“ gemäß Abschnitt 5 des FTC-Gesetzes sie dazu ermächtigt, gegen solche Verhaltensweisen vorzugehen, „die die Tendenz haben, zu Verstößen gegen die Kartellgesetze zu reifen“. Die Biden-Administration hat die Behörde bereits dafür gerüstet, 2023 mit diesen Verfahren zu beginnen, indem sie den Haushalt der FTC um 14 Prozent (auf 430 Millionen US-Dollar) und den der Kartelleinheit des Justizministeriums um 16 Prozent (auf 225 Millionen US-Dollar) erhöht hat. 

Inhalteregulierung als Elefant im Raum

Auch wenn die euro-atlantische Angleichung an Washington im Jahr 2023 Anlass zu vorsichtigem Optimismus gibt, gibt es auch einige potenzielle Fallstricke. Was die Mäßigung der Inhalte auf Plattformen betrifft, so wird der Weg zu legislativen Maßnahmen immer schwieriger. Zwar streben sowohl Demokraten als auch Republikaner eine Reform von Abschnitt 230 an, doch die Meinungen über den Umfang der notwendigen Änderungen des Haftungsrechts liegen noch weit auseinander – vor allem nach der Stürmung des Kapitols am 6. Januar 2021.

Auf republikanischer Seite versuchen die Bundesstaaten Texas und Florida, die Plattformen zu zwingen, als neutrale „Common Carrier“ zu agieren, ähnlich wie Telekommunikationsanbieter – sonst müssen sie mit Klagen wegen politischer Zensur rechnen, was gegen den ersten Verfassungszusatz verstößt. In ähnlicher Weise wird sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage befassen, ob diealgorithmische Hervorhebung bestimmter Inhalte – im Gegensatz zur früher üblichen „umgekehrten Chronologie“ – vor der Haftung der Plattformen gemäß Abschnitt 230 geschützt ist. In beiden Fällen wird der Umfang des Haftungsschutzes in einer Weise verändert, die die euro-atlantische Durchsetzung der Regeln beeinträchtigen könnte.  

Darüber hinaus hat die Biden-Administration im April 2022 durch die unüberlegte Einrichtung eines Desinformations-Governance-Boards einen massiven innenpolitischen Rückschlag mit konservativen Anschuldigungen ausgelöst,Washington wolle ein Wahrheitsministerium einrichten. Ein Rückschlag für die potenzielle Zusammenarbeit zwischen den USA und der EU bei der Ausarbeitung eines euro-atlantischen Verhaltenskodex für Desinformation, der von den Plattformen in ihren Geschäftsbedingungen übernommen und durch DSA-Anforderungen für die Durchsetzung von Nutzungsbedingungen instrumentalisiert werden könnte.

Stattdessen konzentriert sich die Aufmerksamkeit der USA jetzt auf andere Mittel, mit denen man eine bessere Einsicht in Algorithmen für die Aufsicht schaffen kann. Das könnte aber auch nicht funktionieren, und die Biden-Administration wird dann im Stillen DSGVO-konforme Mittel für amerikanische Wissenschaftler unterstützen, um die Vorteile der DSA-Instrumente zu nutzen – was nach der Entscheidung von Twitter, den freien API-Zugang zu schließen, schwieriger wird.

Die Vereinigten Staaten führen den heiklen politischen Diskurs über Dateneigentum und -zugang für Industrie- und IoT-Daten nicht in dem Maße, wie es die EU mit dem Data Act und dem Data Governance Act begonnen hat. Sie haben auch noch nicht damit begonnen, ein Regelwerk für 5G/6G-basierte Cloud- und Edge-Infrastrukturen in Angriff zu nehmen. Das sind Bereiche, in denen die Vereinigten Staaten und Europa erhebliche – und zuweilen divergierende – technologieindustrielle politische Interessen haben. Diese Aspekte zu vernachlässigen, wäre eine verpasste Gelegenheit angesichts der Bedeutung eines integrierten euro-atlantischen freien Datenraums und einer demokratischen digitalen Governance angesichts der Konkurrenz durch China.

Neue euro-atlantische Themen entstehen derweil in zwei strategischen Technologiebereichen, die der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan als „Kraftmultiplikatoren“ für die amerikanische Macht bezeichnete – Halbleiter (mit den Exportkontrollen vom 7. Oktober und dem CHIPs-Gesetz) und grüne Technologie (die IRA). Ein Grund mehr, das euro-atlantische digitale Regelwerk in einem Moment besser abzustimmen, in dem die politische Stimmung im Kongress und die Prioritäten der Regierung günstiger werden. 

Tyson Barker ist Senior Fellow des Atlantic Council. Zuvor war er von Oktober 2020 bis Dezember 2022 bei der DGAP als Programmleiter Technologie und Außenpolitik tätig. 

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