Weites Land, gute Luft und Zeit, sich von den unendlichen Möglichkeiten inspirieren zu lassen. Wer konnte, verbrachte im 19. Jahrhundert die Sommermonate weit weg von der Stadt. Die Eisenbahn machte es möglich, lange Strecken sicher zu absolvieren und neben der eigenen Residenz auch in den Residenzen anderer Energie zu schöpfen. Das erweiterte nicht nur den Horizont, sondern eröffnete ganz neue Möglichkeiten der Interaktion. Frisch inspiriert ging es zurück in die Stadt, um die gewonnenen Erkenntnisse für sich selbst, die Wirtschaft und die Gesellschaft nutzbringend umzusetzen.
Während ich mit meinen Füßen im Sand vor meinem Ostseestrandkorb sitze und meine eigene kleine Sommerfrische zelebriere, freue ich mich auf und über das, was uns bis zum nächsten Sommer im Bereich der digitalen Verwaltungstransformation alles zusammen gelingen kann.
Wir brauchen die Verwaltungscloud
Denn gelingen kann viel. Die Technologie ist in vielen Bereichen da. Nehmen wir zum Beispiel die Cloud – die Eisenbahn des 21. Jahrhunderts: sicher, über Jahre bei Riesen aus der freien Wirtschaft erprobt, individuell, massentauglich, interoperabel und inklusiv. Mithilfe einer nutzbringenden Partnerschaft von Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Verwaltungen könnte die Cloud auch deutsche Verwaltungsrealität werden.
Was in anderen Industrien (beispielsweise der internationalen Automobilindustrie) insbesondere im Bereich der Automatisierung und datenbasierten Bedarfsprognosen von Ressourcen gängige Praxis ist, kann den Einzug in die Amtsstuben finden. Die Cloud ist ein Zugewinn, nicht nur für einige wenige Verwaltungsmitarbeitende, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger.
Die Verwaltungsmitarbeitenden, die den Nutzen wirklich erkennen, werden einen technisch unterstützten und somit einfacheren Arbeitsalltag haben. Neben der Technologie selbst ist daher die Befähigung und Inspiration mit konkreten Anwendungsbeispielen ein wichtiger Schlüssel.
KI könnte sofort genutzt werden
Das technologische Momentum der Künstlichen Intelligenz (KI) erlaubt es, Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Automatisierte Designs, datenbasierte Vermerkvorlagen, Echtzeitanalysen und Steuerungsdashboards sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern sofort ein- und umsetzbar. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind (unter anderem mit der DSGVO und dem EU-US Data Privacy Framework) geschaffen, um alle Potenziale moderner Cloudplattformen für sich zu nutzen.
Es ist daher nicht sinnvoll, und nebenbei auch unnötig teuer, für allgemein bekannte Bedarfe in langwierigen Prozessen mit noch aufwendigeren Zertifizierungen eigene Lösungen zu entwickeln, wenn andere dies schon erfolgreich getan haben. Die aktuelle weltpolitische Lage erlaubt es im Sinne der Resilienz zudem nicht, bei null anzufangen.
Warum sollen deutsche Verwaltungen nicht die Früchte der Privatwirtschaft ernten? Beziehungsweise international umgesetzte Verwaltungspraktiken (elektronische Identitäten, Bürger:innenplattform, E-Bescheide oder E-Payment), wo möglich, einfach übernehmen? Die gewonnene Zeit kann dann auch analog eingesetzt werden, um beispielsweise Bürger:innenleistungen stärker im Dialog mit den Menschen zu entwickeln und kontinuierlich zu erneuern. Gut übernommen ist besser als schlecht selbstgemacht.
Die Cloud schafft Zeit
Was heißt das ganz konkret? Die für die digitale Transformation benötigten Netzwerke zur verwaltungsübergreifenden Kollaboration sind in dezentralen „Clouds“ von Haus aus integriert. Cloudplattformen sind die Basis für innovatives, vernetztes Arbeiten und geben den sicheren Rahmen für die Verschmelzung von Fachexpertise und unterstützender Technologie. So wird es möglich, je nach benötigtem Sicherheitsstandard (als private, public oder souveräne Variante) Daten fast jeder Art und Größe zu teilen. Eine medienbruchfreie Bearbeitung ganz ohne Drucker, oder das Monitoring von Gemeinschaftsaufgaben visualisiert aufzubereiten ist dann sogar in festgelegten Datengrenzen innerhalb Deutschlands, Europas, oder der Welt möglich.
Konsequent umgesetzt, bringen sich Verwaltungen, ohne mehr Personal einsetzen zu müssen, selbst so in die Lage, die eigene Leistungsfähigkeit zu erhöhen und basierend auf Fachwissen bedarfsgenaue Lösungen zu entwickeln. Es braucht dann keine neuen Planstellen, sondern zu Beginn mehr Zeit, Prozesse Ende-zu-Ende vorzudenken und nutzendenzentriert umzusetzen. Der Einsatz von Technologiebaukästen (Low Code) zur Unterstützung von Routineaufgaben und Prozessoptimierung durch Künstliche Intelligenz wären hier Beispiele. Das Resultat: sowohl die IT – als auch die Fachabteilungen haben mehr Zeit für die wirklich komplizierten Fälle!
Optimierte Prozesse bedeuten schnellere Bescheide
Ein wirklich guter Verwaltungsprozess sollte so weit wie möglich automatisiert sein. Er soll proaktiv Bedarfe für eine Bearbeitung erkennen – uns zum Beispiel darüber informieren, wenn der Reisepass abläuft und wir damit verbunden ein neues Foto oder eine Auskunft aus dem Melderegister brauchen. Ein wirklich guter Prozess bedeutet, dass sich die Verwaltung, nach Zustimmung des Antragstellenden, die benötigten Information für einen Antrag so gut wie möglich selbst beschafft und wo nötig über digitale Plattformen erbringen lässt.
Um in der Analogie der Sommerfrische zu bleiben: Wenn es gelingt, in diesem Jahr das Schienennetz der Cloud massiv auszubauen, werden Verwaltungen so verbunden, dass einer gegenseitigen Inspiration durch den echten Austausch von Expertise und Daten nichts mehr im Wege steht. Was entsteht, ist mehr Zeit für den Austausch zwischen Verwaltung und den Bürgerinnen und Bürgern. Und so träume ich, mit sommerlicher Leichtigkeit, essen wir im nächsten Jahr alle zusammen Lakritzeis, die Verwaltungsmitarbeitenden, die KI und ich.
Lisa Steigertahl leitet seit April 2022 Innovationsstrategien im Geschäftsbereich Öffentlicher Sektor für die Microsoft Deutschland GmbH. Zuvor hat sie die E-Government-Strategie für das Land Berlin verantwortet sowie die Geschäftsführung eines europäischen Dachverbands für innovative Unternehmen in Brüssel.