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Digitalisierung & KI

Standpunkte Mehr Freiheit für digitale Macher

Fabian Mehring, Bayerischer Staatsminister für Digitales, und Professor Patrick Glauner, TH Deggendorf
Fabian Mehring, Bayerischer Staatsminister für Digitales, und Professor Patrick Glauner, TH Deggendorf Foto: StMD | privat

Deutschlands Digitalwirtschaft braucht „German Mut“ und Begeisterung für Zukunftstechnologien, einen Wachstumsfonds sowie weniger Bürokratie und Überregulierung, meinen der bayerische Digitalminister und der KI-Prof. Vielversprechende Forschung muss wirtschaftliche Erfolge generieren.

von Fabian Mehring und Patrick Glauner

veröffentlicht am 12.06.2024

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Nur selten entfalten technologische Durchbrüche so schnell eine derartige Breitenwirkung, wie sie die Welle der Künstlichen Intelligenz (KI) im vergangenen Jahr erzeugt hat. Mehr als die Hälfte der Dax-Konzerne nutzt mit Copilot, ChatGPT und DALL-E bereits die KI-Angebote von Microsoft und dessen Partner Open AI. Dem amerikanischen Softwarekonzern bescherte dies sein bisher größtes Neukundengeschäft. Branchenriesen wie Intel, Google und Meta ziehen mit Milliardeninvestitionen nach. Das Marktforschungsinstitut Gartner erwartet, dass sich die Ausgaben für KI-Software bis 2027 auf weltweit mehr als 280 Milliarden Euro verdreifachen. Die Wertschöpfung der KI-Hardware wird dadurch zu einer magischen Erfolgsgeschichte: Der Chip-Hersteller Nvidia ist mittlerweile mehr wert als alle Dax-Unternehmen zusammen.

Bei alledem ist Deutschland als Premium-Standort für Forschung und Entwicklung ungebrochen attraktiv. Um die sprichwörtlichen „PS“ deutscher Exzellenz hierzulande auf die volkswirtschaftliche Straße zu bringen, ziehen jedoch entschieden zu viele Talente weiter. Eine Studie der Stiftung Neue Verantwortung im Jahr 2022 ergab, dass Deutschland dabei als ‚Drehscheibefür KI-Talente wirkt – und nicht als deren ‚finale Destination‘: Viele ziehen weiter in die USA, die Schweiz oder nach Großbritannien. Gerade in diesen Zielländern locken digitale Tech-Konzerne die KI-Köpfe mit hohen Gehältern und überaus spannenden Entwicklungsmöglichkeiten.

Es braucht einen Mentalitätswandel

Kurzum: Zu viele digitale Macher ziehen weiter! Um diesbezüglich eine Kehrtwende zu schaffen, müssen wir sowohl in der KI-Forschung noch exzellenter werden als auch beim Transfer aus der Wissenschaft in die ökonomische Praxis eine ganze Schippe drauflegen. Die Patentzahlen des Stanford-AI-Index zeigen, dass Deutschland pro Einwohner lediglich auf Platz 9 liegt; unter den KI-Basismodellen hat Deutschland bislang lediglich zwei hervorgebracht. Demgegenüber stehe 109 Foundation Models aus den USA – soviel Abstand zur globalen Spitze ist für uns – als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt – nicht angemessen.

Um bei der KI-Forschung und deren wirtschaftlicher Verwertung einen veritablen Sprung nach vorne zu machen, bedarf es hierzulande insbesondere eines signifikanten Mentalitätswandels: Dieser muss zuerst die grundsätzliche Einstellung zu neuen Technologien revolutionieren, die viel zu oft von Skepsis und Bedenkenträgerei geprägt ist und schlussendlich in Abwehr mündet.

Ein Leuchtturmbeispiel hierfür ist der kürzlich beschlossene AI Act, die EU-Verordnung zur Nutzung Künstlicher Intelligenz. Während man andernorts den Turbo für die Märkte von morgen zündet, fokussiert Europa sich im über 400 Seiten langen AI Act überwiegend auf mögliche Risiken und listet zuvorderst Verbote sowie gestaffelte Genehmigungs- und Berichtspflichten auf. Zusätzlich wird ein weiteres übergeordnetes Kontrollgremium speziell für dieses Feld eingeführt. Das chancenzentrierte Gegenstück fehlt leider: Die Ermutigung, neue Technologien unternehmerisch zu nutzen, da der Rechtsrahmen geklärt ist – für mehr Innovation, für zukunftsfähige Arbeitsplätze und Wohlstand made in Europe.

Bayern auf dem Weg zum „Silicon Valley Europas”

In Bayern sind wir hingegen mit unserer innovationsfreundlichen Digitalstrategie erfolgreich darin, unternehmerische Kreativität und Investitionsbereitschaft zu fördern. Unsere Devise lautet: So viel Regulierung wie nötig – vor allem aber so viele Freiräume für digitale Macher und praktische Hilfe für Investoren und Unternehmer wie möglich. Nur dadurch konnte sich bei uns ein lebendiges, leistungsfähiges Ökosystem aus spezialisierten Universitäten, Forschungseinrichtungen, Start-ups und Technologiekonzernen bilden.

Dank der 5,5 Milliarden Euro umfassenden Hightech Agenda Bayern der Staatsregierung ist Bayern auf dem Weg zum „Silicon Valley Europas”: Mehr als 130 KI-Professuren an den bayerischen Hochschulen, milliardenschwere Standortinvestitionen mehrerer globaler Tech-Champions in München, das europaweit einzigartige KI-Produktionsnetzwerk Augsburg, der neue Standort von Aleph Alpha in München, um KI in die Verwaltung zu bringen, die TU München mit dem weltweit ersten Sicherheits- und Zertifizierungszentrum für KI-Roboter, der geplante erste Prototyp einer KI-Fabrik bis 2030 in Bayern, KI-Transferzentren im ländlichen Raum – all dies zeigt: Der Sound der Zukunft im Tech-Sektor kommt aus Bayern.

Digitaler Wachstumsfonds für die EU

Leider fehlen auf EU- und Bundesebene bisher entsprechende Initiativen und Anreize gänzlich. Der Wachstumsfonds der Bundesregierung, ausgestattet mit einer Milliarde Euro, ist ein guter Anfang, aber zu klein und in einem Denken verhaftet, das den Staat als Lenker und Macher sieht.

Dabei mangelt es nicht an warnenden Beispielen aus der Vergangenheit – denken wir nur an die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Sie hat nicht zu wesentlich höherer Rechtssicherheit geführt, dafür allerdings die staatliche und betriebliche Bürokratie erneut vergrößert, die damit verbundenen Kosten erhöht – aber nahezu keine unternehmerische Innovation gebracht. Aus diesem DSGVO-Fiasko nichts zu lernen darf keine Option sein. Schließlich befinden wir uns im globalen Rennen um die vorderen Plätze an einer Weggabelung: Entweder zündet Europa jetzt den Technologie-Turbo oder wir fallen im Rennen Richtung Zukunft heillos gegenüber den USA und Asien zurück.

Was wir für die nächsten fünf Jahre in Brüssel brauchen, ist eine von der Hightech Agenda Bayern inspirierte gesamt-europäische Initiative, um einen europäischen Champion – eine Art Cyber-Airbus – zu ermöglichen. Angesicht von Stagnation in der Gesamtwirtschaft und dynamischem Wachstum der Digitalwirtschaft ist unzweifelhaft klar: Wenn wir unseren derzeitigen Wohlstand in Europa und Bayern erhalten wollen, müssen wir unsere F&E-Budgets in der kommenden Legislatur konsequent darauf fokussieren, im Bereich KI weltweit wettbewerbsfähig zu werden. Angesicht der Binsenweisheit, dass Geld eben auch Tore schießt, müssen wir uns bewusst sein: Derzeit haben die beiden größten US-Start-ups für generative KI in den USA viermal soviel Geld eingesammelt, wie alle europäischen Gen-AI-Start-ups zusammen. Diese Schere muss dringend kleiner werden!

Umso entschiedener plädieren wir für einen digitalen EU-Wachstumsfonds, der klar unternehmerisch und marktorientiert konzipiert ist. Ein Vorbild könnte die „Tibi-Initiative” in Frankreich sein: Sie ermutigt – unter der Ägide des Präsidenten – institutionelle Investoren dazu, sich an innovativen Technologie-Unternehmen im Land zu beteiligen. Sechs Milliarden Euro werden in der ersten Phase investiert (2020-2022), weitere sieben Milliarden Euro sollen bis 2026 dazukommen. Dieser Kapitalzufluss und das kreative Zusammenspiel innerhalb der Privatwirtschaft ermöglichen es kleinen und mittleren Technologieunternehmen, zu Marktführern zu wachsen und verbreitern zeitgleich den Start-up-Sektor insgesamt.

Die KI-Märkte entfesseln per Regel-Rückbau

Nahezu alle führenden Digitalunternehmen haben wesentlich davon profitiert, dass sie in großen und weitgehend homogenen Heimatmärkten – USA beziehungsweise China – gestartet sind. So konnten sie bereits dort eine kritische Masse erreichen, ehe sie global expandierten. Auch hier sind EU, Bund und Länder gefragt, um eine Entsprechung bei uns zu schaffen: Einheitliche Regelungen, orientiert an den einfachsten, kostengünstigsten Prozessen – und so wenig staatliche und betriebliche Bürokratie und Kosten wie möglich. Danach braucht es Planungssicherheit: Keine weiteren Regelungen, stattdessen eine Regulierungsbremse oder besser noch ein Regelrückbau zur Entfesslung der Märkte.

Ein vor allem staatliches Regeln und Fördern – im Sinne einer zentralisierten Planwirtschaft, die alles zu wissen glaubt und entscheiden will – ist weder finanziell zu leisten noch schnell und flexibel genug, um auf dem hochdynamischen Feld der Digitalwirtschaft erfolgversprechend zu sein. Es entspräche auch nicht unserem Bekenntnis zur (sozialen) Marktwirtschaft. Wir in Bayern sind stattdessen überzeugt: Forschung muss zur Anwendung kommen – und das können junge Gründer und erfahrene Unternehmer erwiesenermaßen am besten. Unsere Überzeugung bleibt daher: Die Republik braucht weniger German Angst und mehr bayerischen Mut. Die „Transfer-Mentalität”, die uns im Freistaat erfolgreich gemacht hat, kann als deutsches Vorbild dienen kann Sie hat zwei Dimensionen: Selbstverständlich den Transfer von der Theorie in die Praxis. Zeitgleich aber auch: Transfer von Verantwortung. Weniger Vollkasko-Steuerung durch den Staat – der klugerweise seine Grenzen kennt – und mehr Eigenverantwortung für die Unternehmen und ihre Nutzer!

Fabian Mehring (Freie Wähler) ist der Bayerische Staatsminister für Digitales. Professor Patrick Glauner lehrt und forscht an der Technischen Hochschule Deggendorf zu Künstlicher Intelligenz.

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