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Energie & Klima

Standpunkte Mengen statt Zeiten absichern, Energiewende beschleunigen

Matthias Stark, Bereichsleiter Erneuerbare Energiesysteme beim BEE
Matthias Stark, Bereichsleiter Erneuerbare Energiesysteme beim BEE

Betreiber von Ökostromanlagen erhalten in Zeiten negativer Preise keine EEG-Vergütung mehr, was die Wirtschaftlichkeit der Projekte gefährdet und zu einer Investitionsbremse führen könnte. Dabei wäre die Lösung sehr einfach, argumentiert Matthias Stark vom Verband BEE. Statt über eine gewisse Zeit von 20 Jahren sollten die Erneuerbaren für eine bestimmte Strommenge gefördert werden.

von Matthias Stark

veröffentlicht am 24.05.2024

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Mit dem EEG wurde den erneuerbaren Energien eine Brücke in eine nach fossilen Regeln funktionierende Energiewelt gebaut. Das EEG ermöglichte die Teilhabe aller Akteure, vom kleinen Einzelinvestor bis hin zu multinationalen Unternehmen, und schuf unternehmerische Planbarkeit und eine Absicherung der Erträge über einen Zeitraum von 20 Jahren. Damit begann die einmalige Erfolgsgeschichte der Erneuerbaren ,in Deutschland. Doch mit dem Wegfall der Absicherung in Zeiten negativer Strompreise seit 2016 (§51 EEG) wurde diese Brücke immer löchriger. Eine Reform der zeitbasierten Absicherung ist daher dringend notwendig.

Um in einem 100 Prozent erneuerbaren Energiesystem eine sichere Versorgung zu gewährleisten, muss ein Vielfaches an Leistung installiert werden, als zur bloßen Deckung der Stromlast nötig wäre. Wind und Sonne sind volatile Energieträger, sie stehen nicht immer überall und in der gleichen Intensität zur Verfügung. Durch eine solche Überbauung der dargebotsabhängigen erneuerbaren Energien kommt es zeitweise zu deutlich größeren Einspeisungen in das Stromnetz, als in diesem Moment gebraucht werden. Ohne Export und ausreichend Flexibilitäten im Netz (beispielsweise Speicher oder Elektrolyseure), die diese überproduzierten Mengen aufnehmen können, führt das zu negativen Strompreisen – die mit steigendem erneuerbarem Ausbau zunehmen.

Dieser aus Sicht der Volkswirtschaft und der Verbraucher*innen positive Umstand bringt die betriebswirtschaftliche Grundlage der Erneuerbaren Energien ins Wanken. Denn die fehlende Absicherung in Zeiten negativer Strompreise durch §51 EEG und gleichzeitige Zunahme solcher Zeitfenster führt zu immer größeren Strommengen, die nicht unter die gesetzliche Absicherung fallen. Im engen zeitlichen Korsett des EEG wird das zu einem Problem. Bei Projektierern und Investorinnen steigen die Risiken und somit die Kosten, was zu einer Investitionsbremse für Erneuerbare Energien in Deutschland führen könnte. 

Am Beispiel der Fotovoltaik wird das am deutlichsten. Kommend von einem sehr niedrigen Niveau im Jahr 2018, in dem weniger als ein Prozent der Jahresenergiemengen unter §51 Zeitfenster fielen, lagen im Jahr 2023 schon fast sieben Prozent der Jahreseinspeisung darin. Dieser Wert ist in den ersten fünf Monaten dieses Jahres auf über 17 Prozent der PV Energiemengen gestiegen, wobei die sonnenreichen Monate noch bevorstehen. Auffallend ist, dass ein Großteil der negativen Strompreise nur wenige Cent pro Megawattstunde (MWh) unter null liegt.

Wie ist das möglich? Sollte nicht der Anreiz bestehen, in diesen Stunden die Produktion um wenige Megawatt (MW) zu senken, den Strompreis ins Positive zu heben und somit vom Risiko des §51 EEG zu befreien? Hier wird ein zentrales Problem des derzeitigen EEG deutlich: Innerhalb einer zeitlichen Absicherung benötigen Betreiberinnen und Investoren eine Entschädigung für abgeregelte Strommengen, da sie die Mengen nicht nachholen können – der Zeitrahmen ist schließlich auf 20 Jahre begrenzt. 

An einem einfachen Beispiel wird das Dilemma offensichtlich. Bei direkt vermarkteten Anlagen, die den Großteil aller Windprojekte in Deutschland und einen hohen Anteil der größeren PV-Anlagen ausmachen, hat der Direktvermarkter das Recht zur Abregelung. Wenn ein Direktvermarkter nun z. B. 500 MW aus seinem Portfolio abregelt und der Strompreis dennoch negativ bleibt, ist die zu zahlende Entschädigung an den Betreiber der Anlage null, da für diese Zeitfenster laut §51 EEG keine gesetzliche Absicherung vorgesehen ist und somit auch kein entgangener Erlös.

Würde im gleichen Fall die abgeregelte Strommenge z.B. bei 501 MW liegen und der Strompreis würde positiv (kein §51 EEG) müsste der Direktvermarkter für die abgeregelte Energiemenge die volle EEG-Vergütung als Entschädigung an den Betreiber bezahlen. Somit hat ein Direktvermarkter keinen Anreiz, freiwillig einen negativen Strompreis in einen positiven Strompreis zu ändern. Dieses sogenannte „Direktvermarkter-Problem“ erklärt die Entstehung negativer Strompreise, die häufig nur wenige Cent/MWh unter null liegen.

Der Gesetzgeber hat als Reaktion auf dieses Dilemma den §51a EEG geschaffen. Er schreibt vor, dass die Zeitfenster des §51 EEG innerhalb der Laufzeit einer Anlage künstlich an den Vergütungszeitraum angehängt werden müssen. Doch bereits dessen Ausgestaltung hat zwei offensichtliche Probleme.

Zum einen wird nicht die zuvor abgeregelte Strommenge nachgeholt, sondern nur die Zeit. Das bedeutet, dass gerade bei der Photovoltaik der Effekt annähernd verpufft, da die Betriebsjahre immer im Januar beginnen und im Dezember enden. Das 21. Betriebsjahr, in dem die Zeiten nachgeholt werden, beginnt entsprechend ebenfalls im Januar. Somit werden die abgeregelten Stunden ausgerechnet in den Monaten nachgeholt, in denen bedingt durch das Wetter und viele Nachtstunden nur wenig PV-Einspeisung existiert.

Viel gravierender ist jedoch, dass §51a EEG zwingend Zeitfenster des §51 EEG ohne Vergütung für die Anlagenbetreiber voraussetzt und somit das Liquiditätsproblem nicht löst. Denn: Fallen jährlich Anteile im hohen einstelligen bzw. niedrigen zweistelligen Prozentbereich der Jahresenergiemenge aus den Businessplänen der Projekte heraus, verlieren die Projekte mit jedem Jahr an Liquidität und werden bereits weit vor Ablauf der 20 Jahre unwirtschaftlich. Für Anlagen, die vorher repowert werden, ist §51a EEG ebenfalls unsinnig

Statt (erfolglos) Symptome zu bekämpfen muss das Problem an der Wurzel angegangen werden: Wir müssen verhindern, dass negative Strompreise und somit §51 EEG-Zeitfenster entstehen. 

Die Lösung ist sehr einfach. Wird die zeitliche Absicherung in eine mengenbasierte Absicherung überführt, müssen Investoren und Banken nicht entschädigt werden, wenn Energiemengen zur Verhinderung von negativen Strompreisen abgeregelt werden. Ihnen entsteht kein Verlust, die abgesicherte Menge bleibt unverändert. Die mengenbasierte Absicherung agiert hier ähnlich einem Ventil im Kochtopf: Der Druck kann entweichen, aber die Suppe bleibt im Topf. Im Gegensatz zum zeitlichen Modell, in dem ein Teil der Suppe ausgeschüttet wird, mit dem Versprechen, nach Ablauf von 20 Jahren nochmal kochen zu können. 

Die Überführung von einer zeitbasierten in eine mengenbasierte Absicherung hat zudem weitere Vorteile. Sie ist einfach umsetzbar und geht mit keinem Mehraufwand für Netzbetreiber einher. Sie erhöht die Marktwerte der erneuerbaren Energien, senkt somit die volkswirtschaftlichen Kosten und reduziert Risiken, was zu niedrigeren Projektkosten führen kann. In der Summe würden Investitionen angereizt und die Energiewende beschleunigt. Je schneller wir also die EEG-Absicherung reformieren, desto besser.

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