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Energie & Klima

Standpunkte Umfassende Energiesanktionen gegen Russland jetzt

Svitlana Romanko, Razom We Stand
Svitlana Romanko, Razom We Stand Foto: Razom We Stand

Am morgigen Samstag jährt sich Russlands Überfall auf die Ukraine zum zweiten Mal. Und noch immer füllt der Kreml mit dem Erlös aus Gas- und Ölexporten seine Kriegskasse. Bisherige Energiesanktionen beginnen zwar zu wirken, schreibt Svitlana Romanko von der ukrainischen NGO Razom We Stand. Doch um Russlands Kriegsfähigkeit wirklich zu schwächen, muss der Westen die Sanktionen deutlich verschärfen.

von Svitlana Romanko

veröffentlicht am 23.02.2024

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Der zweite Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine ist ein tragischer Meilenstein. Die Gräueltaten gegen unschuldige Menschen in der Ukraine erinnern eindringlich daran, welche Rolle die Gewinne aus russischen Öl- und Flüssiggasexporten in den Westen spielen.

Viele große Energiekonzerne haben aus Eigennutz und zur Gewinnmaximierung behauptet, Europa brauche mehr LNG. Doch diese Unternehmen versuchen lediglich, den Trend ihrer kriegsbedingten Rekordgewinne aufrechtzuerhalten. Die Wahrheit über die „Energiesicherheit“ sieht anders aus: In Europa gibt es derzeit zahlreiche LNG-Terminals, deren Kapazität die Nachfrage übersteigt, während Prognosen und eine neue deutsche Studie einen langfristigen Rückgang der Erdgasnachfrage voraussagen.

Anstatt auf das vom Steuerzahler subventionierte und klimaschädliche LNG zu setzen, müssen wir Investitionen in billigere erneuerbare Energielösungen Vorrang geben. Russlands schwindelerregende Gewinne aus dem Export fossiler Brennstoffe, die sich auf über 600 Milliarden US-Dollar belaufen, sind die finanzielle Lebensader für den machthungrigen Kreml. Wenn strenge Sanktionen diese Einnahmen einschränken, könnte die Kriegskasse des Kremls bis 2030 um 40 bis 50 Prozent schrumpfen, so die Internationale Energieagentur.

Europa braucht kein russisches Gas

Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 hat sich die europäische Energielandschaft grundlegend verändert. Der REPowerEU-Plan der Europäischen Kommission, der im Mai 2022 auf den Weg gebracht wurde, signalisierte einen entscheidenden Schritt in Richtung Energiediversifizierung und erneuerbare Energien.

Trotz anfänglicher Befürchtungen, dass das Gas knapp werden könnte, hat sich Europa schnell darauf eingestellt. Nach der Umsetzung von REPowerEU im Jahr 2022 stammten nur noch neun Prozent der EU-Gasimporte über Pipelines aus Russland, ein deutlicher Rückgang gegenüber den 41Prozent der EU-Gasimporte aus Russland im Jahr 2021.

Die Tatsache, dass Europa auch ohne russisches Gas oder auch ohne neue US-Gasterminals, die in den 2030er Jahren in Betrieb gehen sollen, überlebensfähig ist, verdeutlicht die Rentabilität der schnell wachsenden sauberen Energie. Durch die Umstellung auf billigere, nachhaltige Energiequellen können die Länder Europas ihre Wirtschaft ausbauen und hochwertige grüne Arbeitsplätze schaffen, während sie gleichzeitig den Klimazwängen Rechnung tragen.

Abkehr von Russland stärkt Resilienz und Klimaschutz

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um sauberen und erneuerbaren Energien Priorität zu geben – nicht nur als Alternative, sondern als Katalysator für wirtschaftliche Erholung, Resilienz und Klimaschutz. Initiativen in der Ukraine haben gezeigt, dass erneuerbare Energien trotz widriger Umstände Wandel bewirken können. Das rekordverdächtige Wachstum der Erneuerbaren deckt Energiebedarfe, mindert den Treibhausgasausstoß wirkt sich positiv auf die lokale Wirtschaft aus.

Der aktuelle Sinkflug der Gas- und LNG-Preise in Europa und im Vereinigten Königreich bietet die Gelegenheit, die Energie, die wir in Zukunft nutzen wollen, neu zu bewerten. Anstatt die Abhängigkeit von russischem Gas aufrechtzuerhalten, haben das Großbritannien und Europa einen beispiellosen Rückgang des Verbrauchs fossiler Brennstoffe erlebt. In der EU ist der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf einen Rekordwert von 44 Prozent gestiegen, im Jahr 2023 wurde zum ersten Mal mehr Strom aus Windkraft als aus Gas erzeugt.

Durch die vollständige Abkopplung von russischem Öl und Gas können die Staaten langfristige klimabedingte wirtschaftliche Verluste in Billionenhöhe abmildern, zur globalen Klimaresistenz beitragen, energieunabhängig werden und Putins gefährlichen militärischen Ambitionen Einhalt gebieten.

Mehr Erneuerbare und schärfere Sanktionen

Mit einer zweigleisigen Strategie können Europa und die USA den russischen Energieexportmarkt stutzen und der Ukraine schneller Frieden bringen. Ein schnellerer Ausbau sauberer Energie ist die eine Seite, die andere ist die Verschärfung der Sanktionen.

Die bestehenden Sanktionen weisen zwar Schlupflöcher auf, aber vieles an ihnen hat funktioniert. Die im November 2023 angekündigten US-Sanktionen ließen die Aktien des russischen Energieunternehmens Novatek um fünf Prozent fallen. Nach den Sanktionen verweigerte das traditionell russlandfreundliche amerikanische Unternehmen Baker Hughes die weitere Zusammenarbeit mit Arctic LNG2. Die Sanktionen betreffen auch Unternehmen, die mit dem Bau und der Logistik dieses gewaltigen Projekts von Novatek zu tun haben, sie schränken den Tankschiffsverkehr ein und gefährden die Durchführbarkeit eines von Putins Lieblingsprojekten.

Doch im vergangenen Jahr verzeichneten einige EU-Länder, darunter Spanien und Belgien, einen bemerkenswerten Anstieg ihrer russischen LNG-Einfuhren. Diese Länder sind nach wie vor wichtige Drehkreuze für den Vertrieb von LNG und rangieren als zweit-und drittgrößte Abnehmer von russischem Flüssigerdgas. Das nächste Sanktionspaket der EU muss ein vollständiges Verbot für russisches LNG beinhalten. Indem die EU ein für alle Mal klar Position gegen russisches LNG bezieht, kann sie Putins Kriegswirtschaft schwächen, die Beendigung des Krieges beschleunigen und zugleich einen Wechsel zu erneuerbaren Energien fördern.

Der zweite Jahrestag der Invasion markiert eine Tragödie. Aber es kann noch viel getan werden, um die Finanzierung von Russlands brutalem Krieg zu stoppen. Was wir brauchen, ist klar: Die Staats- und Regierungschefs in Europa und den USA müssen jetzt handeln und umfassende und transparente Sanktionen gegen die russische Energiewirtschaft verhängen, die für die Menschen in der Ukraine wirklich etwas bewirken. 

Svitlana Romanko ist Gründerin und Direktorin von Razom We Stand. Die ukrainische Nichtregierungsorganisation setzt sich für eine Energiewende in der Ukraine und gegen den energiepolitischen und -wirtschaftlichen Einfluss Russlands ein.

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