Die Sorgen um mögliche klimapolitische Rückschläge zu Beginn der Coronakrise waren groß. Würde die von dem Virus ausgelöste globale Wirtschaftskrise die Anstrengungen im Kampf gegen die Klimakrise zurückwerfen? Es gab Stimmen, die genau das forderten. Noch Ende März schienen sie laut, heute aber sind sie verblasst und man erinnert sich kaum noch daran.
Auch wenn die Krise mitsamt ihren Auswirkungen längst noch nicht hinter uns liegt, soviel ist jetzt schon gewiss: Der Klimaschutz ist nicht unter die Räder geraten und die klimapolitische Entwicklung der vergangenen Monate ist beeindruckend. Im Stakkato: Allen Unkenrufen zum Trotz wird der CO2-Preis für Wärme und Verkehr eingeführt. Die Klimaziele wurden nicht revidiert, die Kanzlerin hat sich beim Petersberger Klimadialog sogar für eine Verschärfung der EU-Klimaziele eingesetzt. Selbst bei Solardeckel, Wasserstoffstrategie und den Windrad-Abstandsregeln gibt es Einigungen. Fast ein Drittel (40 Milliarden Euro) des aktuellen Konjunkturprogramms kommen auch dem Klimaschutz zu Gute. Hinzu kommen die über 50 Milliarden Euro, die das Klimapaket erst vor wenigen Monaten mit sich gebracht hat. Dessen Potenzial hat sich wegen der Krise aber noch gar nicht entfalten können. An alledem wurde nicht gerüttelt. Fast 100 Milliarden Euro hat die große Koalition damit für den Klimaschutz freigeschaufelt. In weniger als einem Jahr!
Kaum jemand stellt Klimaschutz noch grundsätzlich infrage
Aber was mindestens genauso wichtig ist: Klimaschutz ist Mainstream geworden. Im Rahmen unseres digitalen Kolloquiums (#dk2020) haben wir zahlreiche Spitzenökonomen zu Gast gehabt. Niemand hat den Klimaschutz in Frage gestellt. Bei allen war er Teil der Lösung – ob Sachverständigenrat für Wirtschaft oder für Umwelt, ob Bundesregierung oder EU-Kommission und IEA, IRENA und EIB sowieso. Vertreterinnen und Vertreter der klassischen Krisenökonomie und der Klimaökonomie haben Brücken geschlagen, die langfristig wirken werden. Und wo gab es das je: Ein grüner Ministerpräsident fordert Kaufprämien für Verbrennungsmotoren, was eine sozialdemokratische Parteivorsitzende und der Wirtschaftsflügel von CDU/CSU verhindern.
Das alles sind außergewöhnliche Entwicklungen, die von veränderten Maßstäben der gesellschaftlichen Mitte zeugen: Klimaschutz ist Konsens. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die Sozialpolitik in allen Parteien angekommen ist, nun ist es auch mit der Klimapolitik geschehen. Getrieben von gesellschaftlichem Engagement sowie Unternehmen, die Zukunft gestalten wollen. Aber auch die Parteien selbst, in denen sich die Erkenntnisse und Diskussionen längst verändert haben, waren und sind Treiber dieser Entwicklung.
Ist nun also alles gut? Keineswegs. Es bleibt der Streit um die besten Wege zum Ziel sowie die Auseinandersetzung über die Fragen, was möglich und was nötig ist. Über die Erreichbarkeit des Zwei-Grad-Ziels und den Preis, den es dafür zu zahlen gibt. Müssen Unternehmen bei Klimaschutz und Energiewende entlastet werden oder sollte der Druck auf sie erhöht werden? Wie sieht das Marktdesign der Zukunft aus, wie die Infrastruktur? Wie viel Wasserstoff und Powerfuels brauchen wir? Wo sind die wirklichen Hindernisse bei der Erreichung der jeweiligen Teilziele und wo die größten Potenziale? Alles das werden wir auch in unserer neuen Dena-Leitstudie diskutieren, die wir in diesen Wochen starten.
Streit ist weiter erforderlich, aber einen „Krieg gegen Energiewende und Klimaschutz“ kann ich nicht erkennen. In der Krisenzeit sehen wir, dass „all in on climate“ nicht die Lösung sein wird. „All in on Sustainable Development Goals“ schon eher. Die jüngsten Entwicklungen haben die Relevanz von sozialer Sicherung, Bildung und Digitalisierung sowie öffentlicher Infrastruktur verdeutlicht. Und auf internationaler Ebene noch vieles mehr: Friedenspolitik, Zugang zu Energie und die Bekämpfung von Armut und Umweltbelastungen. Alles das bedingt einander.
Wachstum, Wohlstand und die große Klimafrage
Es bleibt die Notwendigkeit, über Deutschland und Europa hinauszuschauen. Um 25 Prozent hat die EU in den vergangenen 30 Jahren die CO2-Emissionen reduziert. In Deutschland waren es rund 40 Prozent. Aber die globalen CO2-Emissionen sind im gleichen Zeitraum um mehr als die Hälfte gestiegen. Angesichts dieser Entwicklungen stößt die gesamte EU heute lediglich knapp zehn Prozent der globalen Emissionen aus. Anderen Regionen der Welt stehen noch stärkere Belastungen durch die Coronakrise bevor. Werden dort ähnlich klimafreundliche und zukunftsorientierte Investitionspläne vorgelegt wie bei uns? Es wäre eine schlechte Botschaft für den globalen Klimaschutz gewesen, hätten sich die kritischen Stimmen aus der frühen Krisenphase bei uns durchgesetzt.
Ein weiteres großes Thema bleibt offen: Wird nun alles anders oder bleibt letztlich alles so wie es ist? Gleichgültig ob links oder rechts: Fast alle Wirtschaftsinstitute gehen aktuell davon aus, dass wir durch Wachstum die neue Staatsverschuldung wieder abbauen werden. Manche dagegen sagen, richtiger Klimaschutz sei mit solchem Wachstum nicht zu erreichen Das Umweltbundesamt hat im vergangenen Herbst eine Studie zur Treibhausgasneutralität vorgelegt. In einem Szenario wurde Null-Wachstum ab 2030 unterstellt. In den anderen Szenarien, die zum Ziel führten, waren es nie mehr als 0,7 Prozent pro Jahr. Viele haben inmitten der Krise über die Unterschiede von Wachstum und Wohlstand diskutiert.
Die Debatte ist wieder abgeflaut, sollte aber erneut aufgegriffen und konkretisiert werden. Meine Meinung dazu ist: Eine Welt ohne Wachstum wird es nicht geben. Denn Wachstum ist in der Regel Entwicklung, aber an der Art der Bilanzierungen zum Beispiel kann man durchaus etwas ändern. Und auch wie wir die Klimaziele erreichen wollen, wenn 2019 zum Beispiel nicht das „Peak-flight-year“ gewesen sein sollte, erschließt sich mir nicht. Dicke Bretter, die zu bohren sind, aber es lohnt sich.
Das immer noch junge 21. Jahrhundert verläuft turbulent. Es hat schon viele globalen Krisen und Bewegungen hervorgebracht. Wir erleben, was alles drohen kann, aber eben auch, was alles möglich ist. Das macht unruhig und zuversichtlich zugleich. Die Dinge sind in Bewegung geraten. Gut so.