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Energie & Klima

Standpunkte Deutschland muss in den Green Deal der EU investieren

Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe
Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe Foto: DUH/Heidi Scherm

Gemeinsames Handeln statt Zögerlichkeit: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erwartet eine starke europäische Antwort auf die Coronakrise durch Investitionen in die Energiewende, das Ausräumen von Hindernissen und deutlich angehobene Emissionsziele. Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner und Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz, fordern die Bundesregierung in ihrem Standpunkt zu entschlossenem Vorgehen auf.

von Sascha Müller-Kraenner

veröffentlicht am 23.04.2020

aktualisiert am 04.08.2022

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In der Corona-Krise erleben wir nicht nur eine Vollbremsung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens, sondern auch eine gefährliche Neuausrichtung auf nationale Lösungsstrategien. Die Bundesregierung lässt dabei außer Acht, dass wir im europäischen Binnenmarkt und in der Eurozone nur mit gemeinsamem Handeln aus der Krise kommen. Der von der EU-Kommission vorgeschlagene Green Deal bietet für die geplanten Investitionsprogramme und Konjunkturhilfen eine ideale Blaupause. Wir haben es nun in der Hand, den Kurs zu wechseln und eine energie- und klimapolitische Wende einzuleiten: Alte Strukturen können schneller umgebaut werden, die Förderung von erneuerbaren und effizienten Technologien kann dauerhaft sichere Jobs schaffen.

Klimaziel muss auf 65 Prozent Emissionsminderung erhöht werden

Es muss schnell gehen: Von der Europäischen Kommission angekündigte Initiativen wie die „Renovation Wave“ und die „Smart Sector Integration Strategy“ müssen entschlossen angegangen werden – ebenso wie eine Erhöhung des EU-Klimaziels 2030 auf mindestens 65 Prozent. Gerade in der aktuellen Situation muss es für die Wirtschafts-, Finanz- und Energiepolitik Priorität sein, auch der Klimakrise entschieden entgegenzutreten. Wirtschaftliche Entwicklung, Arbeitsplätze und Klimaschutz gehen Hand in Hand. Die langfristigen Kosten eines verschobenen oder unterlassenen Klimaschutzes übersteigen die für die Dekarbonisierung nötigen Investitionsbedarfe deutlich.

Gefragt ist europäische Solidarität und Deutschland sollte mit großen Schritten vorangehen. Mit ihrer bisherigen Weigerung gegen gemeinsame Staatsanleihen (Bonds) tritt die Bundesregierung dagegen die europäische Idee mit Füßen. Wenn Länder wie Italien, Spanien oder gar Frankreich den Zugang zu den Kapitalmärkten verlieren, behindert dies nicht nur Investitionen in Energiewende und Klimaschutz, sondern ist auch für die exportorientierte deutsche Wirtschaft ein Problem. EU-Mitgliedsländer brauchen eine Notfallversicherung durch gemeinsame Bonds. Hierbei ist zwingend darauf zu achten, dass diese Anleihen als „Green Bonds“ ausgestaltet werden und der EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen folgen, die Ende 2019 von den europäischen Staats- und Regierungschefs verabschiedet wurde.

Zudem muss Europa die Weichen für eine klimafreundliche Ausgabenpolitik stellen: Im Kontext historisch niedriger Ölpreise und immenser zusätzlicher Staatsausgaben müssen umweltschädliche Subventionen für fossile Energien und Technologien abgebaut werden. Alleine für Deutschland belaufen sie sich laut Umweltbundesamt auf fast 60 Milliarden Euro pro Jahr.

Bis zu 500.000 Jobs durch klimaneutrale Gebäude

Weil sie ein besonders hohes Potenzial für Beschäftigung und Klimaschutz haben, müssen Effizienzmaßnahmen forciert werden. Bei Erreichung eines klimaneutralen Gebäudebestands werden zusätzlich 300.000 bis 500.000 Arbeitsplätze bis 2050 prognostiziert. Mit einer Aufstockung der öffentlichen Förderung ließe sich dieses Potenzial auch deutlich früher ausschöpfen.

Damit dies europaweit funktioniert, muss die EU-Kommission die im Green Deal angekündigte „Renovation Wave“ konkretisieren und mit Leben füllen. Und auch die Bundesregierung muss handeln: Sie muss das bestehende Fördervolumen für energetische Gebäudesanierung und energieeffizienten Neubau auf 25 Milliarden Euro im Jahr erhöhen. Deutschland braucht einen Sanierungsboom!

Die europäischen Vorgaben aus der Gebäudeeffizienzrichtlinie muss die Bundesregierung dabei endlich umzusetzen. Die Effizienzstandards dürfen nicht – wie im aktuellen Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes – eingefroren und aufgeweicht werden. Das Gegenteil wäre richtig: Neubauten müssen mindestens das Niveau KfW-Effizienhaus-40 erreichen, damit diese vor 2050 nicht erneut saniert werden müssen. Für Bestandssanierungen muss der Standard KfW-Effizienzhaus-55 festgeschrieben werden.

Prekäre Lage der erneuerbaren Energien beenden

Auch der Ausbau erneuerbarer Energien kann viel zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland beitragen. Die Regierung hat es sich bislang jedoch zur Mission gemacht, diesen zu behindern. Ganz oben auf der Prioritäten-Liste: Die Abschaffung des PV-Deckels. Er schafft bereits jetzt große Unsicherheiten für Hauseigentümer*innen und Handwerker*innen. Damit sind unzählige Jobs unnötig in Gefahr.

Ebenso prekär ist die Lage beim Windenergieausbau. In den vergangenen Jahren sind bereits 40.000 Arbeitsplätze in dieser Zukunftsbranche verloren gegangen. Statt mit pauschalen Abstandsregeln neue Hürden einzuführen, muss die Bundesregierung die Genehmigungsverfahren vereinfachen und den Ausbaupfad deutlich anheben.

Für die Windenergie auf See muss das Ausbauziel für 2030 dringend auf 20 Gigawatt angehoben werden. Über 2030 hinaus muss die Bundesregierung schon jetzt eine gemeinsame Strategie mit den Nordsee-Anrainer-Staaten entwickeln. Die Deutsche Umwelthilfe fordert, dass die Bundesregierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft einen Offshore-Wind-Gipfel einberuft, um gemeinsam einen naturverträglichen und den Klimazielen angemessenen langfristigen Ausbaupfad festzulegen.

Wasserstoff-Strategie muss ohne CCS auskommen

Auch die lange verzögerte Nationale Wasserstoffstrategie bietet Chancen nachhaltige Jobs zu schaffen: Beschäftigung und Wertschöpfung in Deutschland werden sich aber nur einstellen, wenn so genanntem blauen Wasserstoff eine deutliche Absage erteilt wird. Blauer Wasserstoff wird aus fossilem Erdgas mit Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) gewonnen. Dieser Prozess ist nicht klimaneutral, zudem profitieren lediglich die Herkunftsländer.

Die Herstellung von erneuerbarem Wasserstoff in Deutschland hingegen regt die Wertschöpfung in einer Zukunftsindustrie an. Der Aufbau einer Elektrolysekapazität von fünf Gigawatt bis 2025 für die Erzeugung von erneuerbaren Wasserstoff in Deutschland könnte für den deutschen Anlagenbau und die Wasserstoffwirtschaft wichtige Impulse setzen. Auch hier hat die Bundesregierung die Chance, positive Akzente für Europa zu setzen und zu einer grünen anstelle einer fossilen beziehungsweise blauen Lösung auf europäischer Ebene beizutragen.

Die Folgen der gegenwärtigen Krise sind immens. Ebenso bietet sie aber die Chance, einen nachhaltigen wirtschaftlichen Neustart in Europa anzustoßen. Entscheidend ist, dass die Bundesregierung den Blick nach vorne richtet und europäisch denkt. Zur Überwindung von Corona- und Klimakrise brauchen wir Investitionen in die Zukunft und den europäischen Green Deal – kein Festhalten an der Vergangenheit.

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