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Energie & Klima

Standpunkte Der Wasserstoffhochlauf ist nur mit einem nationalen Handelsunternehmen möglich

Graham Weale, Professor der Ruhr-Universität Bochum
Graham Weale, Professor der Ruhr-Universität Bochum Foto: André Laaks

Graham Weale, Professor der Ruhr-Universität Bochum, sieht die Gründung eines nationalen Handelsunternehmens als wesentliche Voraussetzung für das Erreichen der deutschen 2030-Wasserstoffziele. Der sehr erfolgreiche Aufbau des Erdgasimporthandels in den 1970er und 80er Jahren war auf große nationale Importeure angewiesen, und es sei unrealistisch, dass die komplexere Einführung von Wasserstoff kleinteiliger gelingen könne. Die Initiativen H2Global und Wasserstoffbank reichten nicht aus.

von Graham Weale

veröffentlicht am 14.11.2023

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Die deutsche Regierung hat enorm viel politisches Kapital in ihre Wasserstoffstrategie investiert, aber bis jetzt ist weder eine finale Investitionsentscheidung für die inländische Produktion im großen Maßstab getroffen, noch ist ein signifikanter Importvertrag abgeschlossen worden. Wasserstoff scheint immer Zukunftsmusik zu sein.

Es gibt den ehrgeizigen Plan, bis 2030 zwischen 40-75 Terawattstunden grünen Wasserstoff (samt Derivaten) und bis 2050 290-440 TWh zur Verfügung zu haben. Diese Mengen sind dringend notwendig, um die Klimaziele zu erreichen, vor allem im energieintensiven Industriesektor. Die Zeit läuft uns davon.

Konkret hat die Regierung schon unterschiedliche Maßnahmen auf den Weg gebracht. Dazu gehört das Instrument H2Global. Damit werden durch einen Auktionsmechanismus die Kosten für begrenzte Importmengen subventioniert. Zweitens die Wasserstoffbank, um Investitionen in eine nachhaltige Wasserstoffproduktion anzuregen und zu unterstützen, drittens die Klimaschutzverträge (um die Mehrkosten für Wasserstofftechnologie auszugleichen) und viertens Subventionen im zehnstelligen Bereich für neue Anlagen im Stahlsektor.

Im Sommer haben die Fernleitungsnetzbetreiber einen weiteren Schritt zum Bau des Wasserstoff-Kernnetzes auf den Weg gebracht, aber deren Mitglieder müssen noch auf eindeutige Startsignale von Abnehmern warten, bevor sie mit Investitionen anfangen können. Die ersten gesetzlichen Grundlagen für das Kernnetz wurden am Freitag im Bundestag mit der EnWG-Novelle gelegt, aber die Finanzierungsregeln zum Beispiel stehen noch aus.

Wasserstoff leidet unter dem Problem, dass die komplette Wertschöpfungskette von erneuerbaren Anlagen und Elektrolyseuren über die notwendige Transportinfrastruktur bis hin zur endgültigen industriellen Verwendung mit erheblichen Koordinierungsproblemen behaftet ist.

Der Gasimport seit den 70er Jahren war einfacher

Hingegen war der Aufbau einer Importstruktur für Erdgas aus Norwegen, den Niederlanden und Russland, maßgeblich in den frühen 70er Jahren, viel einfacher und bis vor kurzem eine ausgesprochene Erfolgsgeschichte. Deswegen lohnt es sich, Parallelen zwischen der Einführung dieser zwei Energieträger zu ziehen, wovon die wichtigsten sind:

  • Erdgas wurde zu ähnlichen Preisen wie Ersatzölprodukte eingeführt und im Industriebereich waren die notwendigen Investitionen für die Umstellung geringHingegen kann Wasserstoff nur auf Kostenbasis verkauft werden, was dazu führt, dass der Preis ein Mehrfaches der zu ersetzenden Energieträger sein wird, und die Preisindexierung auf die Produktionskosten statt auf den Marktwert bezogen wird. Darüber hinaus sind die Umstellungskosten für die Industrie enorm.

  • Deshalb sind im Gegensatz zu Erdgas spezifische Subventionen notwendig.  Die H2-Investoren werden darauf angewiesen sein, und solche Subventionen müssen alle rechtzeitig vorhanden sein.

  • Wasserstoff wird wahrscheinlich an einem „First Mover’s Disadvantage“ leiden, da durch Lern- und Skalenkurven die ersten Lieferungen teurer als die späteren sein werden. Beim Erdgas gab es kein vergleichbares Phänomen, da der Preis immer am Marktwert und nicht an der Kostenbasis orientiert war, auch wenn die Preise für Lieferungen aus unterschiedlichen Ländern sich nicht synchron entwickelten.

  • Das Grundprinzip bei Erdgasverträgen war: Die Produzenten übernahmen das Preisrisiko und die Abnehmer das Volumenrisiko, damit die Produzenten sicher waren, ihre Vertragsvolumen verkaufen zu können. Beim Wasserstoff ist nicht klar, ob die Abnehmer langfristig das gesamte Volumenrisiko tragen können.

Die Einkäufer für Erdgas waren große Unternehmen (zum Beispiel Ruhrgas und Thyssengas), die mit Transportpipelines vertikal integriert waren und über nationale oder subnationale Monopole sowie auch über gute Bonitäten verfügten. Sie fungierten als Aggregatoren, Entwickler von diversifizierten Portfolien und Bulk-Breakers.

Hingegen soll die Wasserstoffeinführung auf einer „entflechteten Basis“ durch heterogene bilaterale Verträge funktionieren. Die Abnehmer werden nicht alle über solche Skalenvorteile und Bonitäten verfügen, und einige könnten Opfer der Deindustrialisierung werden.

Jeder dieser aufgeführten Unterschiede unterstreicht die zusätzlichen Herausforderungen, die die Verwendung von Wasserstoff bringt. Alles deutet darauf hin, dass der geplante Ansatz für den Hochlauf nicht ausreichen wird.

Gründung eines Nationalen Handelsunternehmens

Was ist zu tun, damit Deutschland bis 2030 seinem ambitionierten Ziel näherkommen kann? Die Antwort ist im strukturellen Erfolg der Erdgaseinführung zu finden. Zwei Faktoren waren dafür entscheidend: die vertikale Integration zwischen Handel und Transport und die Existenz der großen Importeure, die wirkungsvolle Skaleneffekte entwickelten.

Bezüglich der vertikalen Integration hat sich die Europäische Kommission vor langem für eine Entflechtung zwischen Transport und Handel entschieden. Bezüglich der Skaleneffekte hat die Kommission die Bedeutung eines starken Wettbewerbs betont und deswegen die Abschaffung der Monopole veranlasst.

Diese Ansätze ergeben Sinn für einen reifen Markt und brachten in Sachen Erdgas und auch Strom viele Vorteile. Aber es ist sehr fragwürdig, ob sie für einen noch nicht ausgereiften Markt geeignet sind.

Es ist nicht notwendig und erwartbar, alle Entflechtungsregeln aufzuheben. Aber damit Skalenvorteile beim Einkauf und die notwendige Koordination zwischen dem Ausbau der Transportinfrastruktur und der Kontrahierung des Wasserstoffes zu erreichen sind, ist es wünschenswert, dass für die ersten Jahre ein einzelnes, politisch bestimmtes Handelsunternehmen die Aufgabe des Vertragsabschließung übernimmt, mit den folgenden Aufgaben:

  • Abschluss langfristiger Verträge mit Exporteuren und nationalen Produzenten, die zu einem diversifizierten Lieferungsportfolio führen würden, und daraus das notwendige Bulk-Breaking für unterschiedliche Abnehmer veranlassen.

  • Vermeidung des „First Mover’s Disadvantage“ durch die Entstehung eines einheitlichen Preises aus diesem Portfolio.

  • Als zentraler Ansprechpartner für die Transportunternehmen zu fungieren, um Koordinationsprobleme zu lösen.

  • Übernahme des Abnahmerisikos.

Dieses Abnahmerisiko ist eine besondere Herausforderung und verlangt eine sichere Finanzierung. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Privatunternehmen bereit wäre, dies zu tun, ohne die Erwartung eines angemessenen Gewinns, was den endgültigen Preis für Wasserstoff weiter erhöhen würde.

Deswegen sollte es eher die Aufgabe des Staates sein, was heißt, ein nationales Handelsunternehmen zu gründen oder staatliche Garantien für ein ernanntes privates Unternehmen bereitzustellen. Das neu gegründete Unternehmen HINTO, das hinter H2Global steht, könnte eventuell so entwickelt werden, oder das notwendige nationale Unternehmen wird anders gestaltet.

Priorität für Wettbewerbsregeln oder für Klimaziele?

Selbstverständlich steht das Konzept eines staatlichen Einkaufsmonopols im direkten Widerspruch zu dem des EU-Binnenmarkts. Aber es gibt schon zwei Beispiele, die in die Richtung eines solchen Unternehmens hinweisen. Zuerst die „EU Energy Platform“, die dafür konzipiert war, Erdgas zu den besten Bedingungen nach der von Russland ausgelösten Energiekrise zu kaufen.  Des Weiteren wurde die Trading Hub Europe (THE) Mitte 2022 vom deutschen Staat beauftragt, Erdgas zu kaufen, um die Speicher bis zum Anfang des Winters zu füllen.

Das anvisierte Handelsunternehmen würde eine Sondergenehmigung aus Brüssel benötigen und steht im Widerspruch zu den Wettbewerbsregeln. Eine harte Entscheidung ist deswegen zu treffen: Was ist wichtiger – die Einhaltung dieser etablierten Wettbewerbsregeln oder die Klimaziele?

Graham Weale ist Professor für Energieökonomik am Centrum für Umwelt-Management, Ressourcen und Energie (CURE) der Ruhr-Universität Bochum.

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