In die deutsche Klimapolitik kommt Bewegung. Der von der Kanzlerin proklamierte Abschied vom „Pillepalle“ und ihre Ankündigung „disruptiver Veränderungen“, das kürzlich auf „Treibhausgas-Neutralität 2050“ verschärfte Klimaziel, der für September erwartete Beschluss für eine umfassende CO2-Bepreisung notfalls im nationalen Alleingang: All das betrachtet man in der Industrie mit zunehmender Sorge.
Zwar wird der CO2-Ausstoß energieintensiver Betriebe bereits penibel erfasst und bepreist – im schon 2005 eingeführten EU-Emissionshandel. Doch das Signal ist deutlich: Ambitioniertere Klimapolitik in Deutschland und in der EU wird womöglich auch zu höheren Energiepreisen führen. Und auch wenn inzwischen China die Einführung eines flächendeckenden Emissionshandels plant: Bisher emittiert die Mehrheit der außereuropäischen Konkurrenz ihr CO2 kostenlos in die Atmosphäre.
Es geht um Arbeitsplätze, um Wohlstand. Und auch um die Sinnhaftigkeit von Klimaschutz. Können Maßnahmen allein auf deutscher oder europäischer Ebene die globalen Emissionen überhaupt reduzieren? Oder werden die Emissionsminderungen durch Verlagerung energie-intensiver Industrien nach außerhalb der EU zunichtegemacht? In Zukunft könnten deutlich höhere CO2-Preise als bisher durchaus den Ausschlag dafür geben, dass so manches energieintensive Unternehmen die Verlagerung von Produktion ins Ausland veranlasst. Modellrechnungen kommen zu dem Ergebnis: Wenn die EU ihre Klimapolitik weiter wie geplant vorantreibt, ohne dass der Rest der Welt mitzieht, tauchen zwischen fünf und 20 Prozent der gesamten EU-weiten Emissionseinsparungen postwendend außerhalb wieder auf – durch „Carbon Leakage“, also Verlagerung von Produktion und damit Emissionen.
Gratis-Zuteilung von Emissionsrechten
Wie kann man das verringern? Hier bieten sich im
Wesentlichen drei Möglichkeiten. Erstens kann man Firmen für den durch die CO2-Bepreisung
entstehenden Aufwand entschädigen. Im Rahmen des europäischen Emissionshandels wird
dies bereits praktiziert: Produzenten von energie-intensiven Gütern sowie von
Gütern, die stark über die Grenzen der EU hinaus gehandelt werden, bekommen Emissionsrechte
gratis zugeteilt. Das erfolgt entsprechend der produzierten Menge – aber
gemessen an dem Benchmark der effizientesten Hersteller im jeweiligen Sektor.
Diese „Output-Based Rebates“ verringern die Kosten für die Firmen und setzen
gleichzeitig einen Anreiz zum Einsatz emissionsarmer Produktionsmethoden. Anreiz
zum Verringern der Produktion, eine weitere wichtige Stellschraube für
Emissionsminderung, wird freilich nicht gesetzt. Hinzu kommt: Das Risiko der Abwanderung
hängt mit der Energieintensität, nicht aber mit der Handelsintensität des Produkts
zusammen – es profitieren also auch ungefährdete Industrien von
Gratis-Zertifikaten, das ließe sich zielgerichteter regeln.
Die zweite Möglichkeit ergibt sich über die Handelspolitik: Man könnte den heimischen CO2-Preis auch auf jene Emissionen erheben, die bei der Produktion von importierten, außerhalb der EU produzierten Gütern entstehen. Die meisten Experten sind der Ansicht, dass ein solcher „Grenzausgleich“ prinzipiell mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO vereinbar wäre. Eine Voraussetzung wäre, dass er nicht willkürlich zwischen Handelspartnern diskriminiert. Und die Belastung dürfte nicht höher sein als die Kosten der CO2-Bepreisung für heimische Anbieter. Das sollte aber nur in wenigen ausgewählten Fällen zum Zuge kommen – sonst müssten ja, um die angemessene Höhe des Grenzausgleichs sauber zu berechnen, die Emissionen tausender Produkte über die gesamte Wertschöpfungskette ermittelt werden, was kaum umsetzbar wäre. Zu bedenken ist außerdem: Weil der Grenzausgleich die Exporte, nicht aber die Binnenproduktion der Handelspartner mit einem CO2-Preis belastet, führt das dort zu einer Verschiebung der Produktion von der Export- in die Binnenwirtschaft – ein klug ausgestalteter Grenzausgleich müsste das einkalkulieren, gestützt auf statistische Analysen und Modellrechnungen.
Exportzölle auf emissionsintensive Güter
Drittens ließe sich ein Grenzausgleich für die CO2-Bepreisung
auch von der anderen Seite aus gestalten: Die EU könnte Abkommen verhandeln, in
welchen sich Handelspartner von sich aus verpflichten, auf emissionsintensive
Güter eigene Export-Zölle einzuführen. Diese hätten die identische
Lenkungswirkung wie Importzölle – aber die Einnahmen aus dem Grenzausgleich
würden bei den Handelspartnern der EU verbleiben und könnten in diesen in der
Regel ärmeren Ländern etwa in Bildung, Gesundheit oder Sozialsysteme investiert
werden.
Insgesamt lässt sich festhalten: Carbon Leakage lässt sich wirksam begrenzen. Und natürlich ist es umso weniger ein Problem, je stärker sich die Klimapolitiken in den unterschiedlichen Weltregionen angleichen. Mittelfristig besteht durchaus die Hoffnung, dass der Anteil der weltweit mit einem CO2-Preis unterlegten Emissionen – derzeit rund 20 Prozent – weiter steigt und dass die CO2-Preise am Ende sogar konvergieren. Je ambitionierter die EU agiert, desto größer ist die Chance, dass sie erfolgreich verhandelt und auch auf globaler Ebene ambitionierte Emissionsminderungen erfolgen.
Und was die Sorgen der Industrie betrifft: Ein wenig Skepsis ist da immer angebracht. Für die Vergangenheit gibt es bislang keine Anzeichen für Carbon Leakage. Bei der Einführung des EU-Emissionshandels 2005 warnten Wirtschaftsführer vehement vor einer Abwanderungswelle – doch eine kürzlich von uns veröffentlichte Studie auf Basis der vertraulichen „Mikrodatenbank Direktinvestitionen“ der Deutschen Bundesbank für die Jahre 2005 bis 2013 hat das im Nachhinein entkräftet. Danach gibt es kaum Belege dafür, dass deutsche Unternehmen, deren CO2-Ausstoß über den EU-Emissionshandel limitiert wird, darauf mit dem Aufbau von Produktion außerhalb der EU reagierten. Der Preis je Zertifikat (das zum Ausstoß einer Tonne CO2 berechtigt) schwankte in diesem Zeitraum zwischen fünf und 32 Euro; aktuell liegt er bei 27 Euro.
Wissenschaftlich belegt ist auch: Die bisherige EU-Klimapolitik führt nicht dazu, dass Europa mehr Güter aus Ländern importiert, die unreguliert CO2-intensiv wirtschaften. Auch die These, dass der europäische Kapitalstock schwindet, weil nicht mehr neu investiert wird, lässt sich empirisch nicht halten. Klug ausgestaltete Maßnahmen können dazu beitragen, dass auch bei deutlich ehrgeizigeren Emissionszielen die Klimapolitik nicht im Widerspruch zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Industrie steht.